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Auseinander- und Zusammensetzung mit Nationalmarxisten, Nationalhegelianern und anderen Philosophen
Agnostische Front! Horst Mahler,
Gott und weltliche Herrschaft
In These 3 der Mahler’schen “Thesen über Juden und Deutschland als geistige Notwehr des deutschen Volkes” heißt es: “Die Überwindung des jüdischen Geistes ist eine
Notwendigkeit.” Nun, es müßte deutlich gemacht werden, was Horst Mahler unter “jüdischem Geist” versteht. Nominal gesehen könnten wir mit diesem Satz einverstanden sein, sind es aber nicht,
weil unsere Vorbehalte wesentlich sind: Denn der Satz selbst zeugt von “jüdischem Geist”, so wie wir diesen Begriff verstehen, denn alle “Überwindung” schon ist selbst “jüdisch”, weil jede Überwindung die Leugnung, die Nichtakzeptanz des Selbstes (Verdrängung) bedeutet. Leugnung des Selbstes und Selbstopferung bzw. Opferung und Unterdrückung des einem anvertrauten teilfremden Selbstes (Kinder) (Opfergabe; einem “Gott”, d.h. dem Überlebensprinzip in widriger Zeit, also z.B. “Jahwe” dargebrachtes Opfer) zur vermeintlichen Bewältigung unwirtlicher und widriger Umstände, die überflüssig, nur eingebildet und Reproduktionen längst vergangener Ereignisse sind, d.h. Repressivität nach innen und außen aber ist Zeichen und Merkmal der aus der Wüste (widrige Umstände) kommenden Mentalitäten, deren erfolgreichste und für uns folgenreichste die des Judentums (samt seines Ausläufers Christentum) ist, weswegen sie allgemein als “wüstisch”, konkret aber als “jüdisch” bezeichnet werden können. Wenn die Menschen sich nicht “entjuden”, d.h. selbstisch werden, d.h. wieder im Einklang mit ihrer Natur leben wollen, wird dieser selbst-, lebens- und naturfeindliche Geist weiter herrschen (Geist nicht im Sinne einer Ideologie, die erlernbar, ablegbar, anwendbar etc. ist, sondern im Sinne konkreter Aktionen biopsychischer Natur, die Leben und Selbst einschränken, was Schmerz, Leid und Verzweiflung produziert). Die Befreiung vom “jüdischen Geist” würde die Not der Menschen wenden, d.h. sie wäre notwendend, aber sie ist nicht notwendig im Sinne eines gewissen geschichtlichen Planes. Alles hängt nur vom Mut der Menschen ab, Gewohnheiten zu durchbrechen und die eingefleischten Bahnen zu verlassen, das Gift der Selbstverleugnung aus dem Fleisch zu bannen durch Aneignung und Zurückeroberung des eigenen Fleisches, durch Bewußtwerdung des eigenen Fleisches, d.h. Gewahrwerdung der eigenen Bedürfnisse zum Zwecke ihrer Befriedigung, d.h. zum Zwecke des Glückes.
Daß Horst Mahler mit diesem Satz nur im Sinne genau eines solchen “jüdischen Geistes” verstanden werden kann, also selbst diesem “jüdischen Geist” anhängt, beweist
der nächste Satz in These 3: “Sie [die Überwindung] vollzieht sich durch den Fortschritt des Geistes im Bewußtsein der Freiheit, wie er sich als Glaubenslehre in Luthers Schrift über die Freiheit des
Christen und in Hegels Philosophie als Selbsterkenntnis des absoluten Geistes ankündigt.” Wie Überwindung, so ist auch Fortschritt nur eine Leugnung, ein Fortschreiten vom Selbst. Eine Auflösung, eine
Beseitigung, ein Wegfall des “jüdischen Geistes” (und nicht eine Überwindung desselben) kommt aber nur von einem Rückschritt, und zwar von einem Zurückschreiten an die Wurzeln im – übertragen
– phylogenetischen, konkret aber ontogenetischen Sinne. Im übertragenen Sinne müssen wir an den Naturkulturen der Menschen anknüpfen, als sie noch nicht Opfer von Stürmen aus der Wüste waren, d.h. an das
Vorheidnische anknüpfen, da das Heidnische bereits vom Wüstengeist infiziert ist (Odin, der Gott aus der Steppe, auf Sleipnir). Eine solche “Anknüpfung”, d.h. eine Delegierung ins Ideell-Ideologische
aber ist selbst wüstisch, weswegen nur die ontogenetische Konkretion als wahrhaft antiwüstisch übrig bleibt: Die Befreiung von von außen und innen auferlegten Entfremdungsmechanismen (Verklemmung, Unterdrückung,
Verleugnung, Verdrängung usw.). Nicht die “Überwindung vollzieht sich durch den Fortschritt des Geistes im Bewußtsein der Freiheit”, sondern die Auflösung der wüstischen Seinsweise vollzieht sich
durch Rückschritt des biopsychischen Systems “Selbst” in der Freiheit (und nicht im Bewußtsein derselben), d.h. in der Aneignung, in der Selbstbemächtigung. Dies erst recht nicht “durch den
Fortschritt des Geistes im Bewußtsein der Freiheit, wie er sich als Glaubenslehre [welcher auch immer] ankündigt”. Wir brauchen keine Ankündigung, auch keine Verkündigung. Die einzige Kunde sendet uns
unsere innere Stimme, die uns noch sagt, wer wir sind und was wir wirklich wollen, solange wir in reales und irreales Selbst aufgezweifelt sind, bevor sie ganz verstummt, das reale Selbst gesiegt hat und das
Dasein sich selbst überläßt. Wir brauchen keinen “Geist”, so wenig wir einen Gott brauchen, also auch keinen Geist in Gestalt einer Glaubenslehre oder einer Philosophie in Gestalt einer
“Selbsterkenntnis des absoluten Geistes”, also auch keine Schrift über irgendeine Freiheit wessen auch immer.
Zu These 4: “Die mosaische Gesetzesreligion hat den Geist in die äußerste Äußerlichkeit getrieben”: Ja, aus Mißtrauen unserer Natur gegenüber heraus wird alles durch
Vorschriften und geschriebene Regeln bestimmt (äußerste Form: Talmudismus); der Geist wird zum Buchstaben eingefroren und wendet sich gegen die Lebendigkeit; der Mensch lebt nur noch zur Erfüllung von Regeln;
das Leben des orthodoxen Juden geht darin auf. Das heißt nicht, daß es keine lebendigen Regungen gibt; diese aber erfolgen nur mit Erlaubnis anstatt um ihrer selbst willen. Und sie erfolgen zu einem höheren
Zweck: Gott wohlzugefallen und um nicht seinen Zorn auf sich zu ziehen; dieser höhere Zweck ist aber niemals mein eigentlicher und eigener Zweck, sonst würde er nicht herausgestellt werden müssen. Da, wo höherer
Zweck ist, ist Entfremdung, Persönlichkeitsspaltung.
