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www.nationale-anarchie.de und www.volksheil.de
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ici           [letzte Bearbeitung dieses Netzortes: 11.6. 02]

[Dies ist die aktuelle (Apr. 2001 bis Okt. 2001) Netzpräsenz der deutschsprachigen Nationalanarchisten. Es sind Ausweichseiten, da die nA-Domäne (www.nationale-anarchie.de) derzeit nicht bearbeitet (und nun auch nicht mehr besucht) werden kann.
Zuerst wurde am 7. Dezember 2000 von der Polizei der Rechner beschlagnahmt, auf dem sich die zur Bearbeitung nötige Datei befindet (zu Hausdurchsuchung und Kriminal-Ermittlungen siehe
hier; Stellungnahme zur Anzeige hier).
Dann sind - nachdem die Ermittlungen eingestellt wurden und der Prozeß kläglich gescheitert ist - am 12.4.02 die nationale-anarchie.de-Seiten und auch der Netzort
www.volksheil.de vom Provider Strato AG ganz und gar  stillgelegt worden: alles reiner  Zufall... Begründung: rechtswidriger Domain-Name (!), erotische, extremistische usw. Inhalte
www.nationale-anarchie.de wird demnächst wieder überarbeitet im Netz sein mit neuen Positionen und Weiterentwicklungen  (Nationenbegriff, antideutsch, aber nicht antinational... siehe z.B.
Text von Flo). Anleitung zum Öffnen gesperrter Seiten. Techniken zur Umgehung von Internet-Zensur. Siehe www.vgt.ch und www.ioz.ch.]

=> Die Netzseiten von Sleipnir, Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik (www. freespeech.org/sleipnir) sind von Freespeech skandalöserweise ohne Benachrichtigung und Kommentar abgestellt worden. Sleipnir wird hier als Gast beherbergt.<=

AUTO: -chthon & -nom
  nationalanarchistische Stromzeitschrift
 

Hier der Inhalt des Netzortes www.volksheil.de, der von der Strato AG gesperrt wurde (“illegaler Domänname”, “extremisitische Inhalte”....). Gestaltung wie im Original.
 

[Banner:] Volksheil

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Hier wird zunächst nach und nach die Theorie vom Volksheil vor- und dargestellt; sie entwickelt und verändert sich mit den praktischen Erfahrungen in den autonomen Volksheilgruppen, wird immer volkstümlicher und nachvollziehbarer. Bildet Volksheilgruppen vor Ort und laßt uns Eure Erfahrungen wissen!
Einhergehend wird dieser Netzort zu einer Kommunikationsplattform für Heilsuchende und Interessenten ausgebaut.

Volksheil, die Theorie, Inhalt:
 -
Einführung
 -
Grundsätzliche Heilbarkeit
 -
Das Monster
 -
Das Geheimnis

Wer über die Veröffentlichung von neuen Kapiteln der Volksheilstheorie benachrichtigt werden möchte, sende einen Strombrief (bitte mit “Volksheil” im Betreff).

[Volksheil verlassen]


 

[Einführung:]

Einführung

1.

Heil bedeutet befriedigte Bedürfnisse; Heilung bedeutet, zu erkennen, daß Schein- oder Sekundärbedürfnisse und deren Befriedigung nicht zur Zufriedenheit und zum Heil führen können; Heilung bedeutet, die verschütteten wirklichen Bedürfnisse bewußtzumachen und wiederzubeleben, um wirkliche Befriedigung, um das Heil zu erlangen.

Das Leben der Einzelnen und der Gruppe hat, um heil genannt werden zu können, ganz verschiedene Aspekte und Voraussetzungen: körperliche und geistige Unversehrtheit, handwerkliche Fähigkeiten, Intelligenz, Verteidigungsbereitschaft, Durchsetzungsvermögen – alles, was unter dem Strich als Schönheit bezeichnet wird.

Ein Text mit dem Titel „Volksheil“ müßte nun eigentlich all diese Gebiete des menschlichen Lebens abdecken. In ihm müßte erläutert werden, wie man ein Haus deckt, wie man eine Kuh melkt, wann man auf dem Feld die Saat ausstreut oder wie man sich gegen Angreifer verteidigt, denn das alles trägt zum Heil des Volkes und jedes einzelnen bei – all das ist das Heil.

Inhalt dieses Textes aber wird einzig sein, das Problem darzustellen, das darin liegt, daß wir zivilisierten Menschen nicht zufrieden und nicht im Heil sind, obwohl die materiellen und technischen Voraussetzungen dazu eigentlich gegeben sind. Das Problem ist, daß wir in uns selbst Schranken haben, die uns daran hindern, Bedürfnisse zu befriedigen, die wir – ohne diese Selbstbeschränkungen – eigentlich befriedigen könnten. Wir gehen gewissermaßen gehirngeschädigt durch einen üppigen Garten, können aber nicht von den Früchten essen, weil wir durch schlechte Erfahrungen so programmiert sind, daß wir die Früchte nicht sehen, nicht anfassen, nicht pflücken und nicht essen können. Statt dessen schnüffeln wir wie wild am Boden herum in einer rasenden Suche nach Befriedigung, die uns aber nur die Früchte bringen können. Wir dürfen nicht mehr nach oben blicken, die Schönheit und das Licht blenden uns, wir erblicken nur selten blinzelnd etwas davon.

Alle Techniken, die der Befriedigung von Bedürfnissen dienen – wie wir an die Früchte herankommen (Baum schütteln, Leiter usw.) –, sind bis ins Detail erläutert: Es ist ein unglaubliches Wissen darüber vorhanden, was getan werden muß, um ein Kuh zu melken, um ein Haus zu decken, um sich zu verteidigen, um Autos zu bauen und zu fahren. Zu diesen Themen sind ganze Bibliotheken gefüllt. Es ist sogar so, daß es in unseren zivilisierten und industrialisierten Ländern ein Zuviel an Technik gibt: ein Zuviel an Technik, die der Befriedigung von Bedürfnissen dienen soll. Diese Bedürfnisse sind aber nicht die grundlegenden Bedürfnisse, deren Befriedigung – einhergehend mit innerer Freiheit, also ohne innere Schranken – für unser Heil ausreichend wären. Es sind künstliche, sekundäre oder Scheinbedürfnisse. Deren Befriedigung wiederum sorgt für einen Raubbau an der Natur, und zwar der äußeren und der inneren. Und damit drohen die Grundlagen für die Befriedigung unserer wirklichen, natürlichen oder primären Bedürfnisse zerstört zu werden. Wir veranstalten ein Riesentheater, um Scheinbedürfnisse zu befriedigen, die uns kein bißchen glücklich machen. Wir leben in einer total mechanisierten Welt. Und wir veranstalten dieses absurde Theater, weil wir Angst haben, zur Ruhe zu kommen und unsere wirklichen Bedürfnisse zu spüren.

Es geht in diesem Text also nicht um die Techniken zu Lebensbewältigung , die – Gott sei dank – in Hülle und Fülle vorliegen, sondern darum zu verstehen, wie wir in diese Lage gekommen sind, daß wir unsere primären und eigentlichen Bedürfnisse aus den Sinnen verloren haben, und darum aufzuzeigen, wie wir diese Bedürfnisse wiederentdecken können. Es geht hier darum, daß wir uns selbst im Wege stehen und daß wir den Weg frei machen müssen für uns selbst. Es geht darum, daß wir in Hirngespinsten leben und zur wirklichen Welt und zum wirklichen Leben zurückkehren sollten, wo unsere wirklichen Bedürfnisse und deren Befriedigung warten. Es geht darum, daß wir unsere Bedürfnisse befriedigen könnten, es aber seltsamerweise nicht tun, und darum, ob wir überhaupt unsere Bedürfnisse befriedigen wollen, oder ob wir uns nicht von ihnen abgewendet haben, ob wir nicht die Hoffnung verloren haben. Uns geht es so wie manchen Kindern, denen ein Eis angeboten wird, aber die dieses Eis nicht annehmen können, weil sie... – darum geht es in diesem Text.

Und wenn wir die Hoffnung verloren haben, dann haben wir auch keinen Lebenswillen mehr; dann haben wir keine Energie mehr, das Leben materiell zu bewältigen, dann sind wir zu schwach.

Ein Titel wie „Volksheil“ mag also anmaßend sein, und das Heil auf die Freiheit von inneren Schranken zu reduzieren ist ganz sicher sehr einseitig und mißachtet alle äußeren Faktoren, die genau so wichtig sind wie die innere Bereitschaft und Fähigkeit, ein zufriedenes Leben führen zu wollen. Zum Heil gehören logischerweise die äußeren Vorraussetzungen und die Fähigkeit, das Äußere zu unseren Gunsten zu beeinflussen. Angesichts des Massenkonsums und der gigantischen Überproduktion kommt dem Aspekt der inneren Fähigkeit zu wirklicher Befriedigung, kommt der Befriedbarkeit und der inneren Heilsfähigkeit eine geradezu beängstigend große Bedeutung zu. Ja, es sieht aus, als ob dies allein die einzig verbleibende sinnvolle Frage ist, so daß der Titel „Volksheil“ durchaus berechtigt ist, weil alles an der inneren Bereitschaft zu liegen scheint, die Güter und die Güte anzunehmen. 

Das darf nicht dazu führen, die handwerklichen, landwirtschaftlichen, kulturellen oder militärischen Fähigkeiten und ihre Weitergabe von Generation zu Generation – als Voraussetzung des Heils – zu vernachlässigen, und du solltest das keineswegs aus den Augen verlieren! (Was allzu schnell passiert, wenn Menschen in ihrer mystischen Heilserwartung auf rein spirituelle oder psychologische Lehren bauen.) Aber wie viele Menschen gibt es auf der Welt, die sehr vieles können, viele Techniken beherrschen, über enorme Fähigkeiten verfügen – und trotzdem todunglücklich sind?

 

2.

Mit den Begriffen Volksheil und die Volksheilung ist zweierlei gesagt: Einerseits meinen sie eine bestimmte Heilsweise, die volkstümlich ist, in der die Sprache des Volkes, also der Menschen, wie sie sind und wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, gesprochen wird. Andererseits bedeuten die Begriffe, daß das Volk als Ganzes das Heil dort, wo es verloren gegangen ist, wiedererlangen kann. Damit ist auch gesagt, daß der Einzelne allein kein richtiges Heil finden kann, daß er erst in Gemeinschaft und als Teil einer solchen heil sein kann. Heile Einzelne sind wiederum Voraussetzung für eine heile Gemeinschaft, in der den Einzelnen, insbesondere den Kindern, kein Unheil geschieht. 

Es ist aber von großer Bedeutung, daß das Heil einzig durch den Einzelnen kommt, daß der Heilsprozeß in seiner wirklichen Wirksamkeit rein individuell vor sich geht. Das, was heilt, ist eine Sache des Einzelnen; die entscheidenden Augenblicke der Heilung zeichnen sich durch äußerste Individualität aus, sind Ergebnis ausschließlicher und intensiver Beschäftigung mit Lage und Geschichte des Einzelnen. Ein günstiges Umfeld mag Voraussetzung sein: gute Partner oder Heilshelfer, aber das wirklich und gründlich Erlösende Heilsgeschehen spielt sich ganz im Inneren des Heilenden ab. Wichtig mag der Heilshelfer sein, der dem Heilenden im Heilsvorgang hilft, mögen Freunde oder Familienangehörige sein, aber die lösenden Prozesse, die das Unheil zum Verschwinden bringenden Vorgänge, sind rein individueller Natur. Es gibt keine Ausrede und kein Ausweichen vor dieser Tatsache. Niemand kann dem Einzelnen abnehmen, seine Wahrheit, die Wahrheit seines Lebens anzunehmen.

