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[aus junge Welt vom 4.1.01:] Beruf:
Linker Rassist Anmerkungen zu einer merkwürdigen Versammlung Berliner Linker
Sind Araber Menschen, oder auch Menschen? Oder sind Araber einfach nur Araber, schönen Hengsten gleich, vor allem also wilde Tiere, niederen Instinkten folgend, mit allerhand
Trainingsaufwand aber doch auch irgendwann präsentabel? Diese und ähnliche Fragen drängten sich mir auf, als ich im Hinterzimmer einer Hauptstadt-Kneipe dieser Tage unversehens in eine Versammlung Berliner
Linker geriet. Am Schlesischen Tor pfiff ein kalter Wind, ich blieb also und staunte nicht schlecht - über die, um es positiv zu formulieren, verquer-naive Sicht auf den Nahost-Konflikt derjenigen, die sich für
die personifizierte Intellektualität im Kiez halten und meinungsbildend wirken in einer immer unübersichtlich scheinenden Welt Kreuzberger Hinterhöfe.
Bruder Justus predigte diesen Abend mit beschwingter Stimme über den »Beruf: Palästinenser«. Dieser ist, nicht mehr und nicht weniger, »Speerspitze antisemitischer Rettungsbewegungen der
Elenden weltweit«, ließ er seine Gläubigen in ernstem Ton lapidar wissen.
In wenigen Worten wurde die seit über drei Monaten andauernde zweite Intifada, der Widerstand vor allem palästinensischer Jugendlicher gegen die Besatzungsmacht Israel also, der
Einfachheit halber zum antisemitischen »Kampf gegen die Juden« resümiert. Er, der Kampf, beziehungsweise der fanatisch irrational-entrückte Palästinenser, ziele darauf ab, letztere allesamt ins Meer zu treiben.
Alle weiteren, im allgemeinen ebenfalls unter die Rubrik Volksverhetzung fallende Ausführungen konzentrierten sich schließlich darauf, mit Ausnahme der Juden alle übrigen Menschen im arabischen Raum zu
entmenschlichen. Im Gegensatz etwa zu israelischen Linken, wenn auch gleich marginalisiert wie die hiesigen, so doch mit ganzem Kopf und Verstand bei der Sache, den eigenen Staat als koloniale Einrichtung
bekämpfend, idealisierte das linke Häufchen Elend in der deutschen Hauptstadt Israel zu einer völkisch- homogenen, zivilisatorisch allemal vorzuziehenden Oase des Fortschritts inmitten eines Meeres arabischer
Barbarei.
Wo war die Antifa, die doch sonst jedem Rassisten eins aufs Maul zu hauen verspricht? Sie verteilte Flugblätter im Raum und legte mit »Lang lebe Israel!« nach. Die linken Freunde des
bedrohten Judenstaates, »Antideutsche KommunistInnen Berlin«, meinten in ihrem engbedruckten Sendbrief, »das Kindermordmotiv zieht sich durch die deutsche Kriegsberichterstattung zum Konflikt«, aber, so ihr
Lamento, »nirgends wird kritisiert, daß die fanatischen Palästinenser Kinder an die Front schicken, um sie dort den Märtyrertod sterben zu lassen, der dann weniger betrauert als gefeiert wird.« Nicht im
geringsten geht es den aufständischen Palästinensern um soziale Emanzipation oder gar Kommunismus, rügten die Berliner Kommunisten a. D. Und Israel, fragte ich mich en passant? Nein, die Palästinenser wollen
einfach »einen weiteren Staat, der, da er ökonomisch nicht lebensfähig wäre, ein autoritärer, völkischer werden muß. Der Krieg gegen Israel wird, das ist abzusehen, auch nach der Gründung eines freien Palästina
weitergehen, da die Palästinenser nur ihr Haß auf die Juden eint.« Ob das tatsächlich so ist, und wenn ja, warum, vielleicht aufgrund jahrzehntelanger kolonialer Unterdrückung und Entrechtung, dafür
interessierte sich niemand im Detail. Die kollektive Verachtung galt dem ewigen Palästinenser. Der Nahost- Konflikt wurde Folie für die vermeintlich kollektive und generationenübergreifende Schuld der eigenen
Großeltern, die in der verquasten Enkellogik wiedergutgemacht zu werden schien.