“Dort [in der äußersten Äußerlichkeit] nimmt er die Gestalt des Gottestodes an.” Ja, der Gottestod als letzte Konsequenz des absoluten Gottesdienstes: Gott hat sich (d.h.
seine Schafe haben sich selbst) totgeboten, totverboten, totgeschrieben. Und tot soll er bleiben. Denn die Lebensregungen brauchen keinen Gott, sie sind einfach so da; sie brauchen keine Vorschriften und keine
Rechtfertigungen: Sie sind um ihrer selbst willen da. Meinetwegen soll Gott da sein; es macht keinen Unterschied; welche Auswirkung sollte ein Begriff Gott oder ein Wissen um seine Existenz auf meine Existenz
haben? Gottestod als Tod eines Begriffes und Tod von ehemals möglicherweise überlebensnotwendigen Vorstellungen ist nicht Lebenstod; im Gegenteil: je mehr Leben, desto weniger Gott, und umgekehrt.
Es ist nicht besonders chic, dies zu sagen; man kommt sich schon wie ein Aussätziger vor, keine “höheren Werte” und dergleichen zu haben; man macht sich als Primi verächtlich.
Aber sei’s drum. Und plötzlich sieht man den guten alten Materialismus auch wieder mit ganz anderen Augen. Wenn man es sich antut, in gedanklichen Tiefen herumzukramen, nach den letztlichen Ursachen des
Lebens und des Weltalls zu fragen, trägt der Idealismus natürlich haushoch den Sieg davon, denn natürlich lauert hinter jedem materiellem Phänomen die Frage: Wo kommt es her? Wir können hier nur die Hypothese
von Energie, Geist oder Gott aufstellen. Aber wozu nützt uns die Hypothese etwas? Michael Kühnen schrieb in den 80er Jahren: “Als dreidimensionales Wesen in einem mindestens vierdimensionalen Universum ist
für uns die wirkliche Natur des Universums nicht erkennbar (...). Es ist zwecklos, über die Natur dieser Einheit [‚alle Energie – ‚materielle‘ wie ‚psychische‘ – (...)‘] zu
spekulieren.”1 Yo basta! Warum ist es den Idealisten so wichtig, die letzten Dinge der Welt ergründen zu wollen? Der Mensch ist nicht dazu geschaffen, weder sich solche Fragen zu stellen, noch sie beantworten zu können; es werden immer nur Hypothesen sein. Ich stell‘ sie mir jedenfalls nicht. Im Unterschied dazu hatten die Materialisten noch einen Blick für die tatsächlichen Lebensprozesse, etwas mehr gesunden Menschenverstand, Bodenhaftung. Und sie waren vor allem keine Frömmler und waren nicht so absurd arrogant; hatten nicht diesen Hang zum Totalitären. Die haben die Falschheit und die Verlogenheit des idealistischen Denkens kritisiert. Denn der Idealismus war nicht nur eine gelehrte Denkschule, er war der intellektuelle Ausdruck der Lebensfeindlichkeit, die Leugnung der “materiellen” Bedürfnisse der Menschen. Die Frage Materialismus oder Idealismus, Materie oder Geist, Henne oder Huhn ist völlig unsinnig; die Frage lautet: Wie stehe ich zu den konkreten Lebensprozessen? Bin ich den Lebenprozessen, der tatsächlichen Energie, also der inneren Bewegung und nicht nur ihren gedanklichen Manifestationen, gegenüber prinzipiell positiv eingestellt? Das ist es doch, was uns der Materialismus sagen wollte. Und diese Frage beantwort der Chefidealist Hegel eindeutig und unmißverständlich folgendermaßen: “Hauptmoment der Erziehung ist die Zucht, welche den Sinn hat, den Eigenwillen des Kindes zu brechen [...] Das Vernünftige muß als seine eigenste Subjektivität in ihm erscheinen [...] Die Sittlichkeit muß als Empfindung in das Kind gepflanzt worden sein...”2
Mahler: “Seine Auferstehung vollzieht sich im Nationalgeist der Deutschen”: Bloß das nicht! Das wäre das größte vorstellbare Unglück. Jetzt, wo wir Gott los sind, da soll er
wiederkehren? Und das sollen ausgerechnet wir Deutschen bewerkstelligen! Sollen wir also wieder den großen allmächtigen Aufpasser zurückkriegen, verpaßt kriegen? Die Deutschen – Du und ich – sollen
auferstehen, meinetwegen auch unser “Nationalgeist”; aber bitte kein gehegter und gepflegter – kein gehegelter! –, keiner, den man glaubte entdeckt und systematisiert zu haben, der uns
jetzt plötzlich als Programm, als Vorschrift präsentiert wird: “Das ist deutsch, und dies ist nicht deutsch” – dann sind wir eben nicht deutsch! Vieles mag an den Beschreibungen richtig sein
(lebendige Lebensäußerungen); aber keine Beschreibung kann so umfassend sein, daß sie die Totalität unserer Regungen erfaßt. Aus Beschreibungen werden Vorschriften. Wir beschreiben uns, wenn wir Lust darauf
haben oder nehmen Beschreibungen zur Kenntnis, finden uns in ihnen wieder oder nicht; aber wozu immer Beschreibungen? Und selbst wenn die Beschreibung des Lebens und der Welt komplett und perfekt sein sollte
(was die Hegelianer eh nie schaffen: immer brennt es an einem Ende ihres Weltbildes und sie eilen von Löschaktion zu Löschaktion): na und? Gratulation, aber es ist mir egal.
Mahler zitiert Luther: “Die Gebote aber sind unerfüllbar. Sie zeigen, was wir tun müssen, geben aber nicht die Kraft, es zu tun. Sie sind vielmehr dazu bestimmt, daß sie den
Menschen sich selbst zeigen, damit er durch sie sein Unvermögen zum Guten erkenne und an seinen Kräften verzweifle.” Wenn die Gebote unerfüllbar sind, dann können sie mich mal. Dann sehe ich schleunigst
zu, daß ich mich ihrem Druck, ihrem Einfluß auf mich, ihrer Herrschaft entziehe. Dann schüttle ich diese Quälerei von mir ab. Und ich suche nicht nach Kompromissen und faulen Lösungen. Wenn
“demenstprechend im Alten Testament die Leidensgeschichte des jüdischen Volkes dargestellt wird als Strafe für die vermeintliche Gehorsamsverweigerung”, dann ist das nicht mein Problem, dann ist das
das Problem des jüdischen Volkes. Wenn aber das jüdische Volk glaubt zu wissen, was gut für mich ist, um irgendeiner ominösen “Strafe” zu entgehen, wenn es von sich auf mich schließt und mir helfen
zu müssen meint, wenn ich mich z.B. an etwas, was auch immer, zu “erinnern” habe, bei Strafe, “die Zukunft nicht bewältigen zu können”, wobei mir Erinnerungsstoff vorgelegt wird, der
außerhalb meiner persönlichen Erfahrung liegt, den ich also gar nicht erinnern kann, dann empfinde ich den ganzen Zauber allein als Drohung; dann sage ich: Erinnert Ihr Euch, woran Ihr wollt; ich erinnere mich
an das, was sich in mir an irgend etwas erinnert. Hütet Euch vor Euren Einmischungen in meine Angelegenheiten! Wehe, Ihr verpestet noch weiter unsere Kinder!
