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Auseinander- und Zusammensetzung mit Antinationalen
Nation, Nationalstaat, John Lennon, Jürgen Elsässer und ich. Einige Gedanken zu Gedanken aus Jürgen Elsässers Buch "Antisemitismus – das alte Gesicht des neuen
Deutschland"
Jürgen Elsässer schreibt im ersten Satz seines Buches "Antisemitismus – das alte Gesicht des neuen Deutschland" (kommt da nicht ein Genitiv-S hinten dran? – Aber bei
der Liebe Jürgen Elsässers zur deutschen Sprache können wir wohl davon ausgehen, daß es so stimmt): "Die deutsche Nation ist keine anthropologische Tatsache, sondern eine kollektive Halluzination."
Nun, dieser Satz könnte uns gefallen. Die Nation, wie sie Elsässer versteht, ist tatsächlich ein "Konstrukt", etwas Künstliches. Für ihn ist nämlich Nation und Nationalstaat
eins – was es für uns natürlich nicht ist; für uns ist die Nation eine unter den verschiedenen Gesellschaftssystemen und Staatenbildungen liegende Konstante durch die Geschichte hindurch, ein roter Faden,
der seinen Ursprung in der Vorgeschichte und im Tierischen hat und daher eine anthropologische Tatsache ist und nach dem Ende der Geschichte in den entstehenden Anarchien wieder zur Naturalkulturalform wird.
Einige Sätze später spricht er tatsächlich mit einem Male auch nicht mehr von Nation, sondern von Nationalstaat, ohne zu erläutern, was überhaupt den Unterschied zwischen beiden ausmacht. Und dieser
Nationalstaat sei mit "der Durchsetzung der kapitalistischen Ökonomie" entstanden (S. 7): Die "entstehende Bourgeoisie brauchte die Machtmittel des Zentralstaates." "In der
vorkapitalistischen Zeit hatten die staatlichen Einheiten kein nationales Profil. Im ‚Heiligen Deutschen Reich deutscher Nation‘ beispielsweise war eine bunte Mischung verschiedenartiger Kulturkreise
versammelt..." Das mag alles – auf den Nationalstaat bezogen – so richtig sein. Aber unsere Konstante, unser roter Faden (hier in der Zeit des Feudalismus), der sich durch alle Staaten in der
Geschichte hindurchzieht, unter diesen liegt: Klingt er nicht im Zusatz "deutscher Nation" an? Wenn es im Feudalismus angeblich noch keine Nation gab (es gab keinen Nationalstaat – da stimmen wir
Jürgen Elsässer zu), woher kommt dann dieser Zusatz "deutscher Nation"? Natürlich herrschten im Ersten Reich die Kaiser über ganz verschiedene Volksgruppen. Aber den zahlenmäßig größten Anteil an
diesen hatten die verschiedenen deutschen Volksgruppen. Wir meinen, in den Feudalherren ist – wenn auch pervertiert und kaum mehr erkenntlich – von dem Ursprünglichen das übrig geblieben, was Thomas
Wagner in Zusammenhang mit anderen (nichtdeutschen) primitiven Gesellschaften als die "Schamanen als Charismatiker herrschaftsfreier Gesellschaften" bezeichnet. "Erst im Durchsetzungsprozeß dieser
neuen [bürgerlichen] Staatsform wird auch die Nation geschmiedet", schreibt Jürgen Elsässer weiter. Was ist aber mit dieser anklingenden, bereits doch irgendwie existierenden deutschen Nation, die es
offenbar schon im Feudalismus gegeben hat? Wie deutet Jürgen Elsässer diese Präzisierung? Wann ist die "geschmiedet" worden? Unsere These ist: Der Nationalstaat mußte – wie alle Staaten –
geschmiedet, d.h. erzwungen werden. Die Nation wurde nie "geschmiedet", sie war nie ein Konstrukt, sie war stets "anthropologische Tatsache", und sie ist es heute, und sie wird es morgen
sein. Sie ist das alltägliche Leben unter Ähnlichen, unter Verwandten und Bekannten, unter Nahen, sie ist das biopsychische Kommunikationssystem von sich örtlich wie gefühlsmäßig Naheseienden, sie ist die
ursprüngliche, natürliche Gemeinschaft. Und sicher wird mit ihr zur Konstruktion von Staaten operiert, wird sie vereinnahmt, ausgenutzt, manipuliert, werden Nationen aufeinandergehetzt usw. Verschiedene sich im
Verlaufe der Geschichte herausbildende Schichten oder Klassen oder Geschlechter (in beiden Bedeutungen des Wortes) reißen die Macht an sich; das dabei zustande kommende Herrschaftssystem heißt Staat.