Der Einzelne mag in gesellschaftliche oder politische Theorien flüchten, in denen er sein Heil sucht und von denen er es zu bekommen glaubt, um seine Wahrheit nicht erkennen zu müssen, aber daraus kann nie das Heil weder für ihn, noch für die Gemeinschaft entstehen. Das Heil ist im Individuellen, nicht im Sozialen zu suchen; da gibt es keine „Dialektik“ o. drgl. Erst Menschen, die ihre rein persönliche Wahrheit angenommen haben, bilden Elemente einer wirklich geheilten Gemeinschaft. Sind die Einzelnen geheilt, tut sich Heilung der Gemeinschaft von selbst.

Außerdem hat nur der Einzelne Sinne, nur er oder sie kann zufrieden sein, nicht die Gesellschaft. Eine Gruppe ist nur eine Sammlung von Einzelnen, sie selbst hat keine Sinnesorgane und Nerven, die Leid oder Glück fühlen könnte. Es können mehrere Einzelne geben, die zufrieden sind und dann eine „zufriedene Gemeinschaft“ bilden.

Volk bedeutet hier auch die heile Gemeinschaft bzw., was von dieser noch übrig geblieben ist. Volk bedeutet: unverstellte, echte Menschen. Deren Sprache ist nicht gekünstelt, sondern direkt. Heilung bedeutet, wieder Volk zu werden. Das Volk spricht die Dinge aus, nennt sie beim Namen. Volksheilung heißt, daß nur durch eine solche Sprache das Heil kommen kann, und nicht durch eine wissenschaftliche oder eine Gebildeten-Sprache. Wenn Menschen eine direkte, herzliche, unverbogene Sprache sprechen, dann sind sie Volk. Jemand, der hochtrabenden Kauderwelsch von sich gibt, gehört nicht zum Volk, d.h. zur heilen Gemeinschaft. Er mag zur Gesellschaft gehören, zur Zivilgesellschaft, zum Weltbürgertum oder zu irgendeiner abgehobenen und entwurzelten Elite; er gehört jedoch nicht zu den fühlenden, ehrlichen, aufrechten, freien, offenen und vertrauensvollen und vertraulichen Menschen, die allein eine Gemeinschaft in Frieden bilden können.

Die Volksheilung ist ein sehr anspruchsvolles Projekt. Es zielt auf nichts weniger als das Heil der Einzelnen und die der Gemeinschaft. Damit wäre aber nur das Normale, das Natürliche wieder hergestellt. Die Leute sollen wieder sie selbst werden, ihre Interessen wahrnehmen und ihre Bedürfnisse befriedigen. Das haben sie verloren, und sie müssen es wieder lernen.

Es geht hier nicht um kleine Korrekturen und Herumdoktorei, sondern um ein revolutionäres Projekt der radikalen Problemlösung.

Das Ziel der Heilung ist, daß der Einzelne das untrügliche Gefühl hat, mit sich selbst im Klaren und Reinen zu sein und daß er in dieser Reinheit und Klarheit seinen Sippenangehörigen, Gemeindenachbarn und Volksgenossen gegenübertreten kann, um das gemeinschaftliche Leben zu führen, um in Gemeinschaft die sich stellenden Aufgaben zu erledigen und sich wohl zu fühlen. Diese Aufgaben sind letztlich nur in einer lebensbejahenden Atmosphäre zu lösen. Solange sich der einzelne Volksgenosse selbst etwas vormachen muß, muß er dies auch vor anderen tun. Solange er die anderen täuschen muß und sie über seine wahren Absichten im Unklaren halten muß, solange kann es keine wirkliche Gemeinschaft geben. Wo Einzelne sich selbst bekämpfen, weil sie bestimmte Dinge an sich, die ihnen mißfallen, nicht wahrhaben können, da bekämpfen sie dies auch bei anderen. Liebe heißt auch, andere sie selbst sein zu lassen, und diese Gelassenheit kommt durch die Eigenliebe: Ich lasse mich so sein, wie ich bin. 

Ich werde im folgenden darstellen, worin ich das Unheil sehe, das behoben werden muß, damit das Heil hervortritt. Ich werde dafür Thesen aufstellen, wie das Unheil Einzug gehalten hat in die einzelnen Menschen. Diese These läuft darauf hinaus, daß der Grund für den Verlust des Heils in der Ver- und Zerstörung des Menschen als Bäuchling, Säugling und Kind liegt. Unmittelbar damit hängt zusammen, was getan werden muß, damit das Heil wieder gewinnt. Die einzelnen Gebiete werden sich andauernd überschneiden: Wenn vom Unheil die Rede ist, wird auch vom Heil und von der Heilung die Rede sein.

Thesen sind immer Hypothesen und können nicht bewiesen werden. Das Schöne an der Volksheilslehre ist, daß sie auf keiner These basiert, sondern auf der Übernahme der Verantwortung eines/einer jeden Einzelnen, daß wir nicht dazu da sind, anderen irgendeine Wahrheit zu sagen, denn jeder hat seine eigenen Wahrheit. Das Schöne an unserer Heilslehre und ihre wichtigste These ist, daß die Wirksamkeit der Heilung von etwas ganz anderem abhängt als von irgendwelchen Thesen – etwa über die Ursachen des Unheils oder auch, worin das Heil überhaupt besteht –, und schon gar nicht von der Befolgungen von Verhaltensweisen, die sich vermeintlich aus diesen Thesen ableiten. Die Wirksamkeit der Heilung und das Heil selbst hängt nur von deiner Wahrheit und dir selbst ab.

Ich übernehme hier nur dafür Verantwortung, daß ich Thesen aufstelle, die sich aus meiner Wahrheit ergeben, ohne jedesmal ausdrücklich darauf zu verweisen. Was du damit anstellst, ist deine Sache.

Es wird hier um die Frage gehen, worin das Heil besteht und wonach sich die meisten Menschen sehnen. Danach wird es darum gehen, nachvollziehbar aufzuzeigen, wie das Heil verloren und zerstört wurde, und schließlich, wie es wiederzuerlangen ist.

Ich werde noch genauer erläutern, warum meine Thesen im Grunde für die Wiedererlangung des Heils unwichtig sind und was allein wichtig ist.

Was Volksheilung auch bedeutet, ist, daß das Volk sich selbst heilt. Das bedeutet zum einen, daß jeder sich nur selbst heilen kann und jeder nur selbst wissen kann, was gut für ihn ist, und Experten oder ähnliche Erscheinungen von oben oder außerhalb der Lebensumstände nur der Heilung, dem Zu-sich-selber-Kommen, im Wege stehen; und es bedeutet gleichzeitig, daß die Kräfte der gegenseitigen Unterstützung und Hilfe von gleich zu gleich und die ehrliche Begegnung eine wichtige Rolle im Volksheilungsprozeß spielen.

Die Mitwirkung anderer am individuellen Heilsvorgang (Bildung von Heilgruppen) kann ganz verschiedene Formen annehmen, die sich immer von den Gegebenheiten vor Ort und dem konkreten gemeinschaftlichen Umfeld ableiten. Der Einzelne ist es, der sich Hilfe sucht und somit an der Basis der Gruppenbildung steht. Und es ist auch der Einzelne, der sich bewußt dazu entscheidet, Hilfe und Unterstützung zu geben und zu nehmen. Wie diese genau aussieht, hängt ganz von der besonderen Gruppe ab. Und die Form der Gemeinschaftlichkeit zur Heilung hängt nur von den individuellen Bedürfnissen ab, ergibt sich aus dem, was den Einzelnen wirklich zu mehr Heil verhilft. Einrichtung und Arbeitsweise der Gruppen richtet sich ganz nach dem, was wirklich heilend ist. Wir werden mögliche Hilfsszenarien beschreiben, an denen man sich orientieren kann, die je nach den besonderen individuellen und Gruppengegebenheiten angepaßt und abgewandelt werden sollen. Die eine Gruppe bildenden Einzelnen gehen stets nur von sich, von ihren konkreten Lebensumständen, ihrem konkreten Unheil, ihren konkreten Bedürfnissen aus, niemals von einem vorgefertigten Programm, das es so gar nicht gibt. Hier können nur zu prüfende und inspirierende Vorschläge gemacht werden, aber diese Heilslehre kann nur der erste Schritt in einem Prozeß sein, in dem wir alle noch viel zu lernen haben, und dieses Lernen kann nur in der Praxis geschehen. Es geht hier also vor allem um einen Anstoß zur Praxis.

Im elektronischen Weltnetz ist ein Platz eingerichtet worden, auf dem sowohl Erfahrungen in den einzelnen Gruppen ausgetauscht, als auch „virtuelle“, aber nichtsdestotrotz reale Notgruppen für Einzelne gebildet werden können, die keinen Anschluß an physische Gruppen finden oder keine solche aufbauen können.

Entscheidend wird sein, ob sich Einzelne auf den Weg des Heils machen, d.h. versuchen, wieder ganz sie selber zu werden und die im Weg stehenden Hindernisse zu überwinden. Sie werden dann anderen helfen können, ebenfalls diesen Weg zu gehen. Es sollen hier Gedanken wiedergegeben und Anstöße gegeben werden, wie dieser Weg aussehen kann.

Die gegenseitige Hilfe des Volkes in bezug auf die Heilung gründet auf den bereits bestehenden gemeinschaftlichen und egalitären Kommunikationsformen ohne Hinzuziehung von Seelsorgern, Psychotherapeuten oder Beichtvätern und radikalisiert diese Kommunikationsformen lediglich. Diese sind die Gespräche zwischen Dorf- und Kiezbewohnern und Nachbarn, Arbeitskollegen, Freunden und Familien- bzw. Sippenangehörigen, die seelisch stabilisierend wirken und in denen das Lebensgeschehen verarbeitet wird. Radikalisierung dieser Kommunikationsformen heißt, daß unter oder hinter die Verarbeitung des Alltäglichen und der beruhigenden Beschäftigung mit den Auswirkungen des Unheils gegangen werden soll und die Quellen des Unheils abgeschafft werden. Am Stammtisch wird nur verarbeitet, d.h. wird das Unheil gemildert, erträglich gemacht. In der Volksheilgruppe wird versucht, die Probleme, die immer wieder nur verarbeitet werden, zu lösen. Es wird versucht, die Lebenslagen dahingehend zu ändern, daß es zu keinen Problemen mehr kommt, die immer wieder verarbeitet werden müssen. Aber die Vorstufe und der Ausgangspunkt dazu ist der Stammtisch mit seinen bereits ziemlich offenen Gesprächen, in denen viele Dinge bereits beim Namen genannt werden.

Verarbeiten heißt auch eine Rückbesinnung auf uns selbst, eine Wiederannäherung an unsere Natur, ohne die wir durchdrehen würden. Die Stammtische und verwandte Kommunikationsformen (wie etwa das Saunakollektiv) verhindern so gesehen das Schlimmste. Wenigstens wird das Funktionieren aufrechterhalten und für das Überleben gesorgt, auch wenn das Leben unheile ist und bleibt. Der Stammtisch und andere wenigstens halbwegs echte Volkskommunikationen ist zunächst einmal zu würdigen, reicht aber für die Ansprüche der Volksheilung, deren Grundlage sie sind, nicht aus. Die Ehrlichkeit sich selbst und den anderen gegenüber muß gegenüber dem Stammtisch noch wachsen, und es sollte weniger Alkohol getrunken werden, weil die Wahrheit sehr wohl im Weine liegt, aber morgen wieder vergessen ist und das Heil weiter auf sich warten läßt. Wenn sich Volksheilgruppen direkt vom Stammtisch oder aus der Sauna heraus entwickeln könnten, wäre das ideal.