“Die Selbstverleugnung des Menschen vor Gott ist die geistesgeschichtliche Leistung des Judentums. (...) ‚Im Gefühl der [daraus resultierenden] eigenen Nichtigkeit erhält der
jüdische Mensch‚ in allen Begriffen die Scheidewand zwischen Gott und Mensch aufrecht.’ (Hermann Cohen) In dieser Trennung ist die Möglichkeit des Abfalls von Gott und für die Schaffung des selbstischen
Menschen gegeben, denn sie enthält für den Menschen die Denkmöglichkeit, Gott zu leugnen, ohne sich selbst zu verneinen.”
Dadurch, daß der jüdische Mensch “von seinem Gott” (d.h. von sich selbst bzw. von seinen Eltern) mehr gequält wird als andere Menschen, liegt tatsächlich die große Chance, von
ihm in aller Gründlichkeit und Radikalität entsprechend abzufallen. Der Angriff auf Gott des frühen Freud und der Postfreudianer mit ihren bislang radikalsten Vertretern Wilhelm Reich und Arthur Janov
ist dafür ein gutes Beispiel: Sie haben tatsächlich zur “Schaffung” des selbstischen, d.h. des unentfremdeteten, eigenen Menschen, d.h. zur Befreiung des Menschen vom Über-Ich, und sei es in der Gestalt eines “Gottes”, also zur “Entjudung” des Menschen beigetragen.
Mahler, der sich und uns nicht von Gott abfallen, sondern der im Gegenteil Gottes Auferstehung im Nationalgeist der Deutschen sich vollziehen sehen will, befürchtet, daß nach dem Abfall
“jenes gottlose Individuum [erscheint], das wie ein Staubkorn haltlos hierhin und dorthin geblasen wird”. Dieses Bild erinnert nicht nur eben an den “ewigen Juden”, den
“Ahasver”, sondern es ist das des jüdischen Menschen schlechthin – des jüdischen Menschen, dessen Leben ganz und gar von Gott und dessen Geboten erfüllt ist. Und es ist das des modernen, von
sich entfremdeten, gespaltenen, in Dualismen denkenden, verzweifelten Menschen, der Opfer von Erziehung und Sozialisation wurde, die ihm sein Einssein, seine Ganzheit, sein Heil ausgetrieben, ihm seinen Spaß
verdorben haben, mit dessen Empfindungen und Selbstwahrnehmungen Schindluder getrieben, dessen Seele zerstört wurde. Nicht mittels Ideologien – die kommen später als Trost hinzu –, sondern mittels
emotionaler Deprivation und Gewalt in der Familie. Und das Wieder-eins-werden geschieht nicht mit intellektuellen Mätzchen à la Dialektik und weil man glaubt, ein Gedankensystem entwickelt zu haben, das der
“Welt als Ganzem” gerecht würde, da die Spaltungen unterhalb des Intellekts stattgefunden haben. Diese Zerstörungsprozesse finden in Europa seit Eroberungen entwurzelter (“entorteter”)
Stämme statt, die gleichsam aus ehemals fruchtbaren Gebieten vertrieben wurden und sich den Bedingungen der Wüste angepaßt und angewöhnt haben und die den Opfern für die Zerstörung ihres Heils Ersatz und
Trost in Form von Glaubensinhalten gaben. Es geht nicht so sehr um die Bezeichnung dieses Vorgangs und seiner Herkunft (“Buchreligionen”, “judäo-christlich” usw.) als vielmehr die
empathische Beschreibung und Kritik dieses Vorgangs in seiner seelischen, psychobiologischen und biographischen Konkretheit. Das Opfer, das aus der jüdisch-christlichen Abrichtungsmaschinerie hervorgegangene
Individuum ist das “haltlose, hierhin und dorthin geblasene Staubkorn”: Wie anders, wie voll und sicher, wie irdisch und fleischlich das Individuum, das liebevoll aufgezogen (und nicht erzogen)
wurde, das im Wohlstand aufgewachsen ist, das in seinen ureigensten Regungen Bestätigung fand, das ganz selbstisch, voller Selbstbewußtsein ist, das voller Freude und eine Freude für jeden anderen ist; das tief
in sich selbst verwurzelt ist und selbstbewußt seinen Flecken besitzt!
Was soll nun aber mit dem Menschen, dem Opfer unerfüllbarer Gebote, nach Luther, Hegel und Mahler geschehen? Wie lautet das Programm der Befreiung, wie es uns Horst Mahler empfielt?
So wie ich die jüdischen Postfreudianer als Pioniere der “Entjudung” nannte, so nennt Mahler den Juden Jesus: “Es ist aber auch ein Jude, Jesus von Nazareth, der den
Bann des Gesetzes bricht”, aber – und hierin liegt der Unterschied des Religionsstifters Jesus zu den Postfreudianern –: “der die Existenz des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes
als den einen Gott verkündet”, sprich: der den Bann des Gesetzes mit dem des Hokuspokus ersetzt.3 “Schon dieser einfache Gedanke aber, der dem Verstand Grenzen aufzeigt, überfordert die Juden”, schreibt Mahler. Nicht nur die! Warum auch sollen aus Juden Christen werden? Weil sie – die Opfer der unerfüllbaren Gebote –, als Teil “aller Menschen”, “von Anfang an durch die Gnade Gottes gerettet seien, daß sie allein durch den Glauben an ihn, Jesus Christus, als Sohn Gottes, das Heil erlangen und der äußerlichen Werke nicht bedürfen”? Es klingt ja gar nicht schlecht, wenn “die jüdische Scheidewand zwischen beiden [Gott und Mensch] eingerissen” ist, aber: “allein durch den Glauben an Ihn das Heil erlangen”: Wer glaubt daran, daß sich jemand einem solchen Glauben freiwillig unterwürfe? Wer glaubt, daß ein Lippenbekenntnis oder eine Idee eine Existenz zum besseren wandeln könnte? Nein, Glaube, Ideologie und Weltanschauung sind immer die Ergebnisse einer Erfahrung. Fragt man Kinder im Religionsunterricht, wann sie Gott entdeckt haben und warum sie an Gott glauben, dann antworten sie alle unverblümt und daß es dem Lehrer schwindlig wird, weil Gott nicht nur eine Vorstellung sein darf: “weil ich fürchterlich allein war”. Gott ist Trost, die Vorstellung “Gott” ist funktionell identisch mit den biochemisch nachweisbaren Endorphinen im Gehirn, mehr nicht. Karl Marx wußte dies. Dieses “Opium” entsteht aber nur dann wirklich im Gehirn, wenn Gott als Vorstellung sich in eine “Realität” verwandelt, wenn das Kind gefühlloser Eltern in seiner absoluten Einsamkeit und Verlassenheit in den Himmel schaut und sich etwas Tröstendes ausdenkt, das später – unter Beigabe elterlich-erwachsener Ideo- und Theologeme, d.h. simpler Begriffe, die nichts als Drogen sind – als “Gott” u.drgl. bezeichnet wird: Erst jetzt wird das Endorphin körpereigen produziert und kann das Leid einigermaßen gelindert werden.