Auch Jürgen Elsässer könnte zu meiner, zur deutschen Nation gehören, d.h. er erfüllt mehrere Kriterien: Er teilt mit mir das Territorium, er teilt mit mir die Sprache und er berührt mich.
Aber er verläßt andauernd diese Nation, indem er ihr z.B. den Raum verwehrt und dem Migrationismus das Wort redet, die Nation also einer ständigen Gefahr aussetzt, nicht zur Ruhe kommen läßt, ständig über sie
hinwegfegen läßt, indem er Globalismus und Migrationismus das Wort redet, und damit ausgerechnet jenem Kapitalismus einen Dienst erweist, mit dem für ihn doch das Unheil der Nation, die er sich nur als
Nationalstaat denken kann, seinen Lauf nahm. Dieser Dienst ist für den Kapitalismus von größter, in der heutigen Zeit der endgültigen Durchsetzung des Freihandels oder seines Scheiterns von entscheidender
Bedeutung. Der Kapitalismus muß, will er sein Ziel Welteinheitsmarkt erreichen, die Nationen zerstören. Zu diesem Zwecke geht er eine Symbiose mit Teilen einer Menschengruppe ein und bedient sich ihrer, die zwar
in den Nationen leben, sich den Nationen und ihren Kulturen mehr oder weniger unangehörig fühlen. Um ihr Elend, ihre Nichtzugehörigkeit zu den dem entsprechenden Land zugeordneten sog. Einheimischen, von denen
sie sich apartieren (und reziprok auch apartiert werden), zu verdrängen, gehen manche von ihnen daran, diese Nationen zu zerstören, wovon sie sich eine Heilung, eine Erleichterung erhoffen: in der
Weltgesellschaft mit einer Weltregierung geht es allen wie uns, hat keiner mehr eine Heimat. Aus dem Schmerz heraus, nicht der Gruppe von Menschen wirklich anzugehören und ein Teil dieser zu sein oder zu werden,
die einen bestimmten Flecken der Erde bewohnt, bebaut, beackert, behaust usw., glauben diese Menschen, diese Zuordnung von Land und Leuten zerstören zu müssen. Warum diese Menschen mit den Einheimischen in
Konflikt geraten, ist eine höchst interessante und komplexe Fragestellung, deren Beantwortung mit Sicherheit auch die Einheimischen kritisch beleuchten würde. Diese sich apartierenden und apartierten Menschen
können verschiedenen sozialen Schichten entstammen (meistens sog. gescheiterte Existenzen, "Modernisierungsverlierer", und auffällig viele vom Boden "Abgehobene", "Abgefahrene",
Intellektuelle – Menschen, die keinen Bezug mehr zum Güterherstellungsprozeß und zur Landwirtschaft haben) und sind auch ethnisch verschiedener Herkunft, wobei auffällig viele Menschen jüdischer Abstammung
unter ihnen zu finden sind. Igor Schafarewitsch nennt sie in Anlehnug an den französischen Historiker Cochin "das kleine Volk".
Jürgen Elsässer erfüllt einige Kriterien der Zugehörigkeit zu einem "großen Volk" - hier die deutsche Nation -, aber er erfüllt ein Kriterium nicht, nämlich das des Willens: des
Willens, der Nation anzugehören und sie positiv mitzugestalten. Einige Nationalisten sind der Meinung, ein wichtiges Kriterium sei die Abstammung, die Herkunft. Die Abstammung wird, obwohl von Bedeutung, von
Nationalisten, ganz ähnlich dem Judentum, für gewöhnlich schwer übertrieben. Oft werden entdeutschte, also entwurzelte sog. Antifaschisten und Pseudoanarchisten als der deutschen Nation zugehörig empfunden (weil
sie "deutschen Blutes" seien), seit vielen Generationen und sogar Jahrhunderten hier lebenden Menschen fremder Herkunft aber, die das hiesige Leben positiv mitgestalten und Verantwortung zeigen, wird
die Zugehörigkeit oft abgesprochen und das Angebot vorenthalten, sich zur deutschen Nation zu bekennen.
Wie stellt sich Jürgen Elsässer eine nichtkapitalistische Gesellschaft vor? Warum sollte es in einer nichtkapitalistischen Gesellschaft noch Migrationismus geben? Warum sollten bei Stopp
des expandierenden Kapitalismus (Imperialismus) weiter Menschen verlagert werden? Wozu dann noch Mobilität, viele Stunden Weges zur Arbeit, Umsiedlung an den Ort, wo Arbeit gefunden wurde? Nein, mit Ende des
Kapitalismus wird eine Menge Streß abgebaut werden, es darf etwas zur Ruhe gekommen werden, werden die mobilen Menschenmassen einkehren, sich an einem Fleck einhausen und Kommunen bilden.
