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AUTO: Nr. 10, April 2004
Robert Dun: Von Freien, der Freiheit und Sklaven, die von Freiheit schwatzen (1)
Diesen Artikel schreibe ich ohne propagandistische Hintergedanken; Propaganda kommt in libertären Kreisen sowieso nicht an. Ich schreibe ihn aus Dankbarkeit
und Pflichtgefühl Leuten gegenüber, die so frei und so mutig waren, sich mit meinen Ideen auseinanderzusetzen und sie zu veröffentlichen, auch wenn sie sie nicht unbedingt teilen.
Dieses Pflichtgefühl kommt daher, daß ich in mindestens drei Büchern, in Artikeln und etlichem Gemunkel als „Beweis“ dafür gehandelt werde, daß
anarchistische Zusammenhänge von der extremen Rechten unterwandert werden.
Nun bin ich aber weder Rechtsextremer noch Rechter noch ein Mann der Mitte und war es auch nie. Ich bin ein Revolutionär, ein aktiver Nietzscheianer, ein
Freund aller freien und ehrlichen Geister, an welcher Stelle sie sich auch immer auf ihrem Weg gerade befinden. Ich fordere, um mit jemandem, wie auch immer er sich bezeichnet oder bezeichnet wird, in einen Dialog
treten zu können, nur Ehrlichkeit, intellektuelle Ehrlichkeit.
Im ersten Artikel, den l’Homme libre, fils de la Terre von mir veröffentlichte, schrieb ich, daß Demokratie und Freiheit alles andere als identisch seien; daß ich in Sachen Freiheit eher einem echten Aristokraten oder einem aufgeklärten Despoten Vertrauen schenken würde als der Demokratie. Denn die Freiheit ist – leider! – nicht für alle notwendig. Die, welche sie brauchen, sind Männer wie Giordano Bruno, Montaigne, Ulrich von Hutten, Götz von Berlichingen, Cyrano de Bergerac, Voltaire, Max Stirner und Nietzsche. Und die sind selten. Die Demokratie fürchtet die Freiheit, denn die freien Männer sägen an den Krücken der Gläubigen, die unfähig sind, ihr eigenes Gesetz zu finden. Welche Eltern, ob nun mehr oder weniger beschränkt, zittern nicht vor den Freiheitsgelüsten ihrer Kinder? Diese Eltern sind der durchschnittliche Bürger aller Demokratien, das Volk. Doch die heutigen Demokratien sind keine echten Demokratien mehr und können keine mehr sein, und zwar aus zwei Gründen: zum einen ist das Volk als Wirklichkeit und zum anderen ist die Kultur verschwunden.
Volk bedeutet die Gemeinschaft der Instinkte, des Verständnisses und der Erfahrung. Heutzutage gibt es nur noch nicht mehr zusammenpassende Trümmer, und alle
mit ihren verschiedenen Abstammungen, Vorstellungen vom Leben und vom Menschen quatschen durcheinander (Nietzsche).
Kultur ist, einer Sache einen Kult erweisen, ein spontaner Gesellschaftsvertrag zwischen Leuten mit gleicher instinktiver Gesittung. Wo Volk ist, braucht es
weder Staat noch Gesetze. Die Gesetze trägt jeder in sich. Dann – und nur dann, wenn man für Volk ist – kann man eine Zeitschrift mit dem Namen „Die Anarchie. Zeitschrift für Ordnung“ herausgeben,
denn, wie es Antonin Artaud geschrieben hat: „Der Anarchist ist kein Feind der Ordnung; er liebt die Ordnung so sehr, daß er ihre Karikatur nicht erträgt.”
Jeder Mensch liebt die Ordnung, die seiner spontanen Gesittung entspricht. Das schließt eine Globalisierung aus. Man kann von einem Afrikaner, der einer Kultur
der Nacht entstammt, wie sie durch das Klima in Afrika bedingt ist und in der er ohne sich ertappen zu lassen einen Ochsen stehlen muß, um um die Hand eines Mädchens anhalten zu dürfen, nicht verlangen, daß er unser
Verständnis von Diebstahl teilt. Wir müssen es akzeptieren, daß es dort, wo wir nur absurde Riten sehen, Empfindungen und Wahrnehmungen gibt, zu denen wir nicht mehr fähig sind. Die Gattung Mensch hat sehr
wahrscheinlich Hunderte von verschiedenen Ursprüngen und ganz offensichtlich sehr verschiedene Entwicklungsgeschichten. Biologische Gegebenheiten, die geographisch bedingt sind, wie z.B. bei den Geburten hier einen
Überschuß an Jungs und dort einen Überschuß an Mädchen, müssen zu Gesellschaften führen, die sich voneinander unterscheiden.
In Tibet, wo es den Klöstern nicht mehr gelingt, den Überschuß an männlichen Nachkommen aufzunehmen, gibt es das Frauenrecht und die Vielmännerei. Der
Überschuß an Mädchen in den moslemischen Ländern führt zur Vielweiberei. Eine junge und aufgeschlossene Berberfrau sagte mir 1995, nachdem ich mich für die Einehe ausgesprochen hatte, um der katastrophalen und
weiter dramatisch zunehmenden Überbevölkerung zu begegnen: „Im Prinzip stimme ich dir zu, aber was machst du mit denen, die keinen abkriegen?“ Darauf konnte ich nichts erwidern.
Die Achtung vor den Menschen ist vor allem die Achtung vor den Unterschieden. Wir müssen die Unterschiede akzeptieren, ohne durch die Brille unserer anmaßenden
und kranken Zivilisation zu urteilen.