Richtig, sagt Horst Mahler, “uns ist diese Vorstellung heute fremd und fernliegend, denn der Zeitgeist ist unfähig geworden, den Sinn dieser Worte und Sätze zu erfassen. [Sollen wir
das bedauern?] Die vom Evangelium berührten Menschen des Altertums und des Mittelalters aber lebten ihr Leben im Sinne dieser Worte [Präskription!], der ihnen im Glauben aufging.” – Und jetzt kommen
wir zu der gestellten Frage, was nun aber mit dem Menschen, dem Opfer unerfüllbarer Gebote Luther, Hegel und Mahler zufolge geschehen soll, wie das Programm der Befreiung, der erfolgreichen
“Entjudung” lautet? Das Christentum scheint der Weg nicht zu sein (obwohl “Jesus den Bann des Gesetzes bricht”), denn: “Der äußere Erfolg übt in glaubensschwachen Zeiten auf den
christlichen Geist einen nahezu unwiderstehlichen zersetzenden Einfluß aus.” Was auf sich einen “nahezu unwiderstehlichen zersetzenden Einfluß” ausüben läßt, ist in der Tat etwas sehr
Schwaches. Der Nationalsozialismus scheint es ebenfalls nicht zu sein.4 Was dann?
Mahler läßt die Katze in These 14 aus dem Sack: “Wir Heutigen erschließen den Sinn durch die deutsche Philosophie in der Gestalt der Hegel’schen Religionsphilosophie.”
Aha! “Wir”? Ich möchte mich da für meinen Teil ausdrücklich ausnehmen. Ich respektiere Mahler und seine Gedanken, aber ich gehöre in diesem Punkt nicht zu “wir”.
“Die alles entscheidende Frage ist, ob die Politik durch die Wiederaneignung der deutschen idealistischen Philosophie Wurzeln in der geistigen Substanz der Deutschen schlagen kann”, schreibt Mahler.
Das verstehe ich – Mahler entgegenkommend – so, daß die Deutschen politisch in dem Sinne werden sollen, daß sie ihre Belange in ihrer eigenen Hände nehmen, daß sie souverän werden sollen: “Wenn
das gelingt, wird die Idee des Deutschen Reiches als europäischer Schutzgenossenschaft wieder aufleben.” Wo aber bitteschön ist die Verbindung von Genossenschaft und idealistischer Philosophie? Eben dort:
Genossenschaft braucht keine Ideologie, “Schutzgenossenschaft” dagegen schon: Herrschaft braucht Ideologie, sprich gedankliche Zwangsgebilde, Verschleierungen, Rechtfertigungen, Lüge.
Die gute Verfassung eines Volkes hängt nicht von der Verfassung im staatsrechtlichen Sinne ab. Sie hängt davon ab, inwieweit Menschen in Gewissenskonflikte gestürzt werden und diese durch
ein ganzes Leben tragen müssen. Durch Schwüre auf das Deutsche Reich aber ist die “Judenherrschaft”, d.h. die Selbstverleugnung und der Terror eines Ideals, wieder durch die kalte Küche eingeführt:
Hier fallen das volkstümliche und das philosophiegeschichtliche Verständnis von Idealismus zusammen, und beide verraten ihre Menschenfeindlichkeit. Der Deutsche soll aber so sein, wie er ist und frei sein (das
wünsche ich mir zumindest, der ich Freiheit um mich brauche und keine Verbote und Vorbeter), und wenn er in seiner Freiheit eine Gruppe (Volk) bildet, dann ist das dann ein freies Volk, das – um seine
Freiheit zu verteidigen – zusammenhält. Die Deutschen aber bilden im Moment kein freies Volk; deshalb müssen die Rekruten bei der Bundeswehr auch einen Schwur leisten. Geschickterweise – newspeak!
– auf das deutsche Volk. Was die Soldaten ganz und gar nicht davon abhält, sich und damit das deutsche Volk für andere in den Untergang befehlen zu lassen. Auch unsere Herren Politiker schwören bei jeder
Vereidigung, daß sie alles für uns, das deutsche Volk, tun werden (“seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm abzuwenden” und sonst welches Bla Bla). Gelöb nix! Ist es ein Wunder, daß wir nach Strich
und Faden und permanent “verraten” werden? Auch Verrat kann nur dort stattfinden, wo falsche Voraussetzungen gegolten haben, nämlich wo sich auf Dinge eingelassen wurde, die nichts mit meinem
Innersten zu tun haben. Ich kann niemanden verraten. Was sind feierliche Schwüre anderes als die Absichtserklärung, seinen inneren Schweinehund zu überwinden? Und was macht der, der nicht schizophren ist, der
keinen inneren Schweinehund hat? Der darf dann also nicht “an der Gestaltung der deutschen Zukunft” mitwirken: Habe ich das richtig verstanden? Eine wahrhaft schöne Aussicht! Nur der muß einen Schwur
leisten und von anderen abfordern, der es für möglich hält, daß ich genauso gut ganz anders als im Sinne des Schwures, eines Ideals, handeln kann, und daß der andere (mein vermeintlicher Partner) ebenfalls
abfallen könnte. Ich habe aber kein Ideal, dem ich nacheifern müßte. Ich bin, wie ich bin, und ich lebe an diesem Ort auf der Erde: Ich bin Deutscher von Natur aus. Deutscher sein heißt für mich lediglich, mein
Leben an diesem Ort zu leben und eine Reihe von Problemen mit den Leuten zu teilen, die auch an diesem Ort leben, wie es Alain de Benoist sagt5 ,
und in Freiheit Verantwortung zu übernehmen. Wenn Herr Mahler mir glaubt vorschreiben zu müssen, was ein Deutscher darüber hinaus noch zu sein habe, dann sage ich ihm nicht etwa, daß ich dann gern auf mein
Deutschsein verzichte, nein, ich widersetze mich ihm und halte ihm meine Vorstellung von einem freiheitlichen Deutschsein entgegen.
Die „Wiederaneignung der deutschen idealistischen Philosophie“ scheint mir nicht dazu geeignet, „daß die Politik Wurzeln in der geistigen Substanz der Deutschen schlägt“,
sprich: daß die Deutschen frei und souverän werden, wenn ich das mal so interpretieren darf. Souverän bin ich nur, wenn ich ich selbst bin; wenn ich keiner Ideologie, Weltanschauung, Politik anhänge, sondern
wenn ich das wähle und ablehne, was ich unmittelbar will oder nicht will, aus meinem Instinkt heraus.