Ein Leben in Zufriedenheit zu führen, setzt voraus, daß vielerlei Bedürfnisse befriedigt sind. Das geht vom Bedürfnis nach Nahrung über das Bedürfnis nach Sicherheit, dem Bedürfnis, einen anerkannten Platz in der Gemeinschaft einzunehmen bis zur Befriedigung der sexuellen Bedürfnisse. Alle diese Bedürfnisse und ihrer Befriedigung bilden ein Ganzes und können nicht voneinander getrennt werden. Jedes Bedürfnis spielt in ein anderes hinein. Das Grundbedürfnis könnte lauten: einfach funktionieren und sein angeborenes Programm, die tiefen Instinkte verwirklichen.

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[Heilbarkeit:]

Grundsätzliche Heilbarkeit. Warum Heilung möglich ist

Unser Begriff des Heilens ist der der Kinder: “heile machen": d.h. ganz (engl. whole) machen, in Ordnung, wieder zum Funktionieren bringen, von Störungen befreien. Wer geheilt ist, hat das Heil, d.h. ihm geht es gut, er kann sich von der Welt nehmen, was er braucht und fühlt sich wohl (wohl und voll hängen z.B. auch wieder mit whole zusammen. "Heilig" – zum Heiligen als dem Heilersatz kommen wir später – heißt auf englisch holy.)

Vieles Unheil ist nicht (mehr) zu heilen. Aber es ist mehr zu heilen, als angenommen wird. Es geht aber auch um neues Unheil, für das wir als Eltern verantwortlich werden könnten! Und das kann nur verhindert  werden, wenn wir uns selbst sensibilisieren und uns unserem Unheil stellen, für Unheil und Verletzungen überhaupt empfindlich werden; dabei werden wir gefühlvoller, und unser Unheil wird wenigstens teilweise behoben. Wenn wir das Unheil wirklich aus der Welt haben wollen, müssen wir bei uns selbst anfangen: Wir werden davon auch etwas haben...

Worin besteht der Heilungsprozeß? Was ist überhaupt der Heilungsprozeß? Was ist die Heilung, was ist das Heil?

Das Heil ist der Zustand der vollständigen Bedürfnisbefriedigung. Eine Person, deren Bedürfnisse immer befriedigt werden bzw. worden sind, bleibt bzw. ist im Heil, ist heile.

Unheil ist eine Person, die sich unbefriedigt fühlt und nicht mehr in der Lage ist, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, die nicht einmal mehr ihre Bedürfnisse wahrnimmt, geschweige denn sie befriedigt. Ihre Bedürfnisse und die Befriedigung gehören nicht mehr zu ihrer gesamten, ganzen Person, sind von ihr abgespaltet. Unheil ist auch eine Person, die der Meinung ist, daß ihre sämtliche Bedürfnisse befriedigt sind und dennoch unzufrieden ist. Das ist insbesondere die unter dem Begriff midlife crisis (Krise in der Lebensmitte) bekannte Erscheinung: Viele Bedürfnisse stellen sich dann als Ersatz- bzw. falsche Bedürfnisse heraus; die wahren Bedürfnisse sind verdrängt und bekommen keine Chance zur Befriedigung.

Das Volk sagt von einem unheilen Menschen, er habe „eine schlimme Kindheit gehabt". Das allerdings oft nur, wenn die Störung nicht zu übersehen ist. Wir alle sind aber mehr oder weniger gestört.

Der Heilungsprozeß besteht darin, daß man einen immer positiveren, mehr und mehr bejahenden Bezug zu sich und zur Welt herstellt und daß dadurch die Chancen auf Befriedigung der Bedürfnisse und auf Bewältigung der Lebensaufgaben wachsen. Dazu ist vor allem zunächst notwendig, die Bedürfnisse wieder wahrzunehmen und anzuerkennnen.

Das Heil als Ziel ist die Zufriedenheit des Einzelnen in seiner Gemeinschaft, die Befriedigung seiner Bedürfnisse (ein erfülltes Leben, eine ganze Person sein), die Abwesenheit von Spannung, Zwängen, Ängsten, Phobien, Komplexen usw.

Heil, befriedigte Bedürfnisse und ganze Person sind ein und dasselbe. Bedürfnisverdrängung ist Verdrängung von Teilen der Person.

Das größte Problem bei der Heilung ist die Resignation, das schleichende Absterben bei lebendigem Leibe: der Unheile will bzw. kann seine Situation nicht verändern. Der unheile Zustand ist Gewohnheit geworden, und das Ausmaß des Unheils ist überwältigend: Ach, man kann doch sowieso nichts machen!...

Der abzuändernde negative Bezug zu sich und zur Welt, der zu Unbefriedigtheit, Unwohlsein und Resignation führt, kommt dadurch zustande, daß negative Erfahrungen gemacht worden sind, die zu einer mehr oder weniger dauerhaften und tief eingenisteten lebensfeindlichen Haltung führen: Eine schlimme Erfahrung konditioniert uns, Situationen zu meiden, die Ähnlichkeiten mit dieser Situation aufweisen. Diese Situationen halten uns aber Bedürfnisbefriedigungen bereit. Unbefriedigte Bedürfnisse konditionieren uns darauf, unsere Bedürfnisse nicht mehr befriedigen zu können.

Wir sind alle nur Pawloff'sche Hunde und verschließen uns nach und nach bei anhaltend schlimmen Erfahrungen dem Leben. Der Wille, Bedürfnisse zu stillen, wird geschwächt oder zerstört: das Gebrannte-Kind-Syndrom. Ausweich- bzw. Ersatzbefriedigungen kommen ins Spiel, die erstens nur kurzzeitig oder oberflächlich befriedigen bzw. die Illusion des Zufriedenheit vermitteln, und zweitens schädlich sind. Das Kind wird programmiert: im Hinblick auf die gemachte Erfahrung und seine aktuelle Lage richtig, im Hinblick auf seine weiterhin existierenden Bedürfnisse und eine Zukunft, in der die konditionierenden Faktoren weggefallen sein können, falsch. Die Heilung wäre demnach eine Löschung des falschen, schädlichen Programms: existentieller Revisionismus.

Die folgenreichen negativen Erfahrungen nennen wir Verletzungen oder unbefriedigt gebliebene Bedürfnisse, was unterschiedlich sein mag, für die Zerstörung des Heils und im Hinblick auf seine mögliche spätere Wiederherstellung aber nicht von Belang ist.

Es gibt zahlreiche Bedürfnisse. Es gibt das Bedürfnis, ein interessantes, spannendes Leben zu führen, so wie es das Bedürfnis gibt, zur Ruhe zu kommen oder Zärtlichkeiten auszutauschen.  Da das Kind nie ein interessantes Leben oder den Austausch von Zärtlichkeiten kennengelernt hat, weiß es auch nicht, worunter es überhaupt leidet und daß es unbefriedigte Bedürfnisse hat. Diese Menschen verbringen den Rest ihres „Lebens" in langer Weile bzw. suchen zweifelhafte thrills und kicks, weil sie nichts anderes kennen.

Manche Kinder werden überfordert, manche werden unterfordert. Beides sind auf die Dauer prägende, ja, traumatische Erfahrungen. Die weit verbreitete Meinung, daß nur schlimme punktuelle, mehr oder weniger einmalige Verletzungen negative Folgen haben, ist falsch. Auch ganz „normale", scheinbar streßfreie und äußerlich unauffällige Kindheiten, können einen sehr schlechten Einfluß auf das spätere Leben haben. Langeweile z.B. und Mangel an freudvoller, ausgelassener Bewegung können verheerend sein und stellen insofern ebenfalls Verletzungen bzw. Entsagungen dar, die Folgen haben.

Jede Verletzung ist unheilstiftend und prägend, aber die Dauer des Unheils und der Prägung ist verschieden, je nach dem, wie schnell bzw. ob sie geheilt wird. Nicht jede Verletzung prägt das Kind auf Dauer; Voraussetzung dafür ist aber, daß die Prägung früher oder später gelöscht wird. Jede ungeheilte Verletzung hat unheilvolle Folgen, die später nur noch schwer zu korrigieren sind.

Die hier relevanten negativen Erfahrungen sind Verletzungen und Entsagungen, die dem Kind zugefügt werden, ohne daß das Heil des Kindes unmittelbar oder mittelbar nach einer Verletzung wiederhergestellt worden ist. Einige Verletzungen werden geheilt (Trost, Wiedergutmachung). Was die Heilung genau ausmacht, werden wir später sehen. Es ist eins der Wunder der Natur – und wir müssen von einem großen Glück sprechen –, daß Verletzungen geheilt werden können.

Die stattgefundenen Heilungen sind der Beweis dafür, daß Heilung prinzipiell möglich ist, unabhängig vom Zeitraum, der zwischen Unheilsursache und Heilung liegt. Jeder hat schon beobachtet oder erlebt, wie eine verletzte Person getröstet wird. Wir wissen zwar nicht, was aus der Person ohne diesen Trost geworden wäre, aber wir können es uns vorstellen.

Die meisten Verletzungen werden aber nicht geheilt, welchem Umstand zu verdanken ist, daß die meisten von uns unheile sind.

Krankwerdung (Heilszerstörung, Verunheilung) aufgrund dem Menschen und seinen Anlagen radikal entgegenlaufender, widerlicher Erfahrungen ist eine These, die nicht bewiesen werden kann.

Der Zusammenhang zwischen Sich-unzufrieden-fühlen und in der Vergangenheit gemachter Erfahrungen ist oft nicht sichtbar, kann oft nicht hergestellt werden. Eine weitere unbeweisbare These besagt, daß es einen diesbezüglichen Verdrängungsprozeß gibt. Die Thesen sind für einen wirksamen oder wirklichen Heilsprozeß aber unerheblich. In unserer Heilungstheorie muß es kein Wissen um diese Zusammenhänge geben (ein echtes Wissen davon ergibt sich im Prozeß der Heilung gleichwohl); ein solches Wissen (Scheinwissen) ist nicht Voraussetzung für einen Heilungsprozeß, und entsprechende Thesen sind unerheblich. (Was erheblich ist, dazu später.)

Besagte These ist kein eigentlicher Bestandteil unserer Heilslehre. Die Heilung findet wenn schon nicht durch Aufstellen und Verstehen von Thesen statt. Das mag ein kleiner erster Schritt und Anstoß sein, der aber mit dem eigentlichen Heilungsvorgang nichts zu tun hat. Alle möglicherweise „richtigen" Theorien – aber „richtig" besagt hier nichts – über den Ursprung des Unwohlseins können Gift und nur eine weitere Schicht der Entfremdung und Überlagerung des wahren Selbstes sein und sind es auch meist: nichts als antrainierte Begriffe und Ideologeme, die gerade eigene Gedanken und die Wahrnehmung eigener Interessen verhindern. Jede Theorie und jede echte Einsicht, wie richtig sie auch im Anfang waren, können sich zur Ideologie versteifen und verlieren ihren Charakter von Wahrheit. Deshalb darf eine These über den Ursprung des Unheils auch kein fester und wesentlicher Bestandteil einer Heilslehre werden, weil sie vom Unheilen, der sich ja am Unheilen krallt (das Heile ist für ihn mit Schmerz verbunden), in sein unheiles Weltbild einverleibt wird.