Schaue er sich doch die Migranten an: Glaubt er, diese haben Spaß an ihrem Migrantendasein? Bob Dylan, Sohn jüdischer Migranten, bedauert den Migranten:
I pity the poor imigrant Who wishes he would´ve stayed home, Who uses all his power to do evil But in the end is always left so alone.”
Sollte nicht auch Jürgen Elsässer das täglich an ihn ausgehende Angebot überdenken, die Vergangenheit vergangen sein zu lassen und Teil der Nation zu sein? Oder gehört er zu
jener kleinen Minderheit von Migranten, die sich keine andere Lebensform als die traurige des Migranten vorstellen können? Ist er so hoffnungslos, so verzweifelt, daß er auch alle Angebote, sein Migrantendasein
zu beenden, ausschlagen muß, weil diese Angebote ihn an all den Schmerz erinnert, dem seine Migrantenvorfahren ausgesetzt waren? Ist er, der in Deutschland lebt und arbeitet, überhaupt selbst Migrant? Er
ergreift scheinbar Partei für die Migranten (die keine Migranten sein wollen), aber in Wirklichkeit für den Migrationismus , er ist führender Ideologe des Migrationismus, während er aber in Deutschland lebt,
wahrscheinlich nicht die Absicht hat, zu migrieren, weiter hier leben will und sich rege an der Diskussion beteiligt, wie dieses Land zu gestalten sei, d.h. was hier und wie hier zu gestalten sei, denn das Land
als Sitz der Nation und diese Nation selber will er natürlich abschaffen.
Der zweite Satz lautet: "Die Probe auf ihre [der deutschen Nation] Realitätstüchtigkeit war der Versuch, sich in einem aggressiven Sonderweg die Welt nach ihrem Bilde zu
formen." Nation ist also erst dann real, wenn es einem Staat, der sich der Nation bedient, gelingt, andere Nationen niederzuwerfen? Kann er sich Nation nur so vorstellen? Würde Jürgen Elsässer etwa die
deutsche Nation als "realitätstüchtig", als "anthropologische Tatsache" anerkennen, wenn sie im zweiten Weltkrieg Sieger geblieben wäre? Das erinnert an Adolf Hitler, der gesagt haben soll,
wenn das deutsche Volk den Krieg nicht gewinnt, hat es sein Lebensrecht verwirkt, dann muß es untergehen. Die Tragik Hitlers bestand aber darin, daß auch er die Realität einer Nation von einer Tüchtigkeit
abhängig gemacht hat, von einem siegreichen Kampf mit anderen Tüchtigen, die ihm zum Vorbild wurden; daß er diesen in der Tat halluzinatorischen Kampf überhaupt aufgenommen hat. Die britische Nation hat ihre
"Realitätstüchtigkeit" mit dem Commonwealth, dem Aufbau des britischen Weltreichs und der Unterjochung und Vernichtung vieler Völker unter Beweis gestellt: Ist sie daher etwa keine Halluzination und
eine anthropologische Tatsache?
Auf Seite 11 seines Buches schreibt Jürgen Elsässer: "Daß die Renationalisierung den Antisemitismus im Schlepptau hat, ist in Deutschland nicht nur wegen deren historischer
Amalgamierung zwangsläufig. Hinzu kommt: Die ersehnte positive nationale Identität erfordert eine identifikationsfähige Vergangenheit – die es aber angesichts der Shoa nicht geben kann. Wer diese objektive
Barriere nicht zur Kenntnis nehmen will, wird die Träger der Erinnerung als lästige Störenfriede abqualifizieren: Die Juden, die keine ‚Ruhe geben wollen‘. Die deutsche Identitätssuche evoziert erneut die
Abgrenzung zur jüdischen ‚Gegenrasse‘, wenn auch mit teilweise anderen Wahnvorstellungen als im 19. Jahrhundert."
Ohne die Prägungen der Geschichte leugnen zu wollen: "zwangsläufig" ist die Amalgamierung von Renationalisierung und Antisemitismus aber deshalb noch längst nicht. Außerdem
bezweifle ich, daß die Deutschen tatsächlich so antisemitisch sind und gewesen sind, wie es manche (Goldhagen, Elsässer usw.) behaupten. Wenn Jürgen Elsässer das so sieht, wenn er an dieses Gespenst wirklich
glaubt, wenn er einen gewissen tatsächlich vorhandenen Antisemitismus für absolut unabänderlich hält (dies doch nicht etwa eine "anthropologischge Tatsache"? – wir wissen aber, daß Jürgen
Elsässer von einem biologistischen Anti-Antisemitismus nichts hält), dann muß man sich fragen, ob das möglicherweise nicht sein Wunsch ist. Vielleicht will er auf diese Weise seine eigene Identität schützen und
retten. Ich glaube, daß deutsch sein ganz und gar nicht unbedingt antisemitisch sein heißt. So wichtig sind die Juden den meisten Deutschen nicht.