Wie überhaupt glaubt eigentlich Horst Mahler, daß dies vonstatten geht: die „Wiederaneignung der deutschen idealistischen Philosophie”? Etwa durch Schulungen der nationalen
Avantgarde in Hegelianismus, durch Erlernen von Formeln, wie es sein Co-Idealist und Co-68er Reinhold Oberlercher bereits erfolglos praktizierte? Beide, Oberlercher und Mahler, haben große Verdienste bei der
Souveränisierung der Deutschen, die bereits an anderen Stellen gewürdigt wurden und wieder gewürdigt werden: ihren Tatendrang, ihr Draufgängertum, ihren Optimismus, ihre unbedingte Selbstbehauptung. Mit vielem,
was sie schreiben, sagen und tun sind wir hundertprozentig einverstanden; auch mit vielen Punkten ihrer praktischen Programme; und die Deutschen werden – vermute ich – in ihrer übergroßen Mehrheit
hinter Mahler als Sprecher stehen können. Mit ihrem philosophischen Idealismus aber, wenn sie glauben, uns davon überzeugen zu können, sind sie auf dem Holzweg, auf dem wir ihnen zu folgen nicht bereit sind. Wir
brauchen den anderen Flügel der 68er, den der Spontis und Autonomen im Gegensatz zu den Theoretikern und Bücherwürmen, die uns ihre Philosophien, ihre Seinserfahrung präskribieren wollen. Was hat sich überhaupt
jemand in meine intimsten und ehrlichsten Gedanken (und das ist für mich Philosophie) einzumischen? Eine Philosophie von einem anderen zu übernehmen (ich spreche nicht davon, daß ich mir bestimmte Worte und
Gedanken, die meinem Leben entsprechen, aneignen kann), das kann doch nur aus Zwang und Abhängigkeit geschehen. Aber hat das dann noch etwas mit Philosophie (verstanden als freies Denken) zu tun? Ich zum
Beispiel brauche keine Philosophie (mehr). Das hindert mich nicht daran, fröhlich auf die Tage zurückzuschauen, als ich mir noch den Kopf zerbrochen und mich am Ende mit der Antiphilosophie Stirners von der
(präskriptiven, normativen) Philosophie verabschiedet habe. Wenn Philosophie aber freies Denken meint, dann landet man automatisch im Nihilismus.6 Nun herrscht im allgemeinen das volkstümliche und nicht philosophiegeschichtliche Verständnis von Nihilismus vor, so auch bei Mahler. Das ewige Mißverständnis zwischen Hegelianern und Nichthegelianern bezüglich der Begriffe “Begriff” und “Realität” scheint hier eine Entsprechung zu finden: Im Volksmund bedeutet Nihilismus “Leugnen (und damit Zerstörung) des Wirklichen”; in der Philosophie jedoch bedeutet Nihilismus das Bestreiten, daß Begriffe wie Gott eine Realität darstellten. Philosophie ist Produkt der Kränkung, innerpsychophysischer Stagnation, der Verwüstung des vegetativen Apparates Menschentier, das sich in widrigen Umständen zum Menschen aufschwingen mußte und noch heute glaubt, dies immer wieder, von Generation zu Generation, tun zu müssen. Dieser Mensch will und will nicht einsehen, daß all seine Versuche, seiner Misere mit ideellen Methoden, mit „Wissen“, Büchern und Theorien zu entkommen, vergeblich sind. Seit wieviel Hunderten, Tausenden Jahren versucht’s der Mensch? Um die Jahrhundertwende ahnte einer das Dilemma, aber auch er ging genau den falschen Weg, auf dem nämlich der Mensch endgültig von seinen inneren, tierischen Wurzeln getrennt würde, auf dem er überwunden, zum Übermenschen werden sollte. Wenn der (zivilisierte) Mensch sich in Frage stellen muß und eine Alternative braucht, dann müßte diese “Untermensch” heißen. Wir bedürfen keiner „lebendigen sittlichen Substanz“, die „verloren gegangen zu sein (scheint)“, wir brauchen wieder lebendige, d.h. selbstische Substanz. Philosophie muß wieder Synonym für einfach freies Denken anstatt systematischem Denken werden. Denken darf nicht Diener am Bau eines Systems sein, sondern Denken muß frei sein. Alles andere ist Streß. Was wir brauchen ist Intelligenz und keine “Intellektualisierung des nationalen Lagers”, und Intelligenz erwächst immer aus dem Instinkt. Das ist zumindest meine Erfahrung, aber ich dränge sie niemandem auf.
Mahler schreibt mir in einem Brief: „Und was Gott betrifft, wäre es schon ein Fortschritt, wenn Sie mal von der Annahme ausgingen, daß Sie Gott sind. Was bliebe dann noch von Ihren
Einwänden?“ An „Einwände“ kann ich mich nicht erinnern; aber da es für mich keinen Gott gibt (ohne „Atheist“ zu sein – Agnostiker nennt man das wohl), kann ich auch nicht von der
Annahme ausgehen, ich sei Gott. Man muß schon etwas darunter verstehen, der Gedanke eines Gottes muß schon irgendwie da sein, es muß schon irgendwie zu meiner Terminologie gehören, wenn ich dieses Experiment
durchzuführen in der Lage sein soll. Ich bin also durchaus prinzipiell nicht gegen den Fortschritt – aber ich kann’s einfach nicht! Ich sehe mich aber auch nicht als bornierten Rückschrittler, der
gewissen segensreichen Lehren von vornherein abgeneigt wäre. Eher fühle ich mich wie ein Wilder auf einer Insel, den plötzlich ein Weißer besuchen kommt, der ihm unverständliche Geschichten erzählt.
„Sie trennen noch, was nicht trennbar ist. Können Sie Denken von Leben getrennt denken? Gefühl von Denken getrennt denken? Denken von Psyche getrennt denken?“, fragt mich Mahler.
Ich bin mir nicht bewußt, irgend etwas über die Maßen zu trennen. Ich bin kein Monist, das ist wahr. Es gibt Dinge, die voneinander verschieden sind; man sollte sie entsprechend auch als verschieden wahrnehmen
und benennen, also voneinander trennen. Ich finde, heutzutage grassiert ein vulgäres Pseudoganzheits“denken“, das eigentlich der Stillstand des Wahrnehmens, Differenzierens und Denkens ist. Aber ein
Stillstand des Denkens und Philosphierens nicht wie in der o.g. erlösenden, schöpferischen Art (Post- bzw. Paraphilosophie), sondern in der Art des Todes, der Resignation: Da regt sich wirklich nichts mehr.
Natürlich kann ich Denken nicht von Leben trennen (also auch nicht „getrennt denken“); Denken ist eine „Funktion“ des Lebens, ist eine Lebensäußerung, wie auch immer. Ehrlich gesagt, verstehe ich
Mahlers Fragen nicht ganz, zumindest nicht, warum er sie mir stellt. Sie sind mir zu einfach, zu einfach zu beantworten; darüber braucht man nicht nachzudenken.