Alle Thesen und Theorien bewirken zunächst einmal eine Befolgung von vermeintlichen, vom Theoretiker gar nicht so beabsichtigten Verhaltensregeln, die einer tatsächlichen Heilung entgegenstehen. Diese Befolgung kann dennoch – so paradox es sich hier anhört – ein erster Schritt auf dem Weg der Heilung sein. Diese Widersprüchlichkeit gilt also auch im vollen Umfang für unsere Heilslehre. Durch Bewußthaltung bzw. Frustrierung der Erwartungen des Heils von außerhalb der eigenen Person und Verweis auf die eigene Verantwortung für die jeweils eigene Theorie des Heilenden wird der Heilvorgang nicht nur beschleunigt, sondern findet er überhaupt statt. Wir werden dieses komplexe, aber höchst wichtige Geschehen im Kapitel „Heilserwartung" erörtern.

Der Unheile sollte keine fremden Begriffe und Theorien übernehmen, sondern nur seine eigenen entwickeln. Er muß sich über sich und seine Lebenssituation selbst klar werden. Auch hier hat der Volksmund völlig recht: „Ich brauche keinen Therapeuten, ich bin mein eigener Therapeut."

Einem Menschen einzureden, welche Bedürfnisse er hat, wie er fühlt, die Welt wahrnimmt und denkt, kann keine heilende Wirkung haben. Da ein Bedürfnis etwas tief im Körper verankertes, etwas Leibseelisches ist, muß es auch selbst vom Betroffenen am eigenen Körper erlebt und wahrgenommen werden. Erst so erfährt der Betreffende, was er wirklich will. Das kann ihm keiner von außen einreden. Es gibt keine vom Körper abgetrennte Bedürfnisse; und die Signale, die auf einen Mangel oder auf eine Sättigung hinweisen, sind im Körper wahrgenommene Gefühle. Bewußtsein ist insofern zu aller erst bewußtes Wahrnehmen der Gefühle als Signale aus dem Körper. Im Idealfall stimmen Gedanken und Gefühle überein, sind sie nur zwei Aspekte der einen und selben Sache.

Der beste Kandidat für die Heilung ist derjenige, der keinerlei vorgefaßte Vorstellung und keine besonderen Erwartungen an das Heilungsgeschehen hat, dafür aber neugierig und gespannt darauf ist, sein Bewußtsein von sich zu schärfen, zu verdeutlichen und zu vertiefen; der sein Gefühlsleben intensivieren will, ohne aber dabei seine Gedanken abzutrennen, wie das bei Thrill- und Kick-Freizeitbeschäftigungen der Fall ist. Je mehr Heilserwartung, desto größer ist die Bereitschaft, die Vorstellungen eines anderen zu übernehmen: die eines „Heilers". Heilen aber kann der Unheile nur selbst und in Zusammenarbeit mit anderen Heilwilligen, die ihm nicht ihre Lebenserfahrung einreden, sondern ihn mit seiner Wahrheit akzeptieren.

Der Kandidat mag ein bestimmtes diffuses Unwohlsein spüren, er mag ein mehr oder weniger verschwommenes Gefühl haben, daß etwas mit ihm nicht stimmt, nicht richtig sein kann; daß das, was er tagtäglich erlebt, doch nicht alles sein kann, daß er unter mehr oder weniger unangenehmen, dabei völlig unerklärlichen Dingen leidet usw. Er mag auch ein gewisses Problembewußtsein haben und auch unter einem Leidensdruck stehen, ohne überhaupt sagen zu können, wo genau denn der Schuh drückt: Ich fühle mich nicht wohl, ich fühle andauernd Spannung: Das mag dann sein Problem sein.

Andere kommen mit regelrechten, klar definierbaren Problemen: Ich kaue an meinen Fingernägeln, ich leide unter einem Minderwertigkeitskomplex, ich merke, daß ich zwanghaft fresse und werde immer fetter u.drgl.

Die Volksheilungs-Sitzungen sind für beide Typen von Kandidaten da.

Die Heilung ist weder eine Symptombeseitigungs- noch eine Thrill- oder Kick-Aktion, wenngleich sie beides bedeuten kann.

Die Kandidaten haben jeweils nur eines zu tun: sich nur ehrlich auf sich selbst einlassen und sich wahrnehmen.

Möglicherweise entwickelt der eine oder andere dabei Bilder aus seiner Vergangenheit und kehrt zu dieser zurück. Das ist aber nur ein sekundärer (nachrangiger) Effekt.

Allein wichtig ist die Öffnung sich selbst gegenüber, die ehrliche Konfrontation mit sich und seiner problematischen Lebenssituation.

Daß der Zusammenhang von Verletzungen und späterem Unwohlsein meist nicht hergestellt wird, liegt daran, daß eine Verletzung und jede neuerliche Berührung mit ihr schmerzlich sind. Eine mechanische Verletzung zu heilen, bedeutet wenig Peinlichkeit (engl. pain, Schmerz); seelische Verletzungen und ihre späteren Auswirkungen sind peinlich, tun im Prinzip weh. Peinlichkeit ist die Ahnung und die Oberfläche des Schmerzes. Diese Peinlichkeit verhindert, daß die Heilung in Gang kommt. Menschen, die diese Peinlichkeit nicht verspüren, die einen freien Umgang mit seelischen Verletzungen haben, können auch solche Verletzungen (an ihren Kindern) nicht verursachen. 

Traumatische Verletzungen bleiben also in der Regel ungeheilt, weil die Fähigkeit, Kinder zu verletzen, die Unempfindlichkeit des Erwachsenen voraussetzt: Er merkt es nicht. Ein unempfindlicher Erwachsener aber kann nicht heilen. Nur jemand, der wenig merkt, verletzt. Und es ist auch derjenige, der auch nach der Verletzung das Leid des Kindes nicht bemerkt; für ihn ist das Kind lediglich „beleidigt", leidet aber real nicht. D.h. der gepanzerte Erwachsene weiß eigentlich, daß das Kind leidet, bagatellisiert dies jedoch oder erfindet nicht zutreffende Gründe dafür (rationalisiert): Das liegt am Wetter, am Essen usw.

Die Heilung findet in den allerwenigsten Fällen unmittelbar nach der Verletzung statt, nur unter der Bedingung außerordentlich günstiger Umstände. Ein solcher – allerdings sehr unwahrscheinlicher – Umstand kann sein, daß der verletzende Erwachsene plötzlich ein Einsehen hat. Es können aber auch an der Verletzung unbeteiligte, ja fremde Personen sein, die tröstend und heilend wirken. Diese Heilung ist aber nicht vollständig, hält aber wenigstens die Erinnerung wach. („Ein altes Mütterchen saß uns in der Straßenbahn gegenüber, als mich Vati ausschimpfte, und sie lächelte mich so gütig an... Sie war die einzige, bei der ich das Gefühl hatte, verstanden zu werden.")

Das Wachhalten der Erinnerung ist äußerst wichtig. Wo die Erinnerung an den gesunden Urzustand („als noch alles gut war") wachgehalten wird, liegt eine gute Heilungsprognose vor. Diesen Erinnerungen fehlt der emotionale Anteil, d.h. sie liegen symbolisiert vor. Das sind die persönlichen (oder kollektiven) Heiligtümer etwa in Form von Amuletten, Talismanen, Symbolen des Volkheils o.ä. Aber an ihnen hängt die ganze Erfahrung, und von ihnen ausgehend kann zum Selbst des Menschen zurückgegangen werden. Das Heilige ist das halb-, vor- oder unbewußte, jedenfalls unvollständige, nur rudimentäre Erinnern an das Heile. Das Heilige ist das unvollständige Heil, die Mystifikation des Heils. An ihm „hält man sich fest".

Wenn eine Verletzung nicht unmittelbar geheilt wird, dann heißt das aber nicht, daß die Heilung nicht auch noch später erfolgen kann. Dann wird sie halt aufgeschoben; der Konflikt wartet quasi darauf, gelöst zu werden; er wird in den Körper und in das Unbewußte verdrängt, wo Zeitlosigkeit herrscht, und kann dort prinzipiell jederzeit wachgerufen werden. Der Konflikt ist immer gegenwärtig, kann immer durch Bewußtmachung gelöst werden. Das Unmittelbare und das Verzögerte stellen keine prinzipielle Verschiedenheit dar. Heilung kann zeitlich mit der Verletzung verbunden sein – das wäre wünschenswert und optimal –, muß das aber nicht; es können Jahre dazwischenliegen. Das hört sich plausibel an, ist allerdings im konkreten Fall sehr schwierig zu praktizieren. Dennoch liegt in diesem Naturphänomen der prinzipiellen, also auch unmittelbaren, späteren Heilbarkeit die Grundlage für unsere Heilsbemühungen.

Die Plausibilität unserer Theorie wird dadurch verkleinert, daß bei der übergroßen Mehrzahl der zivilisierten Menschen sich im Verlaufe der Kindheit und Jugend Verletzungen an Verletzungen reihen, die alle ungeheilt bleiben. Eine Verletzung allein führt noch nicht zu einer Panzerung, d.h. zu einem Rückzug vor der Welt, die die Befriedigung der Bedürfnisse bereithält (es sei denn, sie ist „traumatisch").

Die meisten Menschen fühlen sich unbefriedigt, nicht weil die Welt ihnen die Befriedigung ihrer Bedürfnisse vorenthalten würde (das bilden sie sich vielleicht ein), sondern weil sie die Gelegenheiten zur Bedürfnisbefriedigung nicht wahrnehmen können. Warum nicht? – Weil die Nähe der Befriedigung peinliche Gefühle wachruft. Beim Anflug der geringsten Peinlichkeit läßt der Unheile die Hände davon. Peinlichkeit signalisiert Nähe zum Schmerz; Schmerz signalisiert Todesgefahr. Um diese Peinlichkeit nicht andauernd fühlen zu müssen, machen sich die Menschen ihre Bedürfnisse verächtlich und verachten sich für ihre Bedürftigkeit. Parallel bauen sie sich Ideale auf: So will ich sein. Das einzige wirkliche Merkmal eines Ideals ist, daß der Mensch, der es erfüllt, nichts mehr fühlt.

Unheilvolle Verhaltensmuster (lebensfeindliche, einengende Programmierungen) bzw. Prägungen, die einer Bedürfnisbefriedigung in der Gegenwart im Wege stehen, folgen nicht nur schlagartigen, als solche überhaupt wahrgenommenen und allgemein durchaus anerkannten Verletzungen, sondern über anhaltend ausbleibende Bedürfnisbefriedigung des Kindes, die im allgemeinen als nicht unheilbedingend anerkannt sind. Bei eine solchen kann auch von einer schleichenden, andauernden, vielleicht weniger spektakulären, nichtsdestotrotz aber verhängnisvollen Verletzung gesprochen werden. Der Betreffende mag dann der Meinung sein, er hätte eine „glückliche Kindheit" gehabt. Aber sowohl die vorfallartige, als auch das schleichende Verletzung führen beide zu Abpanzerungen, d.h. der Einzelne wird dahingehend konditioniert, daß er aufgibt, die Befriedigung seiner Bedürfnisse für möglich zu halten und erst gar nicht mehr aus sich heraus auf die Welt zugeht, um seine Bedürfnisse zu befriedigen. Hier stehen ihm Hemmungen im Weg. Eine Möglichkeit, scheinbar in den Genuß einer Befriedigung zu gelangen, besteht für den Kranken darin, daß er diese Hemmungen mittels bestimmter Drogen ausschaltet. Er findet nun vorübergehend ein dem Heil ähnelnden Zustand. Läßt die Wirkung des Enthemmers oder der die unangenehmen Gefühle betäubenden Drogen nach, findet sich der Kranke in derselben mißlichen Lage wieder, der er mit der Droge zu entgehen hoffte. Sie wird aber nach der Drogen-, also der andeutenden Selbst- oder Heilserfahrung, als noch schmerzlicher und noch weiter vom Heil entfernt empfunden. Das führt den Unheilen schnell zur Droge zurück, und ein Teufelskreis entsteht.