Die nationale Anarchie ist durchaus nicht der Meinung, daß eine nationale Identität eine identifikationsfähige Vergangenheit erfordert. In der Gegenwart ist Vergangenes lebendig, aber die
Gegenwart lebt nicht von der Vergangenheit, sie ist ständig Neues; aus der Vergangenheit wird nur das zu Gebrauchende gefiltert; vieles fällt für immer über Bord, auf den Misthaufen der Geschichte, manches
bleibt; alles – bei gewissen Konstanten – ändert sich permanent. Von daher identifizieren sich die heutigen Deutschen mit bestimmtem Vergangenen, mit anderem nicht. Jürgen Elsässer zufolge erfordert
offenbar eine positive nationale Identiät die Identifikation mit der gesamten Vergangenheit. Diese aber kann es tatsächlich – aber nicht etwa "angesichts der Shoa" – nicht geben. Es liegt
kein Grund vor, warum sich ein bestimmter Deutscher mit diesem oder jenem Ereignis, mit dieser oder jener Persönlichkeit der deutschen Geschichte identifizieren soll. Manch einer identifiziert sich bewußt oder
unbewußt mit diesem, der andere mit jenem Phänomen aus der Vergangenheit. Wenn sich Jürgen Elsässer das nicht vorstellen kann, wenn eine Identifikation nur mit einer Gesamtheit stattfinden kann (was ein Wahn
ist), dann, weil er geschichtliches Ergebnis einer überaus starren Tradition ist, die dem Europäischen fremd ist. Das Judentum lebt viel mehr in der Geschichte – das orthodoxe Judentum so gut wie
ausschließlich in ihr –; hier unterliegt die Identität einer extremen Pflege und Hege. Wo sich andere Völker im Verlaufe vermischen, gegenseitig einverleiben usw., blieb die Gruppe von Menschen, die sich
"die Juden", "das jüdische Volk", "Menschen jüdischen Glaubens" o.s.ä. nennen, mehr oder weniger apart. Für Jürgen Elsässer scheint es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein, Deutscher
zu sein. Wo Abkömmlinge beispielsweise slawischer Vorfahren nach spätestens zwei Generationen in Deutschland keinerlei slawische Identität mehr haben, verhält es sich mit einem Teil der Jüdischstämmigen anders.
Sie wehren sich dagegen, in einer anderen Population aufzugehen, die von z.B. Slawischstämmigen in zwei Generationen gar nicht mehr als "anders" empfunden wird. Sie pflegen ihre völkische, kulturelle,
religiöse Identität und Apartheit. Das ist angesichts der Polemik gegen das Völkische, die oft bei Juden anzutreffen ist und im späten 20. Jahrhundert in der Gruppe der Antinationalen und Antideutschen ihre
extremste Erscheinungsweise hat, zumindest paradox. Für sie ist es schwierig bzw. nicht wünschenswert, sich – wie andere – der lokalen Population anzugleichen. Beleidigt wird eine solche
Assimilierung (die vom deutschen Wirtsvolk im großen und ganzen niemals ausdrücklich und aktiv betrieben wurde, sondern die sich von selbst ergibt) von sich gewiesen – unter Reklamtion auf (was sonst?)
