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florian suittenpointner: welcher nationenbegriff? zum rkl
-text “neoliberalismus und nationale frage im westen
”
endlich bin ich mal dazugekommen, das durchzulesen. nun ja, sehr nüchtern und unautomatesk gedacht. mit den leuten könnten wir uns wohl gut vertragen, sie legen den finger in
die wunden.
nur in einem punkt ist der artikel wahnsinnig unklar, nämlich, was denn deine, meine, seine, ihre "nation" sei... da merkt man halt, dass es leninisten sind, die das schreiben -
leute, die dafür eigentlich kein verständnis haben, die bestehenden "nationen" gleichgültig übernehmen, darin nur ein vehikel sehen.
1., wer sagt, dass ich mich irgendeiner bestehenden "nation" einfach so eingliedern will, diese gebilde sind ja oftmals nur der
geopolitischen zweckmäßigkeit halber entstanden, oder durch historische zufälle - siehe "österreich"... ich sehe nicht ein, dass ich mich in diese gegebenheiten einfach so fügen sollte! schaut euch die schweiz an, die haben damals einfach ihren eigenen laden aufgemacht.
2., nationen sind wie diese russischen puppen, wo innen drin wieder eine und wieder eine und wieder eine ist: ich lache jedem ins gesicht, der mir erzählen will, ich sei deutscher oder bayer oder was auch immer, denn ich bin das alles und
doch wieder was anderes, meine nation sind die menschen, die bewußt in meiner heimat leben.
damit komm ich zu einem ganzen heiklen punkt: wie schließt man sich einer "nation" an? früher gab's dafür rituale... um die staatsbürgerschaft kann's ja, wenn ich den
artikel richtig verstanden habe, nicht gehen, denn die ist ja eher sowas wie eine magnetkarte, mit der ich zugang zu einem firmengebäude oder so bekomme.
ich habe auch keinen bock, kriterien darüber aufzustellen, was jemand zu tun habe, der meiner nation beitritt - das ist ja affig hoch drei (man erinnere sich an das "goethe und
schweinebraten"-bonmot von redcyber, dem grimmigen kurden im anarchie.de-forum: er hatte schon recht).
mein ansatz ist eben der, den ich oben erwähnt habe: bewußtes bewohnen meiner heimat. das heisst nämlich auch, dass leute, die sich einer vermeintlich rückständigen, primitiven lebensart
ihrer heimatgenossen schämen, eben nicht mehr dazugehören. das hat nichts mit "stolz, ein xyz zu sein" zu tun, sondern einfach damit, dass ich auf "volksgenossen" verzichten kann, die mich ob
meiner sprache, lebensart usw. verachten. andersrum kann ich auch auf leute verzichten, die hierher einwandern und sich oberflächlich mit dirndl, jodlerstil-häusern, steingut-bierkrügen und ähnlichem
folkloristischem kitsch eindecken, weil das ja so aufregend urtümlich ist. da sind mir viel lieber die ganzen levantiner, die hier arbeiten und überhaupt keinen bock auf assimilation haben (ist erst wieder
rausgekommen bei einer befragung zur schleppend verlaufenden einbürgerungsinitiative: die gastarbeiter haben gar kein interesse daran, "deutsche" zu werden, die sind zufrieden mit ihrer nationalen
herkunft - bravo, sag ich! alles andere wäre ja auch blödsinn, man wird doch nicht teil eines volkes durch ein stück papier...).
hier muss ich mal kurz zwischendurch mit einem eventuellen missverständnis aufräumen: ich habe überhaupt nichts dagegen, dass leute aus anderen völkern hier leben. der vergleich mit
"meinem haus, in das ich ja auch nicht jeden reinlasse", den die rechten nationalisten immer bringen, finde ich ziemlich daneben, denn die "wände" des vermeintlichen "deutschen
hauses" (so heisst auch eine antifa-kolumne in der jungle world) bestehen ja auch
nur auf dem papier, sind völlig willkürliche erfindungen eines bürokratischen molochs. es geht nicht um "deutschland den deutschen", es geht bestenfalls darum,
dass an einem ort natürlicherweise nur platz für eine begrenzte anzahl menschen ist.