Betäubungsmittel und Schmerztöter, d.h. Abwehr der unangenehmen bis schmerzlichen Gefühle des realen Selbstes, können die klassischen Drogen, können aber ebenso Intellektualität, Politik u.drgl. sein. Auch diese können zu keiner dauerhaften und wirklichen Befriedigung führen. Eine weitere Abwehr besteht darin, die realen Bedürfnisse ins Lächerliche zu ziehen oder sie mit einer Handbewegung abzutun.

Nimmt der Unheile keine Drogen mehr, kommen zuerst jene Schmerzen zum Vorschein, die bei der Zerstörung des Heils entstanden und verdrängt worden sind, d.h. die die Zerstörung des Heils verursacht haben. Sie sind der Vorbote des Heils. Der Unheile muß durch dieses Stadium hindurch. Er muß es lernen, die Schmerzen bei Bewußtsein zuzulassen und die mit ihm verbundenen Erinnerungen nach und nach immer deutlicher auszusprechen.

Kommen wir zum Kern zurück: In der unmittelbaren und sofortigen Heilung liegt der Prototyp für jede spätere, quasi nachgeholte Heilung. Die unmittelbare Heilung ist der Beweis für die prinzipielle Heilbarkeit einer Verletzung. Dies soll mit einem Beispiel, das einfach und für jeden nachvollziehbar sein sollte, illustriert werden:

Es kommt oft vor, daß von Kindern Dinge erwartet werden, die sie nicht tun können. Nehmen wir ein Kind, das auf einem Spielplatz spielt. Es versucht irgendwo hinaufzuklettern, schafft dies jedoch nicht. Der Vater erträgt die Schmach nicht, daß sein eigenes Kind etwas nicht schafft, was andere Kinder schaffen, und macht sich über das Kind lustig. Das verletzt das Kind zutiefst, und es entzieht sich, um sich vor weiteren möglichen Attacken zu schützen hinter einen Baum: Es darf in seiner Schwäche und Verletzlichkeit nicht gesehen werden, weil Schwäche eine Einladung für weitere Angriffe ist. Dort wartet es darauf, daß es der Verletzende oder wenigstens irgendeine andere Person aufsucht und es aus der Isolation herausholt, d.h. daß die Gefahr als nicht mehr gegeben erkannt wird. Des weiteren erwartet daß verletzte Kind, daß das Erlebte verarbeitet, d.h. thematisiert, rekapituliert und ausgewertet wird („Was war denn gewesen?"). Dies im Hinblick auf in der Zukunft mögliche, sich möglicherweise wiederholende Verletzungen; das Kind muß sich vergewissern, daß die Gefahr tatsächlich aus der Welt ist, bevor es wieder aus dem schützenden Versteck kommen kann.

Ein erfolgreicher Umgang mit der Gefahr, d.h. eine realistische Einschätzung möglicher Gefahren ist die Heilung, stellt die größtmögliche Ganzheit wieder her, ermöglicht wieder das Optimum an  Bedürfnisbefriedigung. 

Das Kind ist gedemütigt, verletzt und empfindet Schmerz. Diese Verletzung kann und sollte jetzt geheilt werden, indem sich der Vater ihm vorsichtig nähert und mit der Heilung beginnt, das Kind etwa nach der Ursache seines Verhaltens fragt und ihm die Gelegenheit gibt, auf die verletzende Veraltensweise des Vaters zu reagieren und den Schmerz (oder auch die Wut) zu äußern. Der Vater muß jetzt verständnisvoll und einfühlsam sein. Erst wenn das Kind fühlt, daß der Vater den Schmerz des Kindes nachempfinden kann und ihm somit signalisiert, daß er es nicht noch einmal tun wird, erst dann kann das Kind die Isolation verlassen, sich erneut dem Vater gegenüber öffnen und wieder froh und glücklich, d.h. heile sein. Jetzt wird es beim nächsten Besuch des Spielplatzes abermals versuchen können, auf das Gerüst zu klettern. Dies wäre eine erfolgreiche unmittelbare Heilung.

Der Vater, der sich über sein Kind lustig macht, ist aber wahrscheinlich nicht dazu in der Lage, die Verletzung überhaupt zu erkennen und sich bei dem Kind zu entschuldigen, es zu trösten und damit die begangene Verletzung zu heilen bzw. aus der Welt zu schaffen und das Kind wieder aus seiner Isolation in die Welt zurückzuholen, in der es seine Bedürfnisse befriedigen kann.

Was passiert, wenn der Vater das Kind nicht aus der Isolation holt, es nicht tröstet, die Verletzung also nicht unmittelbar heilt? Besteht dann auch die Möglichkeit einer späteren Heilung? Im Prinzip ja, aber je mehr Zeit vergeht und neue, ungeheilte Verletzungen hinzukommen, desto schwieriger ist es, alte Wunden zu heilen. Die Zeit spielt dabei eigentlich keine Rolle: Verdrängte und abgelagerte Inhalte, d.h. Erfahrungen, sind zeitlos, immer gegenwärtig, allerdings unbewußt, schlummern im Körper und im Gehirn. Was die Heilung verunmöglicht sind ungünstige Umstände und weitere Ablagerungen und Panzerungen, die bereits von den gleichen widrigen Umständen verursacht wurden und die aller Wahrscheinlichkeit weitere Ablagerungen verursachen.

Die alten Wunden müssen nämlich in diesem Fall wieder „aufgerissen" werden. Und wer reißt schon gern alte Wunden auf?

Die Zeit heilt allein keine Wunden, auch keine Gewebewunden; solche heilen nur, wenn die Voraussetzungen dazu gegeben sind, d.h. wenn der Gesamtorganismus stark genug ist und die Umwelt einigermaßen intakt. Da die Konflikte zeitlos im sog. Unbewußten lagern, so als gäbe es keinen Tag danach, spielt Zeit nur insofern eine Rolle, daß das Leben endlich und die Heilungszeit begrenzt ist.

Sehen wir uns jetzt genau an, was in unserem Beispiel weiter geschehen könnte. Es geht uns jetzt darum, wie aus der ausgebliebenen (unmittelbaren) Heilung eine aufgeschobene (mittelbare) Heilung wird. Daß die Heilung unmittelbar stattfinden kann, haben wir gesehen; schauen wir jetzt, ob sie auch mittelbar funktionieren kann:

Zu hause angelangt, geschieht möglicherweise folgendes: Die Mutter bemerkt, daß mit dem Kind „etwas nicht stimmt", etwas „nicht richtig ist". Sie nimmt das Kind beiseite oder in die Arme und befragt das Kind, will die Verletzung, also die Wunde, offenlegen, denn ohne Bewußtwerdung der Wunde, ohne Sicht auf diese, gibt es auch keine Heilung derselben. Das Kind muß aussprechen oder zeigen, jedenfalls deutlich und ganz ausdrücken, wo es weh tut bzw. weh getan hat. Die Verletzung kann nur aus der Welt geschaffen werden, wenn sie in all ihrer Brutalität zum Gegenstand der Aussprache (des Ausdrucks), d.h. bewußt gehalten bzw. gemacht wird. Das Kind muß die Gewißheit haben, daß genau das nicht wiedergeschieht: das, was es erlebt hat, und nichts anderes. Es muß unmißverständlich klar sein, worum es geht, d.h. das Kind muß von der Schutz- bzw. möglichen Angriffsperson verstanden werden; es braucht die Bestätigung, daß die Mutter genau weiß, worum es (ihm) geht. Deshalb muß so viel wie möglich geäußert werden und eine Kommunikation zustande kommen.

Jetzt hängt alles davon ab, wie tief die Wunde ist, wie schmerzlich das Offenlegen der Wunde und das Zeigen der Verletzung ist (dadurch wird das ganze verletzende Geschehen quasi noch einmal durchlebt, noch einmal empfunden), und wie viel Einfühlungsvermögen und Zeit die Mutter hat, wieviel Trost sie spenden kann. Ist sie gestreßt und abgestumpft, d.h. selbst verletzt und verunheilt, wird sie beides im nötigen Maß nicht aufbringen und, wenn überhaupt, sagen: „Ach, so schlimm war es doch gar nicht!" Die Verletzung (die Wunde) wird nicht offengelegt (nicht bewußt wahrgenommen und nicht gezeigt). Die Realität darf nicht die Realität sein. Das Kind hat zwar (äußerlich, materiell) das Versteck hinter dem Baum verlassen (müssen), bleibt aber innerlich und seelisch in der Isolation: es versteckt sich in sich selbst. In ihr ist das Reale, sein wahres Selbst, versteckt bzw. enthalten. Und in bezug auf die Außenwelt wird es weiterhin die Gefahrenquelle meiden müssen. So ist es jetzt konditioniert bzw. programmiert, automatisiert.

Aber es baut sich gleichzeitig eine neue Welt auf: die der Irrealität. Das Kind verdrängt sein wahres Ich und baut ein Ideal auf: etwas, von dem es (zu recht) annimmt, daß es, wenn es nur aufgebaut wird, ihm keine weitere Verletzung einbringt. Aber der Preis für diesen Persönlichkeitsaustausch ist sehr hoch: Das Kind (oder der spätere Erwachsene) ist nicht mehr wirklich, es (er) ist nicht mehr wirklich da, es fühlt sich nicht mehr, hat und sieht keinen Sinn mehr. Mit der Gefahrenquelle meidet es auch die Quelle der Befriedigung seiner Bedürfnisse. Der Unheile ist dann nur noch eine Hülle oder eine künstliche Person. Seine Bedürfnisse bleiben unbefriedigt, weil es sich nicht mehr traut, sie zu äußern. („Papa, ich will noch mal da hoch klettern!") Die Bedürfnisse aber können nicht einfach geleugnet werden: Sie wirken nach wie vor im Inneren, d.h. sie sind so wirklich wie das wirkliche Selbst, sind tief im Körperlichen verwurzelt. Sie sind nur abgespalten bzw. in Ersatzbedürfnisse verwandelt, die jedoch nicht zufriedenstellen können.

Die Verletzung verursacht zweierlei: Einmal – in bezug auf das Innere – werden die Gefühle, die Sinne abgetötet, was zum Gefühl der Sinnlosigkeit führt; zum anderen – in bezug auf das Äußere – können die aktuellen Bedürfnisse nicht mehr befriedigt werden. Das erste ist der symptomlose Unheile, das zweite der Unheile mit Symptom (Ersatzbefriedigung).

Das ungetröstete Kind beginnt sich also einzureden bzw. der Mutter zu glauben, daß es „nicht so schlimm" gewesen ist. Es entwickelt ein Ideal, demzufolge etwa Jungs nicht weinen dürfen, und die entsprechenden Verhaltensweisen; es entwickelt eine neue, andere Person, eine Art übergelagertes, „höheres" Selbst, ein zur zweiten Natur gewordenes Ideal. Dieses Selbst ist aber nicht sein primäres, (ur)eigenes, eigentliches Selbst; es ist ein fremdes und falsches, nur durch die widrigen Umstände entstandenes Selbst, das jedoch mehr und mehr die Oberhand gewinnen wird (Selbstentfremdung).