„Worin wir uns unterscheiden ist vielleicht dies: Ich will, daß mein Selbst in mir herrscht und nicht von ES beherrscht wird. Ich will, daß die Gesetze, die im Gemeinwesen herrschen, mein
Wille sind. Ich weiß aber zugleich, daß ich in meinem Willen auch Inhalte habe, von denen ich nicht will, daß sie im Gemeinwesen als Gesetze herrschen. Herrschaft des Gesetzes als Herrschaft meines vernünftigen
Willens. Was vernünftiger Wille, und was nur meine Willkür ist, darüber nachzudenken, ist auch Philosophie“, schreibt mir Horst Mahler .
Hier werden die fundamentalen Fragen aufgeworfen. Daß das Selbst herrschen soll: darin scheinen wir einig zu sein – bis auf die Terminologie („herrschen“), die aber auf eine
grundsätzliche Diskrepanz hinweist. Das Selbst kann/sollte nämlich nur (über etwas) „herrschen“, wenn etwas beherrscht werden muß. Ich will aber ohne Entzweiung, ohne die Notwendigkeit einer Beherrschung
leben. Hier wird für mich wiederum zu sehr getrennt bzw. dämonisiert. Für mich haben die psychoanalytischen Kategorien keine Realität. Ich brauche mich („mein Selbst“) nicht zu beherrschen, ohne asozial zu
sein. Ich habe kein „Es“ und brauche kein „Über-Ich“. Das Freud’sche Vokabular entspricht nicht meinem „anthropologischen Verständnis“, ums mal wissenschaftlich zu sagen. Ich brauche also
nichts zu trennen, und ich brauche von daher auch keine philosophischen Konstruktionen, mit denen das Getrennte, die Gegensätze auf tieferer Ebene zu Einheiten zurückgeführt werden, also auch keinen
Hegelianismus. „Ich will, daß die Gesetze, die im Gemeinwesen herrschen, mein Wille sind“, schreibt er. Auch hier scheinen wir ziemlich nahe Positionen zu haben. Aber das Vokabular zeigt wieder die
Diskrepanz auf: So wie ich keine Herrschaft möchte und brauche, so brauche ich auch keine Gesetze – auch wenn die angeblich mit meinem Willen übereinstimmen. Das Gerede vom “inneren Gesetz” (in
Abgrenzung zum schlechten äußeren) beweist doch bloß, daß man nicht frei ist. Wie sagte Hegel noch mal?: “Das Vernünftige muß als seine eigenste Subjektivität in ihm erscheinen [...] Die Sittlichkeit muß
als Empfindung in das Kind gepflanzt worden sein.” Mahler illustriert perfekt das Resultat einer solchen vernünftigen Erziehung: “Ich will, daß die Gesetze, die im Gemeinwesen herrschen, mein Wille
sind”. Wenn Nomie, dann gibt es nur Heteronomie, keine Autonomie. Autonomie ist ein Widerspruch in sich. Das ist es, was ich an Mahler kritisiere und wo ich sage, daß er im Jüdischen, in der
Gesetzesherrschaft verhaftet ist. Ich habe „in meinem Willen“, keine „Inhalte, von denen ich nicht will, daß sie im Gemeinwesen als Gesetze herrschen“. Ich brauche also auch nicht „darüber
nachzudenken“ (über das, was „vernünftiger Wille, und was nur meine Willkür ist“), also auch keine (Hegel’sche) Philosophie. Ich, der angeblich alles trennt, trenne nicht in
„vernünftigen“ und irgendeinen anderen Willen. Sowie irgendeine Form von Herrschaft existiert – sei sie nun die der Gesetze oder die der „Vernunft“ –, haben Sie kein Heil, kein Ganzes (im
Sinne der Kindersprache, nicht in der der (Hegel’schen) Philosophie), sondern Verzweiflung.
Mahler schreibt mir: „Sie scheinen die Natur über den Geist zu stellen. Sie gehen von einem Gegensatz von Geist und Natur aus. Das ist für mich überhaupt nicht nachvollziehbar.“
Wenn Geist Herrschaft der Ideen heißt, gebe ich ihm recht, wobei ich die Natur eher im Drunter verorte, die Herrschaft im Drüber. Auch hier sprechen wir eine andere Sprache. Also in meiner Gewichtung, Wertung
oder Parteinahme würde ich eher die Natur unter den Geist stellen, weil ich sie für wichtiger erachte, weil ich ihr näher stehe.7 Aber eigentlich brauche ich keine Wertung vornehmen, denn der Geist, zumindest das, was ich mir darunter vorstelle, also einfach nur diese spezielle, differenzierbare und differenzierende „Funktion“ des Lebens, eine der Äußerungen von Natur, kann nicht über oder unter dieser stehen. Also insofern sind wir uns gar nicht mal so uneinig. Für mich ist es eine Selbstverständlichkeit, daß die Dinge zusammengehören. Der Hegelianismus muß daraus eine Theorie machen. Für mich ist Hegelianismus die Krönung der Philosophie, wobei ich das negativ bewerte bzw. – wenn positiv – als notwendiger letzter Schritt. Nur nach Hegel und dann Feuerbach konnte
Stirner kommen. Stirner ließ das ganze Luftschloß gründlich einkrachen.