ich will zum schluß einmal wagen, einen anderen entwurf von "nation" anzudeuten. all die abstrusen, bemühten, sophistischen konstruktionen von völkischer kollektivität, die im
bürokratischen rassismus à la nürnberg ja nur ihren konsequenten ausdruck finden - warum sind die denn notwendig? man möchte doch meinen, menschen, die sich ähnlich fühlen,
die ähnliche mentalität, ähnliche heimatgefühle, auch ähnliche örtliche bedingte interessen haben, würden ganz intuitiv eine "nation" bilden...
aber wie zum teufel sollen solche - echten! - gemeinsamen gefühle unter 80, 20, ja selbst unter 5 millionen leuten denn entstehen? das ist doch unsinn! sowas lässt sich natürlich nur mit aufgepfropften schulbuch-identitäten und letztlich mit gewalt aufrechterhalten. gebiete, die geeignet sind, um ein intuitives örtliches wir-gefühl, ein unmittelbares heimatgefühl zu entfachen, sind meinetwegen das sauerland, das waldviertel, die uckermark... oder vielleicht auch der epiros, der cilento, istrien, galiläa, asturien, sussex, masowien... eben örtlichkeiten, deren bewohner im zivilen, banalen alltag etwas gemeinsames fühlen. natürlich kann ich auch mit jemandem vom anderen ende der welt etwas
gemeinsam haben, nur reden wir (auch der artikel) hier in sachen "nation" eben v. a. von der grundlage echter, direkter demokratie - und die hat meistens mit den dingen vor ort zu tun.
zwei dinge fallen daran noch soweit auf, dass ich sie erwähnen möchte:
1., solche örtlichen einheiten haben keine exakten grenzen, an ihren rändern orientiert sich der eine vielleicht eher da, die andere eher dort hin, das hat ja auch mit ganz praktischen
dingen zu tun... vage und verwaschen mag es dann vielleicht auch wieder größere gebilde geben, altbayern, tirol, sachsen - aber das ist wie gesagt vage, mit leuten, die darin ihre heimat sehen, kommt man
vielleicht spontan noch einen tick besser zurecht als mit ganz fremden, aber der fokus liegt auf dem unmittelbar "hiesigen".
2., was diese echte, schöne, unkomplizierte verwurzeltheit bedroht, ist nicht migration! migration bringt vielleicht die (national)- staatlich-bürokratische planung von sozialsystemen,
arbeitsmärkten usw. durcheinander, aber das wesen der heimat, meine "nationalität" im sinn dieses artikels bleibt davon ja völlig unberührt, genauso, wie andersrum der einwanderer sich ja auch nicht
stören lässt von meinen identitären selbstbeschreibungen. was die vielfalt der heimaten und gemeinsamen identitäten bedroht, ist die zunehmende standardisierung der welt, die einzig und allein dem zweck dient,
durch beliebige kombinierbarkeit von produktionsfaktoren und durch einheitliche massenproduktion effizienz und damit mehr, mehr, mehr profit zu erreichen.
wer die börse in die luft jagt (am besten nachts, wenn keiner drin ist...), konzernrechner hackt, werbung global vermarkteter marken unbrauchbar macht oder sonstwie diese ganze riesige
weltverwertungsmaschinerie sabotiert, tut tatsächlich etwas für die heimat. wer wahllos leute mit akzent oder anderer hautfarbe verdrischt und das ansehen übler diktaturen aufpoliert, nicht... der ist einfach
nur ein arschloch!!!
mal ganz davon abgesehen, dass man der heimat und dem volk am besten auf konstruktive weise beisteht, z. b., indem man alte handwerks- und landwirtschaftstechniken erhalten hilft oder die
traditionelle kunst aus der mottenkiste befreit und ihr zum anschluss an die heutige zeit verhilft, ohne sie dabei zu zerstören oder lächerlich zu machen.
vielen dank für eure aufmerksamkeit.
florian
[Siehe auch die Diskussion zum RKL-Text im nA-Forum (bzw. Forum-Archiv Nr. 9), Diskussionsstrang “Neoliberalismus und nationale Frage im Westen”, und im Forum von
www.anarchie.de (“Neoliberalismus und nationale Frage im Westen” in Suchmaschine eingeben).]
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