Zu viele von uns sind noch im Irrglauben gefangen, daß die Völker, die nicht unser Verständnis von Demokratie, unsere Zügellosigkeit und unsere Gleichmacherei
teilen, Zurückgebliebene sind. Wenn sie etwas genauer hinsehen würden, würden sie entdecken, daß diese „Zurückgebliebenen“ im allgemeinen mehrere Hunderttausende von Jahren an Entwicklung hinter sich haben,
während es beim Cromagnon nur etwa vierzigtausend sind. Es sind Menschen ganz anderen Ursprungs; daran kann kein Schmelztiegel etwas ändern.
Eigentlich ist dieser naive Wunsch nach Vereinigung des Unvereinbaren in unserer Zeit der Beliebigkeit und der Gleichgültigkeit nur eine Fortsetzung der
kolonialistischen Heuchelei. Der Kolonialismus wollte, daß die Nichteuropäer in ihren Ländern Europäer werden; heute sollen sie Europäer bei uns werden. Das alles aus der tiefen und naiven Überzeugung heraus, daß
wir ihnen überlegen sind und sie unsergleichen werden müssen. Diese „demokratische“ Anmaßung ist nur das Erbe des christlichen Universalitätsanspruchs, der zur Inquisition, zu Eroberungen und Unterwerfungen
geführt hat.
Ein Beschränkter glaubte mein „Geständnis, bei der Waffen-SS gewesen zu sein“, als Argument anführen zu können. Ich gestehe es nicht, ich sage es ganz
einfach und ohne den geringsten Komplex. Ich kann mich zu dieser Sache so gut wie nicht erklären, weil ich unter Gesetze fallen würde, die von Pseudoanarchisten gutgeheißen werden. Ich sage nur so viel: Ich habe
immer das Recht auf Eigenheit und auf Selbstbestimmung verteidigt und werde es immer tun. Man hat den Menschen ihr Recht auf rassische, kulturelle, – durch die Technisierung – berufliche und –
durch Unisex und homosexuelle Propaganda – geschlechtliche Eigenheit genommen. Man belegt die Lebensfreude mit Schuldgefühlen (es ist einfacher für einen Kriminellen oder einen Geisteskranken Arbeit zu finden
als für einen gesunden jungen Menschen). Und so nehmen Millionen von jungen Leuten gefährliche Identitäten an, treten Sekten und fanatischen Religionen bei.
Wer sind die Nivellierer, die mit ihrem Universalismus alles auf unterstem Niveau gleichmachen? Es sind die Ausbeuter, die die menschliche Arbeitskraft wie
Vieh umhertransportieren wollen, es sind die Herren der multinationalen Konzerne, das Imperialistenpack, die Pfaffen aller Religionen und die verirrten atheistischen Pfaffen des Marxismus. Das Gutmenschentum ist nur
Blendwerk für nicht offen eingestandene menschenfeindliche Zwecke und hat nichts mit Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zu tun.
Die Schurkenherrschaft hat auf ihre Art ein Meisterwerk vollbracht: Es ist ihr gelungen, die Menschen in zwei Lager zu spalten und aufeinanderzuhetzen: auf der
einen Seite die Verteidiger traditioneller Werte, die scheinbar für Identität und Selbstbestimmung eintreten, eigentlich aber die orientalische Despotie mit einem göttlichen Recht repräsentieren, und auf der anderen
Seite die Verteidiger der „Menschenrechte“, die sich zur Vernichtung der Rasse hergeben, aus der heraus sich diese edlen Werte entwickelt haben. Ja, es ist bewußt und gezielt eine Verwirrung gestiftet worden,
wie sie gar nicht größer sein könnte.
Mögen sich die mißbrauchten Anarchisten bitte einkriegen und sich den Staub der rechten und linken Kleriker und Politiker aus den Augen wischen, mögen sie
endlich lernen, selbst zu urteilen.
Es ist dringend geboten und höchste Zeit, daß die Freunde der Freiheit sich zusammentun, um im chaotischen Untergang einer größenwahnsinnigen Zivilisation die
Menschenwürde und die Freiheit der Menschen, die frei sein wollen und zur Freiheit fähig sind, zu retten.
Ich weiß, daß es eine Mehrheit von geborenen Sklaven gibt (2) und daß sie der wahre Grund für die Sklaverei sind. Mit Nietzsche hasse ich sie, denn sie
widern mich an. Ich hasse sie noch mehr, weil sie ihre Herren mit der Macht ausstatten, mich zu bedrohen und man keine Revolution einer gegen eine Million machen kann. Aber ich hasse sie nicht aus Hochmut. Ich bin
kein Größenwahnsinniger, der mit Siebenmeilenstiefeln von Gipfel zu Gipfel schreitet. Ich liebe das wahre, das richtige Volk, die Bauern, die Handwerker, wo sie noch nicht völlig vom System zertreten sind.
Ja, ich bin ein wirklicher Anarchist: einer, der jedes Gesetz ablehnt, das nicht seinem Inneren, seinem inneren Gesetz entspricht. Mein inneres Gesetz ist das
alte englische Recht, ist die Sitte der Normannen, aus der heraus die Menschen- und Bürgerrechte, Version 1789, erklärt wurden, denn ich stamme einer Vermischung von Völkern ab, die dieses Recht in sich tragen. Was
offensichtliche Widersprüche erklärt…
1 Zuerst erschienen in: L’Anarchie, journal de l’Ordre, Juli 1995
2 Menschen, die schon im Mutterleib zu Sklaven werden und als solche auf die Welt kommen oder in jüngster Kindheit schon verknechtet werden – Anm. d.
Ü.
Aus dem Fanzösischen von Peter Töpfer Quelle im Netz: http://www.les-affranchistes.com/desetreslibres.html
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