Das ist aber hier nicht das Problem. Das Problem ist, daß kein Volksgenosse einem anderen etwas vorzuschreiben hat und daß kein Volksgenosse im Namen der anderen Volksgenossen
Weltanschauungen verbreitet. Der als radikaler Atheist geltende französische Philosoph Julien Offray de la Mettrie schrieb in der Mitte des 18. Jahrhunderts in seinem Buch „L’homme machine“: „Damit will ich nicht sagen, daß ich die Existenz eines höchsten Wesens in Zweifel ziehe; mir scheint im Gegenteil, daß der höchste Grad an Wahrscheinlichkeit für sie spricht.“8 Dieses Zitat dürfte nur jene überraschen, für die Aufklärung nur oberflächliches, rationalistisches, mechanistisches Denken bedeutet, für die die Aufklärung nichts als – so Mahler: – „Aufkläricht“ ist; und es zeigt, daß die Bezeichnung „Atheist“ für den Aufklärer de la Mettrie überhaupt nicht angebracht ist. De la Mettrie bestreitet nicht nur nicht die Existenz eines Gottes, und er räumt sogar ein, daß „der höchste Grad an Wahrscheinlichkeit für [die Existenz eines höchsten Wesens] spricht“ – er sagt lediglich (und ähnelt darin Michael Kühnen9 ), daß die Fragestellung sinnlos, absurd und wenig erbaulich ist; er sagt nicht nur, daß wir die Frage nach Gott nicht beantworten können, sondern,
daß uns die Beantwortung dieser Frage in keiner Weise von Vorteil, von Nutzen, von irgendeinem Wert sein kann: „Verlieren wir uns nicht in Spekulationen über das Unendliche! Wir sind nicht in der Lage, uns auch
nur im entferntesten eine Vorstellung von ihm zu machen; und es ist uns auch völlig unmöglich, auf den Ursprung aller Dinge zurückzugehen. Im übrigen ist es für unseren Seelenfrieden ganz gleichgültig, ob die
Materie ewig ist oder ob sie erschaffen wurde; ob es einen Gott gibt oder nicht. Welch ein Wahnsinn, sich mit Dingen abzuquälen, die wir unmöglich erkennen können, und die, falls wir es doch könnten, uns nicht
glücklicher machen würden!“10 Obwohl wir mit dieser Aussage, was unsere Person anbelangt, übereinstimmen, könnte man ihr natürlich auch widersprechen: Die Vorstellung eines Gottes wird durchaus für viele Menschen einen Sinn haben, möglicherweise Nöte lindern und zu deren Wohlbefinden beitragen; – ob sie allein diese Menschen glücklicher macht, mag tatsächlich bezweifelt werden... Aber auch das ist nicht unser Problem und hier nicht die Frage. Ich will niemandem seinen Gott nehmen. Das muß jeder selbst sehen, das liegt allein im Bereich jedermanns und jederfraus Freiheit und Verantwortung. Und auch de la Mettrie sieht darin nicht das eigentliche Problem. Was aber allein die Frage Gott oder nicht Gott, überhaupt irgendein philosophischer oder religiöser Streit, für eine öffentliche Debatte relevant macht , formuliert de la Mettrie wie folgt: „Doch da diese Existenz [eines höchsten Wesens], wie jede andere, nicht die Notwendigkeit eines Kultes erweist, wäre sie eine rein theoretische Wahrheit, die in der Praxis kaum anwendbar ist.“11
Mahler liegt erkenntnistheoretisch gar nicht so weit davon; er schreibt: „Seit Beginn der Aufklärung stehen wir sicher in der Erkenntnis, daß die Existenz Gottes nicht bewiesen werden
kann. Hinter diesen Satz kann das Denken nicht zurück. Aber ebenso sicher ist die Erkenntnis, daß auch die Nicht-Existenz Gottes nicht bewiesen werden kann.“ Er mißachtet und ignoriert dabei nur eines: daß
einem das alles völlig schnuppe sein kann; daß man sich außerhalb eines solchen Streites sehen kann. Das Leben muß auch nicht „zu erfassen“ sein. Ich brauche und will keine Nicht-Existenz beweisen. Es sei
„nicht vernünftig, sich gegen Gott zu entscheiden“. Ich „entscheide“ mich nicht „gegen Gott“; es gibt für mich keinen Gott. Und ich will auch nicht, daß sich andere in diesem Punkt für mich
entscheiden. Welchen anderen Sinn aber hat Mahlers Rede von Gott als den, daß er aus Gott einen „Kult“ machen will? Wo die „Vernunft“ angerufen wird, da ist die Dressur nicht weit. Was ist daran aber
befreiungsnationalistisch? Wenn Gottes Existenz so zweifelhaft ist, nicht bewiesen werden kann, warum dann ein Aufhebens davon machen? Mahler gibt sich zunächst erkenntnistheoretisch großzügig, kommt dann aber
durch die Hintertür ohne logischen Zusammenhang mit dem Zeigefinger: „Deutschland als Volk und Nation kann gerade wegen seiner Geschichte nur von Gott her gedacht werden.“ Ich “denke”
Deutschland nicht, ich bin (ein Teil von) Deutschland. Deutschland ist das Land, in dem ich lebe; ich “denke” es nicht. Sagen wir es frei heraus: Mahler versucht mit seiner Hegelei und dem Amalgam
von Volk und Gott eine Herrschaft zu errichten. Und viele dulden seine Herrschaftsambitionen, weil sie zu feige sind, ihm zu widersprechen, obwohl sie nicht die Bohne von dem verstehen, was er doziert. Wozu
sonst muß aus Gott ein Aufhebens und ein Kult gemacht werden, wenn es nicht die Interessen der Theisten, Deisten, Pan-, Mono- oder Multitheisten sind, die sie mit diesem Begriff im Politischen operieren lassen?
Das ist der Beginn der Priesterherrschaft. Wo von Gott die Rede ist, schwingt sich auch immer einer zum Gott auf: Ich kenne Gott und weiß um Seine Pläne; Er will, daß wir so und so leben. Das ist jüdisch par
excellence. Es mag zu Moses Zeiten durchaus seinen Sinn gehabt haben. Heute jedoch brauchen wir – ich jedenfalls – keinen Moses.
Wir sind für solche Töne sehr sensibel und wittern aus Erfahrung zweier totalitärer Regime und vom Hörensagen über ein drittes sofort einen Angriff auf unsere freie Existenz, der umgehend
pariert werden muß. Die deutsche Freiheitsbewegung darf auf keinen Fall auch nur einen Schritt in Richtung einer weiteren Gesinnungsdiktatur zulassen. Dieser Schritt ist mit den Äußerungen Mahlers getan. Keinen
Fußbreit dem philosophisch-religiösen Fundamentalismus! Keine Ajatollas in Deutschland! Mahler beweist selber seine Semi- bzw. Pseudofreiheitlichkeit, wenn er der von ihm in These 4 seiner „Thesen für ein neues
Deutschland“ vorgeschlagenen und an sich zu begrüßenden „geistigen Roßkur“, um die wir nicht herumkämen, bereits am Beginn, nämlich in These 7, eine Richtung vorgibt, also schon wieder einschränkt:
„Was ist jetzt zu tun? Wir Deutschen brauchen ein neues Bild von uns selbst. Der Anfang eines Bildes ist immer eine Vorstellung. Hier wollen wir beginnen, gemäß Hegels Wort von 1808: ‚Ist erst das Reich der
Vorstellung revolutioniert, hält die Wirklichkeit nicht aus.’ Wir sind an der Arbeit.“12 Das heißt nichts anderes als: Freiheit ja, aber so, wie ich – Horst Mahler – sie meine. Mahler gibt hier in einer an Arroganz grenzender Selbstverständlichkeit den Weg vor, von dem er wohl tatsächlich annimmt, wir würden ihm auf diesem folgen. An dieser „Arbeit“ wollen wir nicht teilnehmen. Was wie ein gönnerhafter Vorschlag aussieht, den die gebildete Klasse uns großzügigerweise unterbreitet, ist der erste Schritt, uns – in wessen hehrem Namen (etwa dem des Volkes) auch immer – ein Bekenntnis abzufordern und uns einem Regiment zu unterwerfen. Dem treten wir ebenfalls gleich im Beginn mit aller Entschiedenheit entgegen. Wehret den Anfängen! Religion und Weltanschauung müssen Privatsache bleiben, so wie es bis zu Mahlers Erscheinen in der Nationalbewegung der Fall war. Wo sich die Privatansichten und -meinungen spontan überschneiden, bilden sie den Volksgeist. Das kann nur von unten in den tiefen existenziellen und naturhaften Schichten und jenseits von Schulen geschehen. Hier handelt es sich um eine Usurpierung des Volkes und einen Mißbrauch des Begriffes Volk. Keiner darf sich an die Stelle des Ganzen setzen! Wir lassen uns von niemandem einreden, daß wir „ein neues Bild von uns selbst brauchen“. Wir beginnen also auch nicht „hier“ und auch nicht „gemäß“ irgendeines Wortes wessen auch immer. Wir brauchen kein Maß. Wir sind frei und maßlos.
