AUTO: -CHTHON & -NOM – zurück zum Leitartikel AUTO 22 – Nr. 22, Feruar 2006
Westliche Werte über Bord werfen? Sterben für Israel?
Mordechai Vanunu wird im Oktober 2005 von Hesham Tillawi1 gefragt: „Warum sind wir so hinterher, daß der Iran die Türen seiner Nuklearanlagen für Inspektionen öffnet, aber niemand das gleiche von Israel verlangt? Wie kommt das?“2
Mordechai Vanunu antwortet: „Es ist eine sehr seltsame Situation, die sich seit den 60er Jahren entwickelt hat und seither von den westlichen Staaten
akzeptiert wird. Ich denke, daß die Europäer und die Amerikaner Opfer einer lang angelegten Erpressungsaktion der Israelis geworden sind und immer noch sind. Die Israelis erzählen andauernd vom Holocaust und von
dem, was den Juden während des Zweiten Weltkriegs passiert ist, beschuldigen den Westen dafür und benutzen das als Rechtfertigung für den Besitz von Nuklearwaffen als ein Mittel der Prävention, daß das noch einmal
passieren könnte.“
Auf die Frage, für wie real Vanunu die Bedrohung durch israelische Nuklearwaffen einschätzt, antwortet dieser: „Sie ist sehr, sehr real, zum Anfassen real. Es
ist ganz einfach: Die Israelis brauchen nur einen Verrückten an der Spitze ihrer Regierung. Es ist ziemlich wahrscheinlich, daß sie eines Tages Nuklearwaffen einsetzen werden, um der Welt zu zeigen, welche große
Macht sie haben. Auf diese Weise werden die Israelis die Welt dazu zwingen, sie mit ihrem rassistischen Apartheidstaat für das jüdische Volk weitermachen zu lassen, während jede andere Lösung ausgeschlagen wird und
eine wirkliche Lösung der Probleme unter Beteiligung des palästinensischen Volkes zurückgewiesen wird.“3
Die Revisionisten werden in fast ganz Europa erbarmungslos verfolgt. Es dürfte also hinlänglich klar sein, warum dies so ist: Sie könnten die
„Erpressungsaktion“, von der Mordechai Vanunu spricht, scheitern lassen.
Man könnte nun die Revisionisten im Interesse des Weltfriedens den Israelis opfern, und das wird im großen und ganzen im Westen getan. Aber da stellen sich ein
paar Fragen…
Es stellt sich die Frage des Verhältnisses: Soll tatsächlich einer der viel beschworenen Werte des Westens – der Komplex des freien Informationsflusses
(freies Denken, freies Untersuchen, Infragestellen, Zweifeln und freier Ausdruck) – für den Bestand Israels geopfert werden? Also das, was u.a. den Westen, die Kultur der Aufklärung, ausmacht.
Falls man sich dennoch für diese Opferungsoption entschiede – müßte es dann nicht wenigstens Schweigegeld geben? Man könnte ja – besondere Zeiten
erfordern besondere Maßnahmen – die Informationsfreiheit zu einem angemessenen Preis verkaufen.
Was wären die Juden bereit zu zahlen?
Stellt man sich diese Frage, merkt man schnell, wie illusionär solche Überlegungen sind, denn Israel wird niemals unsere Freiheit kaufen, statt dessen geben
wir ja schon die ganze Zeit unsere Freiheit und zahlen auch noch. Wir zahlen nicht nur, und wir zahlen nicht nur sehr viel – Israel ist ein Faß ohne Boden.
Die Juden sagen: Wir nehmen euch eure Freiheit ab, aber nur, wenn ihr auch noch was drauf legt. Das Geschäft gilt aber nur, wenn ihr ordentlich drauflegt.
Die Westler, insbesondere die Amis und die Deutschen, tun genau das.
Irgend etwas müssen sie doch von diesem nicht gerade vorteilhaft zu nennenden Geschäft haben. Aber was? Gutes Gewissen? Freude und Stolz, am Erfolg eines
kolonialen Experiments teilzuhaben? Erfüllt es sie gar mit beglückenden religiösen Gefühlen, an einem biblisch inspirierten Unternehmen teilzunehmen? Sonnen sie sich in den für sie abfallenden Strahlen der
Auserwähltheit?
Wollen wir Westler wirklich zulassen, daß Mitbürger den Mund verboten bekommen oder, wenn sie sich nicht daran halten, in den Knast gehen, nur weil ihre
Meinung den Fortbestand eines Gebildes gefährdet, das ohnehin nur mit Geldern aus den USA und Deutschland und blanker militärischer Gewalt überlebt? Wollen wir uns dermaßen drohen und erpressen lassen?
Heißt Meinungsfreiheit neuerdings Krieg? Heißt Frieden jetzt Maulkorb?
Hat man sich zu der Zeit, als die westlichen Werte sich durchzusetzen begannen, vorstellen können, daß jemals eine Situation eintreten könnte, wo der freie
Austausch von Informationen eine solche Mißlichkeit, eine schiere Ausweglosigkeit verursacht?