völkische, kulturelle, reiligiöse usw. Eigenheit! Daß diese Angleichung (Assimilierung) dennoch vonstatten geht, d.h. daß die Naturkultur stärker ist als Konstruktionen, hat das Ende des 19. bzw. der Anfang des
20. Jahrhunderts bewiesen (Jürgen Elsässer schreibt auf S. 104: "Um 1910 schien die volle Assimilierung der jüdischen Bevölkerungsgruppe nur noch eine Frage von kurzer Zeit zu sein"). Ein Grund dafür,
daß diese Assimilierung nicht vollständig war, lag darin, daß in den 30er Jahren eine ebenso extrem pflegerische und an Geschichte orientierte Auffassung von nationaler Identität auf deutscher Seite große
politische Macht erringen konnte. D.h. auch hier war die nationale Identität keine Realität, keine anthropologische Konstante und Tatsache mehr, sondern wurde zum Ideologem. Als solche setzt sie sich über die
realen Verhältnisse der an einem Ort siedelnden Menschen, die sich spontan vermischen, hinweg und betreibt ihre Zwangsapartisierung. In den beiden angeführten und uns betreffenden Beispielen der künstlichen,
ideologischen, konstruierten, neurotischen, wahnhaften Identifikationen (Pflege und Hege) finden wir aber nicht die einzig möglichen Gruppenbildungen. Mit Beendigung von neoliberalem Globalismus und Freihandel
wird eine Neuherausbildung von Gruppen, Stämmen, menschlichen Zusammenschlüssen und Gemeinden, in denen sich die Menschen durch Verkehr, Gewohnheit und Sexualität nahe stehen, anstelle des ehemals
Multikulturell-Multiethnischen stattfinden, die sich teils aus den bis ins Zeitalter des Hochkapitalismus an den betreffenden Orten siedelnden Völkerschaften, teils aus den in diesem Zeitalter dorthin gelangten,
bis dahin "Fremden", speisen werden. Auf den jeweiligen Territorien wird es neue auf biologischer Vermischung basierender Gemeinschaften, d.h. Nationen geben. Vermischungen hat es seit den Zerstörungen
des Matriarchats, d.h. seitdem die Menschen auf Wanderschaft gegangen und mehr oder weniger friedlich/kriegerisch erobert haben, immer gegeben. Aber erst auf dem Höhepunkt von Entwurzelung, Menschenmobilität und
Nomadentum, d.h. im Endstadium des Kapitalismus (Globalismus), werden die kulturellen Konstanten und bestehenden menschlichen Ordnungen dermaßen überstrapaziert, können keine neuen und funktionierenden Kulturen
und Gemeinschaften mehr gebildet werden, so daß ein Überleben der Menschheit auch von dieser Seite her, der soziokulturellen (neben der ökologischen), in Frage gestellt ist. Auch Jürgen Elsässer sieht den
"Kollaps der Marktwirtschaft" auf uns zukommen: "Die Internationale des Kapitals hat sich zu Tode gesiegt und setzt – kaum ist der einigende Gegner gefallen – die konkurrierenden
ökonomischen Kräfte als antagonistische Nationalismen frei. In einer solchen Epoche zusammenbrechender Sicherheiten und Hoffnungen hat die Barbarei eine neue Chance." (S. 123) Er spicht vom "Krieg
jeder gegen jeden", der dann zu befürchten sei.
Im Gegensatz zu Jürgen Elsässer sind wir weniger pessimistisch. Nach dem Kollaps des Kapitalismus und Wiedereinführung von Kreislaufwirtschaften werden auch neue Nationen (der
verschiedenen Ebenen) und damit natürlichere Ordnungen und Sicherheiten entstehen. Jegliche nationalen Ideologien und Konstruktionen, jegliches Pflegen und Hegen von wahnhaften, eingebildeten, nicht realen,
sondern zum Zwecke ökonomisch-politischer Machtgewinnung und -erhaltung konstruierten Gruppierungen (bürgerlicher Nationalstaat) werden dann wieder wegfallen, und damit die verschiedenen Apartheiten innerhalb
der menschlichen Siedlungen. Der Staat (Nationalstaat) wird im Leben der Menschengruppen eine immer weniger große Bedeutung haben, d.h. die Nationen werden nach und nach vom Nationalstaat frei. "In einer
Epoche zusammenbrechender Sicherheiten und Hoffnungen hat die Barbarei eine neue Chance", schreibt Jürgen Elsässer. Diese Sicherheiten waren trügerisch und brüchig ("dünne Schicht der
Zivilisation"); deshalb müssen sie immer wieder zusammenbrechen und für Chaos und Leid sorgen. Aber nicht nur die Barbarei hat nun eine Chance, sondern auch die Neuordnung: eine stabilere, weil an
"anthropologischen Tatsachen" orientierte Ordnung. Zu diesen "anthropologischen Tatsachen" aber gehört das Nationale, d.h. das, was sowieso beim Kollaps des Globalkapitalismus entsteht. Die
Renationalisierung wird im Gegenteil die Barbarei verhindern. Anarchie oder Barbarei!
Jürgen Elsässer schließt sein Buch wie folgt: "Links ist da, wo keine Heimat ist. Nicht um nationale Selbstbestimmung geht es, sondern um gesellschaftliche; nicht um den Schutz von
Völkern, sondern um den Schutz der einzelnen und Minderheiten vor den Völkern; nicht um die Konstruktion neuer Staaten, sondern um die Dekonstruktion der bestehenden; nicht um die Zwangshomogenisierung der
Individuen zu Nationen, sondern um ihre freie Assoziation zur staaten- und klassenlosen Weltgesellschaft", und läßt seinem Schlußsatz ein Zitat John Lennons folgen: "Imagine, there’s no
countries, it’s easy, if you try!"