Wir brauchen Horst Mahlers frischen Wind als Kämpfer gegen unsere Unterdrücker, wir brauchen ihn als durchaus charismatische Erscheinung, die er ist; wir brauchen nicht den Hauch eines
Predigers. Horst Mahler hat Qualitäten; eignet er sich jedoch bei seiner Gesinnungsparteilichkeit als Führungsfigur? Horst Mahlers Empörung gegen die Unterdrückung der Deutschen ist echt. Jeder Versuch einer
neuerlichen Unterdrückung jedoch – und sei es aus dem eigenen Lager heraus und in einer vermeintlich harmlosen Sache, wie es Philosophie und Religion ist – muß zurückgewiesen werden. Wir tauschen
keine alten (fremden) Herren gegen neue (auch aus dem eigenen Volk) aus! Kein Streit, keine Entzweiung, kein Hader wegen religiöser Fragen! Zurück zu weltanschaulicher Toleranz und absoluter Gesinnungsfreiheit,
wie sie bisher im nationalen Lager und unter freien Deutschen eine Selbstverständlichkeit war! Möge philosophische Spekulationen anstellen, wer will. Wenn sich die Deutschen für Gott oder Nichtgott
interessieren: bitte! Diskussionen in Freiheit bis zur Vergasung! Es kann ja auch Spaß machen und schöpferisch sein. Aber keine Vorschriften! Keine Schwüre! Keinen Kult, außer einem im volksmündlichen Sinn! Kein
feiges Schweigen, kein Hinnehmen mehr der Versuche von weltanschaulicher Dominanz! Es lebe die freie Nation!
Peter Töpfer
Anmerkungen:
1 Michael Kühnen: Grundlagen des Heidentums, Staatsbriefe
8-9/1992, S. 23
2 G.W.F. Hegel aus: Grundlinien der Philosophie des Rechts. §§ 174, 175, Zusätze; hier zitiert nach Bernd A. Laska, “Katechon” und “Anarch”. Carl Schmitts und Ernst Jüngers Reaktionen auf Max Stirner, Nürnberg 1997, S. 42/43 oder http://www.franken.de/users/lsr/mseigner.html. Laska stellt dieses Hegel-Zitat neben eine Aussage Bakunins, dem vermeintlichen Antipoden Hegels, der unterm Strich jedoch nur ein anderer, nämlich negativer Staatsfetischist und Apologet der “Verjudung”, d.h. Selbstzerstörung ist: “Kinder müßten sich ‘bis zum Alter ihres Freiwerdens (...) unter dem Regime der Autorität befinden‘. Dies solle zwar mit fortschreitendem Alter milder werden, aber nur deshalb, ‚damit die herangewachsenen Jünglinge, wenn sie vom Gesetz freigemacht sind, vergessen haben mögen, wie sie in ihrer Kindheit durch etwas anderes als die Freiheit geleitet und beherrscht wurden‘.” Laska ebenda; Laska zitiert Michail Bakunin nach “Prinzipien und Organisation der internationalen revolutionären Gesellschaft” (1866), in: Gesammelte Werke, Bd. 3, Berlin, Der Syndikalist 1924, S. 25
3 Wenn das mal so stimmt. Es gibt ganz andere Interpretationen der Evangelien, die in eine ganz andere Richtung führen, z.B. die Wilhelm Reichs: Christusmord, Walter-Verlag Olten und Freiburg im Breisgau 1979
4 Horst Mahlers Sicht auf den NS soll gesondert betrachtet werden; nur so viel vorab: So wie der NS mit seiner abenteuerlichen Sittlichkeitsdiktatur gescheitert ist, weil er im “Jüdischen” stecken geblieben ist und den “jüdischen Geist” “jüdisch” überboten hat, weil er ein Unternehmen darstellt, das den “jüdischen Geist” mit “jüdischen” Mitteln zu “überwinden” versucht hat, so ist auch jeder neue Versuch, den “jüdischen Geist” mit “jüdischen” Mitteln (normativen und präskriptiven Theorien) zu bekämpfen, d.h. ihn zu überwinden, zum Scheitern verurteilt. D.h.: Diese Versuche scheitern nicht, sondern sie sind in ihrer Judäoimmanenz durchaus erfolgreich: Sie führen in die Katastrophe, in die Verwüstung. (Siehe hierzu auch Kardel: Adolf Hitler - Begründer Israels, Genf 1974. Kardels These ist, daß die ideologische “Verjudung” der NS-Führung in der jüdischen Abstammung der allermeisten dieser NS-Führer ihren Grund hat.)
5 Alain de Benoist, Manifest für einen europäischen Frieden, Sleipnir 3/96
6 Panajatos Kondylis (1981): „Der nihilistische Standpunkt ist auf theoretischem Gebiet dem normativistischen prinzipiell überlegen.“ zit. aus Julien Offray de La Mettrie, Über das Glück oder Das höchste Gut („Anti-Seneca“), Nürnberg 1985,
LSR-Verlag, Umschlagseite
7 Vgl. Ludwig Klages, Der Geist als Widersacher der Seele. Die Seele ist das naturhaft-natürliche, der Geist das Zerfallsprodukt der zerstörten Seele.
8 Julien Offray de La Mettrie, Der Mensch als Maschine, Nürnberg 1985, LSR-Verlag
, S. 60
9 Michael Kühnen, Grundlagen des Heidentums, Staatsbriefe 8-9/1992, S. 23
10 aaO, S. 60-61. Und an anderer Stelle schreibt de La Mettrie: „Doch fällt es schwer, sich über die Unerreichbarkeit einer Erkenntnis zu trösten, die uns ohnehin weder besser noch glücklicher machen würde.“ (Philosophie und Politik, Nürnberg 1987,
LSR-Verlag, S. 96)
11 Julien Offray de La Mettrie, Der Mensch als Maschine, Nürnberg 1985, S. 60. Im Original lautet der Satz: „Mais comme cette existence [d’un Etre suprême] ne prouve pas plus la nécessité d’un culte, que tout autre, c’est une vérité théorique, qui n’est guère d’usage dans la Pratique.“ Julien Offray de La Mettrie, L’homme machine, critical edition with an introductory monographe by Aram Vartanian. Princeton University Press, Princeton NJ/USA 1960, S. 175. De la Mettrie schreibt auch: “Doch fällt es schwer, sich über die Unerreichbarkeit einer Erkenntnis zu trösten, die uns ohnehin weder besser noch glücklicher machen würde.” Philosophie und Politik,
LSR-Verlag, Nürnberg 1987, S. 96
12 Horst Mahler, Thesen für ein neues Deutschland, Staatsbriefe 6-7/99
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