»Daraus«, aus dem immanenten Haß des Palästinensers, »sind Konsequenzen für alle Linken in diesem Land zu ziehen, die jedenfalls eine Minimaloption beinhalten müssen«, tönte es aus Bruder
Justus, der sich erneut gerierte, als sei er bezahlter Missionar oder Klinkenputzer Ariel Scharons, »uneingeschränkte Solidarität mit dem Staat Israel und schärfste Kritik der palästinensischen Volksbewegung und
ihrer Unterstützer.« Meine schlichte Frage, was man sich denn angesichts dieser »Minimaloption« unter der maximalen vorzustellen hätte, blieb von den Versammelten unbeantwortet. »Wer sich unterhalb dieser
Minimallinie einrichten will, dem gerät nicht nur sein Bekenntnis zum Existenzrecht Israels zur dreisten Lüge. Er denunziert sich auch als Komplize in einem antisemitischen und antiisraelischen Unternehmen«,
hallte mir statt dessen worthülsenleer entgegen.
Die Handvoll palästinensischer Antifaschisten, die ebenfalls den Weg zu den Berliner Linken gefunden hatten, waren aufgebracht ob der antiarabischen Stereotype, blieben aber sprachlos,
mehr oder weniger mundtot gemacht von den Ex-Internationalisten. »Die Nichtigkeit deiner Existenz findet einzig und allein darin Grund zur Erwähnung, daß du zur gleichen Zeit lebst wie der große palästinensische
Wissenschaftler Edward Said, den du hier als fanatischen Antisemiten vorzuführen versuchtest«, meinte ein Freund neben mir später zu Bruder Justus. Erheitert über die analytische Tiefe in den wenigen Worten des
Palästinensers und versöhnt mit dem Gedanken, daß die »Antideutschen KommunistInnen Berlins« vermutlich weniger Mitglieder in der Gruppe als Buchstaben in ihrem Namen haben, ging ich nach Hause, am Ende dieses
düsteren Abends in der heimeligen Höhle deutscher Berufsrassisten, den demagogisch versierten Enkeln eines Joseph Goebbels.
[Leserbrief dazu:] Kein linker Staat
Zu jW vom 4. Januar: »Beruf: Linker Rassist«
(...) Israel zu gründen war kein Projekt der Linken und der Arbeiterbewegung, wie es die Sowjetunion oder Jugoslawien gewesen sind, auch nicht der jüdischen Linken und Arbeiterbewegung.
(...) Israel ist auch heute kein linker Staat. (...)
Heute herrscht in Israel eine unterdrückerische Diktatur gegenüber der arabischen und palästinensischen Bevölkerung. Diese Apartheid findet ihre Unterstützung sowohl durch die USA wie
auch die europäischen Regierungen, so wie seinerzeit die Apartheid in Südafrika. Die gleichen Leute, die Begriffe wie »Volk« oder »Nation« am liebsten aus dem Sprachschatz streichen wollen, weil sie dahinter
sofort einen »völkischen Nationalismus« wittern, haben kein Problem dabei, den israelischen Staat als den Staat aller Juden auf ethnischer Grundlage zu charakterisieren. Ihr gesamtes Denkgebäude stützt sich auf
Kategorien wie »Tätervölker« und »Opfervölker«. So daß es schließlich kein Wunder ist, wohin der »antinationale« Wahnsinn führt - zur Diffamierung linker Organisationen als Erben Hitlers, zum Kriegsfanal gegen
»den Islam«, zur uneingeschränkten Verteidigung imperialistischer Massaker. (...)
Ich bin nicht dafür, daß unbedeutenden Sekten unangemessen viel Publizität verschafft und so deren Gurus noch ein Heiligenschein konstruiert werden sollte. Aber ich bin sehr dafür, daß
der rassistische und chauvinistische, menschenverachtende Kern der »antideutschen« oder »antinationalen« Strömung offengelegt und ihre soziale und ideologische Verwurzelung in einer Metropolenlinken, die
überwiegend weiß, männlich und den Mittelschichten zugehörig ist, dargestellt wird, um deren Einfluß auf ehrliche, antifaschistische Jugendliche, deren politische Erfahrungen und theoretische Kenntnisse noch
nicht besonders ausgereift sind, zu brechen.
Der Kampf gegen den Imperialismus, ob in Palästina, der Türkei, auf dem Balkan, in Lateinamerika oder hier in Deutschland, wird sich durch solche Scharlatane und »falschen Prediger« nicht
aufhalten lassen. (...)
Wolfgang Mueller, Hamburg
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