"Ev’rybody got to have a home", könnte man dagegen halten (John Lennon in "Isolation"). Wo keine Heimat ist, ist kein schönes Leben. Ob es links
oder rechts ist, ein schönes Leben haben zu wollen, ist unerheblich; selbstverständlich und zum Glück gibt es noch Linke, die ein schönes Leben führen wollen, die das Leben genießen wollen, die Spaß am Leben und
Lust haben. "Gesellschaftliche Selbstbestimmung": Gesellschaft hat immer etwas die Einzelnen Verbindendes, den Einzelnen Gemeinsames. Deshalb sprechen wir in diesem Zusammenhang auch besser von
Gemeinschaft bzw. Kommune. Die Kommune ist (wie 1870) immer national, bildet die Nation, wenn ihr die Zeit gegeben wird oder sie sich die Zeit und den Raum erkämpft, zu existieren. Jürgen Elsässer sollte uns
sagen, worin er den Unterschied von "nationaler Selbstbestimmung" und "gesellschaftlicher Selbstbestimmung" sieht. Wenn Einzelne sich angeblich vor dem Volk schützen müssen, haben wir es
nicht mit einem Volk, sondern einem Volksstaat zu tun. Ein Einzelner fühlt sich in seinem Volk wohl wie der Fisch im Wasser. Auch wir sind im Prinzip dafür, daß keine neuen Staaten konstruiert werden und die
bestehenden dekonstruiert werden. Auf dem Weg zur Anarchie können die Staaten aber nicht über Nacht abgebaut werden. Das würde zu Chaos führen. Insofern sind wir für das sukzessive Ersetzen von letztlich
halluzinierten bzw. nur zur Verwaltung der erkrankten Menschheit notwendigen Konstruktionen (Staat) durch ein Leben, das auf "anthropologischen Tatsachen" basiert bzw. diese verkörpert. Diese Anarchien
machen den Staat überflüssig. Wir dekonstruieren nicht den Staat, sondern wir ersetzen ihn nach und nach durch die Anarchie, wir leben die Anarchie infrastrukturell und unterhalb des Staates in den befreiten
Zonen; wir stärken das verbliebene Anarchische im Anarchieersatz Staat, der als künstliche und suprastrukturelle Ordnungsmacht fungiert. Und selbstverständlich geht es auch uns nicht um eine
"Zwangshomogenisierung der Individuen zu Nationen", sondern auch uns geht es um "ihre freie Assoziation": Die frei assoziierten Individuen sind und bilden die Nation, sind – nach Max
Stirner – der Verein der Egoisten. Dieser ist die nationale Anarchie. Diese ist "staaten- und klassenlos". Individuen können sich aber nicht direkt zur Weltgesellschaft assoziieren
("anthropologische Tatsache"), sondern nur über die Vermittlung von Kollektivitäten kleinerer und mittlerer Ebenen.
Und wenn wir einmal bei John Lennon sind, laßt uns mit ihm (und Jürgen Elsässer?) singen:
Sunday Bloody Sunday
Anglo pigs and Scotties sent to colonize the North, You wave your bloody union jacks and you know what it’s worth. How dare you hold to ransom a people proud and free?
Keep Ireland for the Irish, put the English back to the sea!
You claim to be majority, well, you know that it’s a lie, You’re really a minority on this sweet em’rald isle. When Stormont bans our marches, they’ve
got a lot to learn, Internment is no answer, it’s those mothers‘ turn to burn.
It’s alway bloody Sunday in the concentration camps, Keep Fall Road free forever from the bloody English hands. Repatriate to Britain, all of you who call it
home, Leave Ireland to the Irish, not for London or for Rome!
Oder
The Luck of the Irish:
A thousand years of torture and hunger Drove the people away from their land, A land full of beauty and wonder Was raped by the British brigands. Goddamn!
In the ‘Pool they told us a story How the English divided the land, Of the pain and the death and the glory And the poets of old Eireland.
Why the hell are the English there anyway, As they kill with God on their side? Blame it all on the kids and the I.R.A. As the bastards commit genocide. Aye,
aye, Genocide!
Wenn Lennon kein Nationalanarchist ist, heiß ich Elsässer!