Damit verwehrt sich das Kind die Befriedigung seiner wahren Bedürfnisse, die allein ihm Zufriedenheit bringen können. Es wird sich immer danach sehnen, es wird davon träumen, gewandt klettern zu können, es wird neidisch sein auf gewandte Kletterer, und das alles überträgt sich auf verwandte und ähnliche Situationen bzw. Bedürfnisse, wird zum Charakterzug. Nach der Verletzung entsteht beim Kind das sekundäre (nachrangige) Bedürfnis nach Verständnis, nach Heilung. Das wird ebenfalls (durch die Mutter) nicht befriedigt, erneut verletzt.

Was nun müßte in dieser Lage der „sekundären Verletztheit" getan werden, um das Kind zu heilen? Diese Frage ist für die spätere Heilung, d.h. für den Augenblick, wo der Erwachsene sich entschließen sollte, sich zu heilen, also für die Wirksamkeit des späteren, heutigen Heilungsprozesses, von entscheidender Bedeutung. Wir müssen an dieser Stelle, bevor wir weitergehen, nochmals darauf hinweisen, daß die Mutter die Heilung in ihrer Hand gehabt hatte. Das ist für das Verständnis unserer Theorie von entscheidender Bedeutung. Sie hat die Möglichkeit nicht wahrgenommen.

Die Lage ist also folgende: Weder hat sich der Vater entschuldigt, noch hat die Mutter Verständnis aufgebracht: der Sohn ist nicht geheilt, d.h. die Verletzung nicht aus der Welt geschafft. Der Sohn härtet sich ab, zeigt seine Verletzung nun gar nicht mehr. Das verhindert bzw. erschwert zumindest, daß etwa eine dritte Person (Lehrer, Verwandter, Geschwister) Heilshelfer sein kann. Das Kind aber ist von seinen Eltern abhängig; diese sind seine alltäglichen Bezugspersonen; insofern von der dritten Personengruppe nicht die Heilung kommen kann, wenngleich diese für die Erinnerung an das Heil, für die Stärkung des verbleibenden heilen Kerns von großer Bedeutung sein kann.

Diese dritte Person wird möglicherweise auf der dritten (tertiären) Ebene zum Heilshelfer: Dem Lehrer fällt vielleicht auf, daß sich der Junge zurückzieht und seine Lebendigkeit eingebüßt hat. Er kann theoretisch den Heilungsprozeß auslösen: Er müßte den Jungen ansprechen, müßte ihm sein Geheimnis entlocken. Inzwischen ist es nämlich bereits ein Geheimnis. Das macht die Sache schon viel schwieriger. Dazu kommt, daß der Junge möglicherweise dem Lehrer nicht das nötige Vertrauen entgegenbringt, sich also nicht öffnen kann, weil der Lehrer auch viel zu unsensibel ist. Außerdem hat der Lehrer nicht genug Zeit, ist seine Aufgabe eine andere als Kinder zu trösten und würde er womöglich von der Schuldirektorin getadelt, oder es beschweren sich die Eltern anderer Kinder, weil er sich nicht genug um diese kümmert und den Lehrauftrag vernachlässigt. Tut er es dennoch, d.h. kümmert er sich um das verletzte Kind, legt er die Wunde offen, spricht er die Verletzung an und findet er die richtigen Worte des Trostes und gibt dem Kind die Gelegenheit, sich der ganzen Sache bewußt zu werden, wird das Kind geheilt; dann wäre alles gut. Dann müßte aber das Kind immer noch nachmittags zu denselben Eltern zurück, die – das haben sie bewiesen – für eine Heilung und das Heilbleiben kein gutes Umfeld sind. Es ist also auch nicht ratsam, dem Kind zur vollen Einsicht in seine Lage zu verhelfen, solange es diesen Eltern ausgeliefert ist; eine große Hilfe wäre ihm eine Person, von der es Liebe empfängt, die das Kind in seinem wahren Kern kennt und bestätigt.

Je mehr wir uns von der primären Ebene entfernen, desto unwahrscheinlicher, weil schwieriger wird eine Heilung. Die Krux aber an der Sache – was die Heilung immer unwahrscheinlicher und utopischer macht und die Heilbarkeit verschwindend klein wird –, ist, daß der Junge nicht auf dieser Ebene verbleibt, sondern sich weiter wandelt, weiter einpuppt, sein wahres Selbst immer weiter verschwindet. Er wird als stilles Wesen für die anderen Kinder uninteressant, möchte aber deren Gesellschaft nicht missen und läßt irgend etwas Scheinlebendiges raushängen, etwa den Halbstarken, womit es zwar Bedeutung erlangen kann, aber nur bei anderen Gestörten – die sich gegenseitig in ihrem Unheil bestätigen und bestärken.

Bei aller riesiger Schwierigkeit aber ist es im Grunde auf jeder Ebene der Selbstentfremdung möglich, zum eigentlichen Selbst zurückzukommen, d.h. heile zu werden. Wir haben gesehen, daß der Protoyp der Heilung (die unmittelbare Heilung) prinzipiell auf spätere Situationen übertragbar ist (mittelbare Heilung). Im Beispielfall hat es die Mutter in der Hand, gemeinsam mit dem Kind die Verletzung zu heilen. Der Weg des Heils, als auch der des Unheils, ist gangbar. Die Verletzung bleibt im Herzen des Kindes (Isolation) aufgehoben. Es kann prinzipiell an den Ort der Wegegabelung, wo sich das reale Selbst verabschiedet hat und einen anderen Weg, nämlich einen nach innen, genommen hat, zurückgegangen werden. Unmittelbare und mittelbare Heilung sind prinzipiell das gleiche. Es besteht die Möglichkeit, zeitlich weit zurückliegende Verletzungen zu heilen, weil Zeit in Sachen Heil und Heilung keine Rolle spielt.

Eine Heilung ist nur im Zusammenhang mit der Verletzung vorstellbar, gleich, wie viele Jahre seit der Verletzung vergangen sind. Wird das Kind nicht sofort nach der Verletzung, also solange die Wunde noch offen ist, getröstet und geheilt, so ist es theoretisch prinzipiell gleich, wann die verspätete Heilung erfolgt: nach zwei Tagen oder nach zwanzig Jahren: In beiden Fällen muß die Wunde erneut und äußerst behutsam geöffnet werden.

wird fortgesetzt

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[Geheimnis:]

Das Geheimnis

Geheimnisse sind zerstörbar, obwohl sie sehr versteckt und verborgen, im Geheimen liegen. Gerade wegen ihrer Geheimheit ist die Gefahr groß, daß sie ganz verloren gehen. Du solltest dich ab und zu in ihre Nähe begeben und schauen, ob sie noch an ihrer Stelle sind.

Du mußt mit deinem Geheimnis vorsichtig umgehen. Du darfst es nicht an jemand Unwürdiges verraten, den Säuen vorwerfen! Dann kann es passieren, daß es sich zurückzieht und noch geheimer wird. Denn es wird es dir (bzw. Deinem Monster) übelnehmen, es jemandem Unwürdigen gezeigt zu haben. Es kann sich nur einem geliebten Menschen öffnen, es kann sich im Grunde nur deinen Eltern öffnen, die dich in das Geheimnis getrieben haben, oder dir, deiner eigenen Trauer; es kann sich nur in Tränen auflösen.

Dir verbleiben nicht viele Gelegenheiten, dich deinem Geheimnis zu nähern und es zu bitten, sich zu öffnen. Wenn du es einem Unwürdigen verrätst oder es lüftest, wenn die Zeit noch nicht reif dafür ist, oder es verkaufst, weil du ungeduldig und gierig bist, weil deine Heilserwartung zu groß ist, dann kann es sein, daß du für immer verloren bist, weil sich das Geheimnis völlig zurückzieht. Du aber brauchst es, um heile zu werden oder überhaupt etwas Heiles in Dir zu haben (denn es ist das Geheimnis des Geheimnisses, als einziges an dir wirklich heile zu sein), es ist dein einziger Schatz.

Aber du wirst nicht umhinkönnen, das Geheimnis zu entlüften, wenn du das Heil finden willst. Das Heil liegt ausgerechnet im Geheimnis begraben. Das ist leider so. Dein Geheimnis birgt dein wahres Ich, deine Vergangenheit, das, was du erlebt hast und was dir widerfahren ist.

Wenn du es lüftest, wird es dir dein Herz zerreißen. Das ist aber nur der Eindruck. In Wirklichkeit ist es dein Herz aus Stein, das platzt und zerreißt, das sich wieder in Fleisch und Blut rückverwandelt, das wieder zum Leben kommt.

Du hast ihm dein Überleben zu verdanken (das Überleben deines wahren Ichs), aber gleichzeitig ist es dein Feind. Nicht das Geheimnis ist der Feind, aber die Geheimhaltung. Du mußt die Geheimhaltung beenden. Nicht mir oder irgend jemandem zuliebe, sondern deines Selbstes und deines Heils willen. Denn wenn du es nicht siehst, siehst du dich selber nicht. Vielleicht sprichst du es vor anderen aus, vielleicht auch nicht. Das schafft Vertrauen und wahre Freundschaft.

Aber denk an die Säue!

Es ist wie mit der Wahrheit, von der der Volkskünstler Bob Dylan singt, daß sie wie ein Pfeil sei, der durch ein enges Tor kommt:

       Truth is an arrow
       And the gate is narrow
       That it passes through.

Das Geheimnis und die Wahrheit sind sehr genaue Dinge, die du treffen mußt. So wie beim Boxen ein Schlag aus der Hüfte kommen muß, so mußt du aus dem Gefühl kommen, dann triffst du die Wahrheit und das Geheimnis besser.

Das Geheimnis darf nicht mehr geheim bleiben.

Bereite dich darauf vor, es zu lüften. Habe keine Eile, mach dir keinen Druck. Richte die Umstände ein, in denen du es lüften willst. Aber schiebe die Geheimnislüftung nicht ewig heraus! Du mußt es zu deinen Lebzeiten tun, wenn du dir noch einmal selber begegnen willst in all deiner Tiefe und Erlebnisfähigkeit, wenn du dein Erdendasein, dein Schicksal, deine Existenz und die der ganzen Welt noch einmal wahrnehmen, ausschöpfen willst, wenn du noch Erfüllung und das Heil finden willst, denn danach sehnst du dich, wenn du dieses unbestimmte, sinnlose, rätselhafte, leidvolle, absurde, unverständliche Etwas, das das Leben ist, die Welt und du dir selbst bist, hinter dir lassen willst.

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[Monster:]

Das Monster

Das fette fremde Selbst ist ein Monster, das wahre Selbst der Mensch.* Die meisten von uns haben solche Monster in sich; und manche scheinen nur noch und ganz und gar Monster zu sein. Bei anderen überwiegt der Mensch, ist er noch stark, nimmt noch den größten Raum ein. Bei manchen ist das wahre Selbst von Anfang an sehr schwächlich, dann ist es kaum richtig lebendig, sondern vom Monster, in diesem Fall dem Monster namens Tod gezeichnet: Schon im Mutterleib wurde es überlastet mit Streß, Krach, Unruhe, Betäubungsmitteln usw.