Voltaire ahnte, von welcher Seite wir Probleme kriegen würden...4
Die Existenz des jüdischen Staates wird in dem Moment bedroht, wo Historiker zu unerwünschten Untersuchungsergebnissen kommen oder wo seine Nuklearwaffen in
Frage gestellt werden – wo das gleiche Maß an Israel gelegt wird wie an den Iran oder an Nordkorea. Dieses Maß darf der jüdische Staat auf keinen Fall an sich legen lassen, weil er weiß, daß seine Existenz
dann bedroht ist. Die Israelis sagen: „Dieses Maß gilt nicht für uns, weil wir schon einmal fast total vernichtet wurden“, und deswegen ist das Narrativ „Holocaust“ sakrosankt.5
Wie kommt es, daß so viele andere Staaten keine Angst davor haben, ohne Nuklearwaffen vernichtet zu werden? Warum legt Ungarn keinen Wert darauf, die Atombombe
zu besitzen? Zuverlässige starke Verbündete hat es in der Vergangenheit ja auch nicht gerade gehabt.
Stellen wir uns einen Moment vor, daß das Narrativ „Holocaust“ keinerlei Zweifel zuläßt, daß es unter den freiesten Bedingungen und bei Anlegung reinster
Rationalität zu keiner Korrektur Anlaß gibt: Müßte dann nicht dennoch die Frage gestellt werden, ob es sich der Westen und die Israelis selber tatsächlich leisten können, diesen Staat Israel am Leben zu halten?
Wäre es angesichts der Kosten und der Opfer nicht vernünftiger, den Arabern wieder Palästina zu überlassen und die Juden sich dort heimisch werden zu lassen,
wo sie eh von ihrer westlichen Mentalität her hingehören: nach Europa oder Nordamerika? Oder wäre nicht die Einstaatenlösung – ein demokratischer Staat ohne Ansehen der Herkunft – die beste Lösung? Kann
denn die „Lösung“ des Problems tatsächlich nur in der Hochrüstung, im permanenten Kleinkrieg und in Einschüchterung und Abschreckung liegen? Wem ist nicht klar, daß darin keine Lösung liegen kann?
Sollen wirklich die zentralen westlichen Werte für einen Staat geopfert werden, der ganz offensichtlich stur und rigide ist? Der zu keiner
Beteiligung an einer einvernehmlichen Lösung fähig und an keiner wirklichen Lösung interessiert zu sein scheint. Der seine Gegner und potentiellen Verhandlungspartner gezielt tötet.
Die Offene Gesellschaft scheint in Konflikt mit der Existenzsicherung eines Staates im Nahen Osten zu stehen. Der Konflikt besteht aber offensichtlich nicht
nur zwischen den westlichen Werten und der Existenz dieses Staates, sondern auch zwischen handfesten, gänzlich unluxuriösen Interessen des Westens und Israel: Welche Kriege müssen noch geführt und finanziert werden
zur Absicherung Israels?
Ist es der jüdische Staat, der ohne den Westen nicht leben kann, tatsächlich wert, daß nicht nur wir unsere Werte über Bord werfen, sondern daß wir unsere
Werte über Bord werfen, um etwas in einer Umgebung, in der es nicht gelitten ist, am Leben zu halten, das sich an einem Ort befindet, den ein anderes Volk reklamiert, das vertrieben wurde und ein Rückkehrrecht hat?
Welches Recht haben die Juden überhaupt, in Palästina einen Staat mit reiner Militärgewalt vor Ort und durch Vernichtung der Meinungsfreiheit in den fernen alimentierenden Staaten zu erhalten?
Muß der Westen nicht langsam den Mut aufbringen, sich zu fragen, warum er – bei Verrat seiner Ureigenheit, der Meinungsfreiheit – ein Pulverfaß
finanziert, dessen Explosionen bereits jetzt auch Europa und Amerika heimsuchen? Warum wird das auf der Hand liegende nicht gesehen und diskutiert, daß nämlich der „Krieg gegen den Terror“, der entweder
aussichtslos ist oder in die totale Überwachung führt, schon morgen aufhören würde? Und zwar würde er aufhören, indem wir den Moslems nicht etwa ein Opfer bringen, sondern indem wir uns von einer schweren finanziellen und noch viel schwereren psychischen Belastung, die in der Beschneidung unseres freien Ausdrucks liegt, freimachen: Israel.
Es soll uns egal sein, aber obendrein würden auch die Juden von dem tragischen Dauerstreß namens „Israel“ befreit werden, indem wir ihnen in den Ländern
des Westens eine neue Heimat bieten – sie haben ja dann, wenn sie kein Geld mehr für Israel brauchen, auch keinen Grund mehr, unsere westlich-demokratischen Prinzipien zu gefährden.
Es hauen doch von Jahr zu Jahr eh immer mehr Juden schon aus Israel ab – in den Westen. „Sterben für Israel?“, fragen auch sie sich
und sind weg. Leider engagiert sich von denen kaum einer wie Gilad Atzmon, der in bewundernswerter Weise seiner Verantwortung nachkommt. Denn als assimilierte Westeuropäer wird sie der Krieg früher oder später genau
so einholen wie die nichtjüdischen Europäer oder Nordamerikaner, werden sie früher oder später wieder von der Frage eingeholt werden, sich oder die Freiheit für Israel zu opfern.
Und wenn Exodanten weiter als Juden so herum wurschteln wie bisher, wie die hier ansässigen Juden, wenn sie sich nahtlos in die privilegierte Sonderexistenz
einfügen und sich positiv diskriminieren lassen, dann könnte sich das eines Tages auch gegen sie wenden.
Die beste Lösung für alle ist der Ausstieg aus dem Judentum, die Endlösung durch Gemütlichkeit, durch Fortfall des sonderexistenzbedingten Stresses. Die Juden
müßten in diesem Falle freilich einen nicht unbedingt leicht zu vollziehenden antinarzißtischen Prozeß durchmachen. In den Gemeinden sollte das aber diskutiert werden. Und die nächste Generation wird von all dem
nichts mehr wissen.
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