Das Buch ist bis auf wenige Stellen in puncto "Antsemitismus", dem seinem Titel nach hauptsächlichen Gegenstand des Buches, im Gegensatz zu den hier berührten Themen wenig
interessant. Das mag daran liegen, daß die Themen "Antisemitismus", "Philosemitismus", "Semisemitismus" nicht von vorrangiger Bedeutung sind, ja daß überhaupt die ganze Judenfrage
nicht von besonders großem Interesse ist. Die Judenfrage, das jüdische Problem mag tatsächlich existieren, und man fragt sich, warum Jürgen Elsässer den Begriff Judenfrage in Anführungszeichen setzt; aber das
Problem wird, erst recht vor dem Hintergrund der bestehenden und kommenden großen Probleme und der zu gestaltenden Zukunft, in seiner Dimension übertrieben. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, was Herman
Wirth, Gründer und späterer Präsident der SS-Forschungsstelle "Ahnenerbe", im September 1929 in einem Brief an Graf Ernst zu Reventlow schrieb, nachdem er innerhalb der NSDAP von
patristisch-autoritärer und antisemitischer Seite heftig angegriffen worden war. Der Matriarchats- und Urgeschichtsforscher Herman Wirth war der Meinung, daß die Beschäftigung mit dem Judentum und der Angriff
der Nationalsozialisten gegen das Judentum eine Ablenkung von der eigentlichen Aufgabe der inneren Erneuerung des deutschen Volkes sei. "Die ausschließliche Behandlung der jüdischen Frage in diesem Sinne
der Schuldfrage birgt eine große Gefahr für das nordische Erwachen in sich als Ablenken von der eigenen Verantwortlichkeit und Selbsterkenntnis."
Zum Schluß sei noch auf einen kleinen Widerspruch verwiesen, der sich zwischen einer Aussage Jürgen Elsässers und einer Nahum Goldmanns aus dessen Autobiographie ergibt. Während Jürgen
Elsässer schreibt: "Die israelische Seite (...) forderte weiter Devisenzahlungen in Milliardenhöhe, was in Deutschland Unwillen erregte. Man hörte Argumente wie: Vom juristischen Standpunkt aus betrachtet
habe Israel während des Krieges noch nicht existiert und könne folglich auch keinen Anspruch auf Reparationen erheben. Diese Argumente waren nicht nur falsch, (...)" (S. 83), heißt es bei Nahum Goldmann
dagegen: "Dabei machte ich dem Kanzler [Adenauer] klar, daß es sich um mehr als eine Geste nicht handeln konnte. (...) Die bevorstehenden Verhandlungen seien einzigartiger Natur. Sie hätten keine
gesetzliche Basis." Wahrscheinlich gilt hier wieder einmal der alte Witz, treffen sich zwei Juden, gibt es drei Meinungen. Wer sich davon verwirren läßt, ist selber schuld.
Nachtrag (weil ich oben nicht auf das Zitierte eingegangen bin):
Elsässer: "Wer diese objektive Barriere ["Die ersehnte positive nationale Identität erfordert eine identifikationsfähige Vergangenheit – die es aber angesichts der Shoa
nicht geben kann.”] nicht zur Kenntnis nehmen will, wird die Träger der Erinnerung als lästige Störenfriede abqualifizieren: Die Juden, die keine ‚Ruhe geben wollen‘. Die deutsche Identitätssuche
evoziert erneut die Abgrenzung zur jüdischen ‚Gegenrasse‘, wenn auch mit teilweise anderen Wahnvorstellungen als im 19. Jahrhundert."
Ich bin Deutscher und brauche keine "identifikationsfähige Vergangenheit". Es spielt für mich keine Rolle, ob es die "geben kann", aufgrund welchen in der
Vergangenheit liegenden Ereignisses auch immer. Für Jürgen Elsässer mag eine "identifikationsfähige Vergangenheit" von Bedeutung oder gar notwendig, lebenswichtig sein. Vielleicht ist er dabei der
jüdischen Tradition zu sehr verhaftet, in der die Geschichte eine solch große Rolle spielt. Aber es sollte nicht aus einer aus dem Orient stammenden all zu sehr auf die mitteleuropäische Mentalität
zurückgeschlossen werden. Wir Europäer leben dann doch schon eher im Hier und Jetzt. (John Lennon im bereits zitierten Lied “Imagine”: "Imagine all the people living for today.") Für uns
gibt es keine "objektive Barriere", ein Volk zu sein, die wir "zur Kenntnis nehmen" müßten. "We’re just pushing the barriers, planting seeds." (John Lennon, "Mind
Games") Natürlich ist es etwas ärgerlich und lästig, wenn uns andauernd mit Jüdischem und der Vergangenheit in den Ohren gelegen wird. Wir fordern die Juden mit DJ Dr. Motte auf, mal eine andere Platte
aufzulegen und etwas Spaß zu haben. Natürlich wollen wir unsere Ruhe haben, wollen wir in Ruhe gelassen werden, in Ruhe unser Ding machen. Und da das Wort "Ruhe" heute so oft fiel, hier noch mal klar
und deutlich, wie ich es verstanden haben will: nämlich im Sinne des volksmündlichen "Laß mich in Ruhe mit dem ganzen Mist!" Mit "deutsche Identitätssuche", "evozieren",
"‘Gegenrasse‘", "Wahnvorstellungen", "19. Jahrhundert" usw. Yo basta!