Andere wuchsen recht gut heran im Bauch, kriegten aber denn urplötzlich den Dämpfer bei der Geburt: Es ging nicht so raus, wie man sich das eigentlich vorgestellt hatte; es gab unvorhergesehene Hindernisse. Von diesem Dämpfer haben sie sich nie wieder erholen können, dieser Dämpfer hat sie stark geprägt. Bei denen hielt z.B. ein Monster Einzug, das andauernd sagt: Freu dich mal nicht zu früh! Wart erst mal ab, was noch kommt! Du magst dich proper fühlen und gut drauf sein, aber das böse Ende kommt garantiert! Das Monster dieser Menschen ist ein ständiger Spaßverderber, der nie Freude zulassen kann. Fühlen sich diese Menschen mal ansatzweise wohl wie vergleichsweise damals im Mutterschoß, kommt die damals folgende schlechte Erfahrung jetzt in Form dieses Monsters und sagt: Oh nein! Bilde dir nicht ein, daß das gut geht! Du solltest dich mal besser schon darauf vorbereiten, daß es bald sehr übel zugehen wird! Und irgendwann wird der Mensch wirklich immer schwächer und geht tatsächlich den Freuden des Lebens aus dem Weg, weil es dieses Monster nicht mehr sehen möchte, das ständig mit der Hölle droht. Und hat das Monster nicht auch jedes Mal recht behalten? Jedes Mal, wenn du dem Glück so nahe warst, da ging es am Ende doch nicht gut. Aber du hast nicht gesehen, daß es das Monster war, das dir die Freude verdorben hat. Wie nennt man das? Eine sich selbst erfüllende Prophezeiung?...

Das Monster ist das unheilvolle Geschehen, das als Erfahrung Teil der Person wird.

Wieder andere sind ganz gut aus dem Leib geflutscht, auch das hat noch sehr viel Spaß gemacht, diese Achterbahnfahrt und dieses Plupp!, wo noch mal der ganze Körper, das ganze Sein des Kindes sich ganz deutlich von Kopf bis Fuß spürt und durch diesen von der mütterlichen Öffnung ausgeübten gleichmäßigen Druck von allen Seiten sich als Ganzes wahrnimmt. Aber dann plötzlich wurden vielleicht die Tage immer trüber und langweiliger: dieses endlose Herumliegen im Bett oder im Kinderwagen, nur selten schaut mal jemand rein nach mir, nur selten sehe ich die Augen meiner Mutter oder eines lieben, interessanten und interessierten Menschen. Was soll das? Es ist zum Kotzen langweilig! Aber dann kommt die Angst ins Spiel, die Panik: Bin ich denn ganz allein?! Es ist auch die Hölle, ewig so im Stillen liegen bleiben und warten, vergeblich zu warten zu müssen! Auch hier kommt irgendwann die Verdrängung, das Monster, weil es nicht mehr auszuhalten ist! Es kommt niemand, Stunden um Stunden!... Aber was kommt, ist das große Abschalten. Irgendwann merkst du nichts mehr, irgendwann ist es dir gelungen, alles abzuschalten, gleichgültig zu werden: du wartest dann auch auf niemanden mehr. Du hast verdrängt, worauf du gewartet und daß du gewartet hast. Die neue Person, zu der du geworden bist, die jetzt den Raum in dir einnimmt, das ist ein ganz besonderes Monster: Das sagt natürlich: Alles ist vergebens, du kriegst nie, wonach du dich sehnst; du darfst am besten gar keine Wünsche haben. Verzichte auf alles! Und das Monster sagt das natürlich zu jedem; und sein Programm gilt für alle anderen Menschen, leider hast du nur die Macht nicht immer, es durchzusetzen, es sei denn, andere schanzen sie dir zu und du hast das Vergnügen, Diktator zu werden; oder du wartest darauf, Kinder zu haben, denen du dein Programm verkünden kannst und die sich daran halten müssen. Und alles geht von vorn los...

Ein anderes Monster ist der große Ironiker.

Wieder ein anderes ist der Spaßverderber usw.

Alle Prägungen, alle in widrigen Umständen erfolgte Programmierungen können mittels Wahrheit aufgelöst werden, so daß neue, lebensbejahende Programme platz greifen. Die Programme sind auf verschiedenen Ebenen (in verschiedenen Gehirnschichten) abgelegt, je nach dem, wann, auf welchem Entwicklungsstand des Kindes die Verletzung geschehen ist und welche Bereiche betroffen waren. In einem Alter, wo die Denkfähigkeit noch nicht entwickelt ist, prägt sich die Erfahrung einer Verletzung in tieferen Gehirnschichten ein. Die Entprogrammierung dieser Verletzung kann also nur auf dieser Ebene vonstatten gehen und nicht durch Reden; jede Ebene bzw. Schicht hat ihre eigene Ausdrucksweise. In allen Fällen, gleich, wie tief die Prägung ist, geschieht das Auflösen der Prägung, das Löschen des selbstfeindlichen Monsterprogramms durch die voll erlebte und ausgedrückte Wahrheit: Der Mensch meldet sich wieder zu „Wort". An diesem Lösungsgeschehen können Gedanken, Gefühle oder nackte Instinkte beteiligt sein: Der rote Faden, der diese eint und zusammenhält, ist die Wahrheit, das Gefühl der Echtheit, der existentielle Sinn, der dir sagt, wo und wie du bist und ob es richtig oder falsch ist.

Kein Mensch kann auf alles verzichten – da hat es das Monster schwer –, er braucht immer etwas: zu essen, zu trinken, Liebe, Zärtlichkeit, Sicherheit, Vertrauen. Manche Monster bringen dir fast wirklich bei, auf alles zu verzichten. Dann fragst du nach nix zu essen, nach nix zu berühren mehr. Aber so sehr verletzlich es ist, so verdammt zäh ist das Leben auch. Die Sehnsucht bleibt, nur sucht sich das Leben, suchst du dir einen Ersatz. Du fängst an, am Saum der Decke zu lutschen, an deinem Daumen; du fängst an, mit dir selber zu reden... – wie später im Knast, wo du anfängst, gegen dich selbst Schach zu spielen. Der Unterschied ist nur, daß du, wenn du aus dem Knast rauskommst, entweder kein Schach mehr spielst, weil du besseres zu tun hast, oder wenn, dann wieder mit einem Partner spielst. Als Kind wirst du für den Rest des Lebens geprägt.

Der Überlebenswille sitzt verdammt tief drinnen im Fleisch und in den Knochen. Der ist so zäh und auf seine Art so stark, daß du (es ist das Monster in dir, aber das weißt du nicht mehr) beginnst, dieses Leben zu hassen, das sich immer wieder meldet. Je mehr du vermißt und nicht haben kannst und darunter leidest, desto mehr kannst du an dir nicht leiden, und irgendwann bist du das Monster ganz. Du haßt dich und das Leben! Ohne das Leben wäre so schön Ruhe! Du haßt dieses zähe Leben (das keine Ruhe gibt und sich immer wieder meldet), du haßt dich unerbittlich.

Es ist aber nur das Monster, es ist dieses neue monsterhafte, dir eigentlich fremde Ich, das dich jetzt steuert. Und du bist längst nicht mehr in der Lage zu wissen, daß du das eigentlich gar nicht bist. Du denkst vielleicht, daß das Monster, der Verdränger, du selbst bist!

Der Verdränger verdrängt das richtige Ich, das richtige Leben, behindert es, macht aus dir einen Krüppel, einen Behinderten. Mit welchem zusätzlichen Ergebnis? Du als Behinderter kannst gar nicht mehr erfolgreich sein, kannst Dir gar kein schönes Erlebnis mehr bereiten, weil dieses Schwein von Monster dir ja alles vermasselt! Und das macht, daß das Monster recht behält! Es triumphiert, es sagt: Hab ich's dir nicht gleich gesagt? Also laß es in Zukunft! Ich habe keinen Bock auf weiteren Streß dieser Art! Wenn du nicht ruhig bist und das nicht kapieren willst und nicht auf mich hörst, dann hole ich noch ein paar richtige Schlucke – und ich Schmarotzer kann ordentlich schlucken! –, dann blähe ich mich noch etwas mehr auf, dann zeige ich dir, wie ich dich noch viel mehr an den Rand drängen kann wie eine große Gummipuppe, die immer praller wird. Oder ich ruf mal nach einem anderen, noch viel größeren Monster, das auch noch Zacken und Stacheln hat, die sich dir so richtig schön ins Fleisch pieken werden. Willst du das?! Und du sagst: Nein! Und merkst gar nicht, wie das Monster schon wieder größer geworden und mächtiger geworden ist. Es hatte ja recht!

Am Ende bist du das Monster...

Auch ich persönlich war einmal ein Monster oder besser: habe mich für ein solches gehalten. Ich habe mich immer für ein Monster gehalten und war mir nie sicher, ob ich nicht wirklich auch eins war... Es hat etwas gedauert, bis sich herausgestellt hat, daß nicht ich das Monster war. Ich weiß nicht mehr, worin es bestand, ich habe es verloren und vergessen.

Am Ende hast du dich ganz und gar verdrängen lassen und hast selbst noch die Verdrängung organisiert, hast dir schöne Rollen und Spielchen und Figuren ausgedacht, die dich wunderbar in Schach halten und dich wunderbar ablenken können. Aber diese Figuren, die merken nichts, die sind kalt und mechanisch, die sind trocken und verstaubt und häßlich.

Der einzige, der noch was merkt, das bist du, das ist das kleine Kind in dir, oder was noch davon übriggeblieben ist: irgendeine nebulöse Erinnerung, irgendein Symbol, ein Medaillon, deine Lieblingsblume von damals, ein Lied...

Verdrängung und Lüge sind das Unheil. Und du da drinnen, ganz tief verschüttet, du bist das Heil. Das Heil kommt nur von ganz tief drinnen bei dir. Es kommt nie von außen; es ist nie eine neue Rolle. Höre nicht auf Versprechungen! Höre nicht auf die, die es gut mit dir meinen. Höre auf keine Heilsversprechungen!

Höre nur und immer wieder nur auf dich da drinnen, auf diese kleine leise unscheinbare oder auch schreiende Stimme.

Geh nicht mehr hin zu den Politveranstaltungen, zum Fußball, zum Saufen – überall dahin, wozu du in dir drinnen keine wirkliche Lust hast, wo dich dein Monster hinschickt, wo du auch zum Monster wirst; wo du genau weißt, wie du von dort wieder zurückkommen wirst: wenig befriedigt.

Oder du gehst hin und prüfst dort alles mit offenen wachen Augen, nimmst alles ruhig und kompromißlos wahr.

Nimm diese Stimme wahr. Am Anfang ist sie ganz, ganz leise, und du sagst dir: Das kann ich doch nicht machen! Ich kann doch nicht auf eine so kleine Stimme hören! Das ist doch lächerlich! Alles wäre doch plötzlich ganz anders... Du kannst doch nicht die gewohnten Bahnen verlassen!

Du tust es aber trotzdem, und irgendwann wird die Stimme größer, wirst du selbstbewußter, ruhiger, gelassener, souveräner, und die Stimme verwandelt sich immer mehr in ein Gefühl, in untrügliche körperliche Sensationen. Es wird dir immer bewußter, was es heißt, ehrlich zu sein.

Du kannst ehrlich sein, aber du hast Angst vor den Konsequenzen. Ehrlichkeit heißt die gewohnten Bahnen verlassen, heißt plötzlich ganz einsam sein, heißt, dir neue Freunde suchen zu müssen oder Gefahr zu laufen, Freunde zu verlieren.

Deine Entscheidung.