Ich lege das Buch aus der Hand; da fällt mir der Text auf der Rückseite auf: Es ist wieder einmal die Rede davon, daß ein “schützendes Tabu zerbrochen” sei. In diesem Falle
müssen wir den Verlag fragen (aber auch von Jürgen Elsässer könnte dieser Satz stammen): Ja glaubt Ihr denn allen Ernstes, daß ein Tabu ein effektiver Schutz sein kann? Und weiter: Wieso eigentlich wurde hier
irgendein “Tabu” aufgerichtet? Darf man, sollte man das einmal hinterfragen? Wie fühlt man sich denn so als Errichter und Verteidiger von Tabus? Dieser Vorwurf, der in diesem Satz steckt: Mit welchem
Recht wird der überhaupt erhoben? Ist es nicht eine Frechheit, Menschen überhaupt, den Menschen, die hier in diesem Lande leben, den Deutschen, Tabus aufzuerlegen? Für wen halten sich diese Menschen überhaupt,
die sich diese Frechheit herausnehmen? (Elsässer spricht an mehreren Stellen von der Frechheit und der Unverschämtheit der angeblichen Antisemiten, die sich alles mögliche herausnehmen und erdreisten.(1)
Abgesehen davon, daß es in jedem Falle zu begrüßen ist, wenn sich Menschen freimütig äußern (also auch Jürgen Elsässer): Ist es nicht etwas unverschämt, wenn Jürgen Elsässer kräftig mit der Keule des
Antisemitismus austeilt, uns in einem Buch über Antisemitismus aber weder eine Definition von Judentum, noch eine Definition von Antisemitismus gibt?) Sind sie aber nicht arme Kerle, sind sie nicht ganz arm
dran, wenn sie allen Ernstes glauben, wir würden uns an ihre, an irgendwelche Tabus halten? Wieso eigentlich “Schutz”? Wovor und warum müssen bestimmte Menschen geschützt werden? Könnten wir diese
Frage einmal erörtern? Vor mir braucht sich niemand zu schützen, aber wenn sich jemand fürchtet und schutzbedürftig ist, würde ich gern wissen, wie ich ihm helfen kann. Ich habe nämlich keine Lust, mit Leuten in
einem Land zu leben, die sich, vor was auch immer, fürchten. Weil Leute, die sich fürchten, gefährlich werden können bzw. gefährlich sind. Es ist vor einigen Jahren schon in Mode gekommen, sich über Leute zu
mokieren, die an Tabus rütteln, die keine Tabus über sich dulden wollen. Einer dieser Mokierer war Wiglaf Droste. Wiglaf Droste möge gut darüber nachdenken, ob er tatsächlich zu den Tabuerhebern und -beschützern
zählen will, ob es wirklich sein Ding ist, Tabus zu verteidigen, d.h. Leute am Ausdruck ihrer Gedanken und Gefühle hindern zu wollen. Diese Mokierer sollten genau wissen (und sie wissen es), was es bedeutet,
wenn Tabus wirken. Diese Aufklärungspessimisten sollten darüber nachdenken, was es bedeutet, hier an dieser Stelle zu resignieren. Sie handeln gegen ihr besseres Wissen, sie verlassen und verraten die
Aufklärung, gehen ins Lager der Reaktion über. Es ging mir darum, ihnen dies noch einmal in Erinnerung gerufen zu haben.
Anmerkung:
(1) “Die unverschämte Selbstverständlichkeit, mit der Nolte...” ( S. 21) “... das ‚gesunde Volksempfinden‘, das so schamlos freilich bisher in der politischen
Arena nicht auftreten konnte.” (S. 32) - Wenn etwas selbstverständlich - eine der schönsten Vokabeln und Beschreibungen der seelischen Gesundheit - ist: Wie kann das unverschämt sein? Wie kann ein
gesundes Volksempfinden als schamlos denunziert werden? Und das von einem angeblichen Linken! Hier verrät Elsässer, daß er sich von der Linken längst verabschiedet hat und im Lager der Reaktion, der Prälaten und
Rabbiner gelandet ist.
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