Dieses Gefühl, dieses Gespür für das Echte, Ehrliche, für das, was du willst und das, was du nicht willst, das ist der Kompaß, dein roter Faden, an dem du dich nach oben ins Licht zerrst. Langsam, Stück für Stück. Da ist noch etwas da von dir, verspiele es aber nicht, verquatsche es nicht, rede es nicht kaputt! Und sehr wichtig ist: Nutze die Gelegenheiten! Du wirst nicht beliebig viele haben. Die Gelegenheiten werden immer weniger, je älter du wirst. Die Zeit läuft aus. Denke dran, aber gerate nicht in Panik. Das ist das Monster in dir!

Nutze die Gelegenheiten, zu dir, zu dem wahren Ich in dir zu stehen, es wahrzunehmen, es zu bejahen, es kennenzulernen, dir seiner, deiner bewußt zu werden und es entsprechend auszudrücken. Das Annehmen, Wahrnehmen und Bewußtwerden ist das, was das wahre Ich und die anfangs noch so kleine Stimme immer stärker, größer werden läßt, das deinem wirklichen Ich Raum verschafft und das Monster zurückdrängt.

Du mußt die Verdrängung rückgängig machen, das Monster zurückdrängen. Das geschieht aber nicht mit Gewalt (das sind die Methoden des Monsters), sondern nur durch Anerkennen, Wahrnehmen, Bewußtwerden und dann durch Dazu-Stehen (auch zum Monster, denn es ist Teil von dir, du hast es zu dir hineinnehmen müssen). Zu sagen: der kleine, verdrängte Mensch da drinnen, das ist mein wahres Ich, das bin ich selber. Und dem helfe ich jetzt; ich helfe mir selber. Ich mache mir Mut, ich rede mir gut zu, ich mache es mir einfach, zu dem kleinen, verdrängten Ich zu stehen. Ich suche mir auch Hilfe; ich bitte einen mir vertrauten Menschen um Hilfe, er möge meinem schwachen Ich, mir beistehen. Oder ich fantasiere mir Hilfe. Ich rufe mir die Personen in der Erinnerung zurück, die mir früher schon mal, damals, auch beigestanden haben, die es zumindest versucht haben, die mir wenigstens einmal zugelächelt haben, die durch meinen Monsterpanzer hindurch mit meinem wahren Ich, mit mir gesprochen haben, zu mir gesprochen haben, oder ich erfinde jetzt eine solche Person. Die einen liebevollen Blick in mich hineingeworfen haben, zu mir, meinem versteckten armen Ich. Die ganz unscheinbar waren, diese wenigen liebevollen Personen, die nur mit einer Geste einen heimlichen Wink zu deinem inneren Selbst geworfen haben. Aber du hast ihn verstanden: Sie haben dich erkannt. Sie haben dein wirkliches Ich gesehen, und es hat dir so gut getan, erkannt zu werden, daß du tief traurig darüber wurdest. Sie haben dir dein wahres Ich nicht zum Vorwurf gemacht, sie haben es nicht als den inneren Schweinehund verleumdet wie andere, nein, dein wahres Ich ist kein Schweinehund. Diese Personen haben es gesehen, und sie haben es – geliebt!... Wie das?... Sie fanden genau das, dich, wie du wirklich bist, liebenswert! Ihre Anwesenheit war so paradox in dieser Welt. Sie waren wie Oasen. Es war, als wärest du eine wärmeempfindliche Kamera, und diese Personen wären ganz rot, und drumherum alles blau. Das blau war aber die gewohnte, die "wirkliche" Welt, eine andere gab es doch nicht... Aber doch, es gab etwas Anderes; welch Wunder... – und das war die wirkliche Welt.

Hol dir jetzt diese Personen in der Fantasie zurück! Die alte Frau in der Straßenbahn, wie sie euch gegenüber saß, dir und deiner Mutter und dich so liebevoll mit warmen strahlenden Augen ansah! Sie wird auch jetzt noch da sein, weil du sie zu dir hineingenommen hast zu deinem wahren Ich und in dein Herz. Dort hat sie es beschützt, sie hat aufgepaßt, daß es am Leben bleibt. Nicht mit Waffen, nur so, wie sie war: alt, grau, schwach, aber voller Liebe. Sie ist noch da. Du hast sie bloß fast ganz vergessen, hast sie fast ganz verdrängt.

Es waren die anderen, die dich zum Verdrängen gezwungen haben, ja. Aber verdrängt – so grausam das ist – hast du. Und heute hast allein du und niemand sonst die Verantwortung, die Verdrängung rückgängig zu machen. Selbst wenn deine Eltern oder wer auch immer dir heute helfen wollen würden: Du würdest dich öffnen müssen, du mußt die Verdrängung aufheben. Es ist sehr, sehr schwer, aber es geht.

Es nützt dir nichts, irgendwas auf das Monster zu schieben. Du hast keine Schuld am Monster, die haben andere; aber du hast es nun mal in dir, und nur du willst und kannst und muß es loswerden; du hast es – aus welchen Gründen auch immer – übernommen und trägst heute allein die Verantwortung dafür.

Steh' einfach dazu. Stell dich hin und sag: So bin ich.

Hab keine Angst, dir wird Hilfe zuteil werden. Du mußt nur den ersten Schritt gehen, alles hängt nur von dir ab. Und selbst wenn du zu schwach bist, und es doch von jemand anderem abhängt: dann laß diesen anderen an dich herantreten! Bis er etwas in dir in Gang gesetzt hat. Laß dich inspirieren, laß dich beleben, begeistern, und sei es noch so still. Such dir die Menschen, die echt sind. Sie versetzen deine eigene Echtheit in Schwingung. Mach alles, was du kannst, um wieder du selbst zu werden. Der Fantasie sind keine Grenzen gesetzt.

Verdrängen, Nichtwahrhabenwollen, Betäuben, Einschläfern, Überreizen, Spiele spielen, Abhauen vor dir selbst auf tausend Arten und Weisen ist dein Unheil. Das Gegenteil ist das Heil: nicht mehr Abhauen vor dir selbst und deinem Monster, Annehmen, Akzeptieren, zur Ruhe kommen oder die Ruhestätte verlassen, die Gruft, in der es sich dein Monster so behaglich eingerichtet hat, je nachdem, wie dein Monster dich verdrängt. Und mag es noch so peinlich, so unangenehm, so schmerzlich sein, magst du dir so alleine und verlassen vorkommen: Du hast keine andere Wahl, wenn du heile, du selbst werden willst, mit dir selbst im Reinen.

Überlaste dich nicht damit, nimm dir nicht zu viel vor: Das sind die Methoden des Monsters, der Verdrängung! Gute Einsichten, gute Vorhaben können monsterhafte Züge annehmen. Schau dir die Revolutionen in der Menschheitsgeschichte an: Sie sollten alle das Heil bringen. Und was haben sie gebracht?...

Manchmal aber sieht die Wahrheit monsterhaft aus, radikal und revolutionär, bis zum Geht-nicht-mehr. Die Wahrheit ist tatsächlich monsterhaft – wen wundert's –, denn sie kündet vom Monster; aber der Überbringer der schlechten Nachricht ist nicht schlecht.

Nein, du mußt vorsichtig mit dir umgehen, sorgsam, empfindsam. Da darfst dich von niemandem drängen lassen, von deinem Monster nicht und von keinem anderen Monster (in Menschengestalt), auch wenn sie dir das Heil in Aussicht stellen.

Geh auch mal eine Wegstrecke mit einem Monster oder einem Menschen, wenn du dir nicht im klaren darüber bist, ob es ein Mensch oder ein Monster ist. Sieh ihn/es dir an, prüfe ihn/es. Aber versäume nicht, rechtzeitig wieder abzuspringen. Bewahre dir immer eine gewisse Skepsis, einen gewissen Abstand, beobachte, zieh dich immer wieder zurück, um verarbeiten zu können. Höre vor allem und nur und immer wieder auf deine innere Stimme! Wenn du sie nicht hörst, dann halte dich fern von dem oder denjenigen, wo du Zweifel hast, wo du dir nicht im klaren bist: In diesem Moment ist er oder sie nicht das Richtige für dich. Reiße deinen Mut zusammen und verlasse das Monster oder auch den Menschen, wenn du dich auf sie eingelassen hast, auch wenn es noch einmal weh tun wird. Hab keine Angst: Sollte er das Richtige sein, wirst du jederzeit zurückkommen können.

Und wenn nicht, hast du eben Pech gehabt.

Aber prüfe deine Skepsis, ob sie nicht nur die Angst vor der Wahrheit, ob sie nicht das Monster ist. Bist du zu mißtrauisch, d.h. hast du Angst vor der Wahrheit, kann es sein, daß der Zug ohne dich abfährt.

Aber laß dir keinen Druck machen. Druck kann niemals das Heil sein.

Du bist jetzt groß genug, dich jederzeit von jemandem zurückziehen zu können. Du bist niemandem mehr ausgeliefert. Falls doch, sorge dafür, daß du unabhängig wirst. Wenn du das Gefühl hast, daß du jemanden ausgeliefert bist und du merkst, daß der andere das ausnutzt, dann geh weg von ihm. Oder gib ihm das, was er haben will, wenn du es brauchst, aber sei dir dessen bewußt. In jedem Fall bist du für dich verantwortlich, niemand sonst.

Hast du das Gefühl, der andere nutzt das nicht aus, sondern läßt dich einfach so sein, wie du bist, schwach und ausgeliefert, dann nutze das. Hab Vertrauen, nutze diese Gelegenheit und nimm es an, dein Ausgeliefertsein, deine Hilflosigkeit. Laß einfach die Wahrheit zu. Denn genau das bist du! Denn das ist es, wonach du suchst: du selbst. Anerkenne deine Schwächen, werde dir ihrer bewußt. Je ehrlicher und gründlicher du es tust, je vollständiger du sie dir eingestehst und sie erlebst, desto schneller wächst dein inneres wahres Ich. Indem du ihm zuhörst, indem du auf es hörst, je intensiver du dich mit ihm identifizierst, deinem armen schwachen Ich, je bewußter du es wahrnimmst, desto stärker, selbstbewußter machst du es, d.h. machst du dich.

Stell dir das so vor: Deine Wahrnehmung, dein ehrliches Anerkennen deines schwachen Ichs ist die Energie, die in es fließt, die ihm Kraft gibt und die es aufrichtet. (Wundere dich aber nicht darüber, wie schwach du bist...) Die Wahrheit ist die Kraft, ist die Energie, das Gefühl, die dich stark macht. Die Lüge ist nicht stark, sie scheint nur stark zu sein. Dann sieh, wo du gelandet bist! Um dich stark und selbstbewußt zu machen, mußt du nichts machen, sondern Bewußtheit in dich fließen lassen. Bewußtheit ist das Wissen von dir, von deinen Geheimnissen. Dein schwaches Ich ist dein Geheimnis; dein Geheimnis ist das, was von deinem wahren Selbst, das du verdrängen mußtest, übrig geblieben ist. Keiner weiß es, allen hast du (hat dein falsches Ich) etwas vorgespielt, aber auch dir, deinem wahren Ich. Das Geheime, Namenlose, Unbekannte, Gehütete, Unbewußte entfaltet dann seine Stärke, wenn es aufhört, geheim zu sein, wenn du es weißt, wenn du plötzlich weißt und dir klar darüber wirst, was es ist, was das Geheimnis, welches Leben es bedeutet.

Peter Töpfer

* Ich habe dieses Bild aus Karl Nagels Bunkerbrief Nr. 28 („Mensch oder Monster!") übernommen. Die Bunkerbriefe sind ein Beispiel für einen Befreiungs- und Heilsprozeß. [zurück zu Anfang “Monster”]

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