AUTO: Nr. 11, Juni 2004
Serge Thion: „Gerechter Frieden“? – Warum Israel nicht funktionieren kann (1)
Viele Organisationen mobilisieren, um gegen die barbarischen Methoden der israelischen Regierung zu protestieren. Die europäischen Diplomatien rufen nach einer
Beendigung der „Gewalt“ – dasselbe Wort, das man für die Taten von Fußballfans benutzt. Die arabischen Diplomatien schlagen – in der Tradition des Basars – einen Handel vor. Alle entziehen
sie sich der Wirklichkeit und rufen zu einem „gerechten Frieden“ auf.
Wer will schon keinen „gerechten Frieden“? Das ist das Leitmotiv verschiedener Kampagnen, in denen sich eine Reihe von Leuten mit Petitionen hervortun,
die sich als „Juden in Frankreich“ bezeichnen oder sich als solche bekennen.
„Gerechter Frieden“ heißt im derzeitigen politischen Kontext die Schaffung eines palästinensischen Staates, und zwar in Ausmaßen, wie sie von Juden für
richtig befunden werden, wie sie den Palästinensern von Juden zugebilligt werden: die sog. besetzten Gebiete, in Erinnerung an die Eroberung von 1967, mit der die Niederlage von 1948, als die „Siedlungen“ mehr
oder weniger evakuiert worden waren, wettgemacht wurde. Es ist an dieser Stelle hilfreich, daran zu erinnern, daß dieser Judenstaat 1947 von den Vereinten Nationen vorgesehen wurde, wobei niemand genau sagen kann,
mit welchem Recht die Vereinten Nationen über das Schicksal einer Bevölkerung verfügten, die nicht befragt wurde. Dieser nicht existierende Staat – fragen Sie sich, warum er noch immer nicht wirklich existiert
– ist schon 55 Jahre alt. Wie lange können nicht existierende Staaten leben?
Die Anhänger eines „gerechten Friedens“ bilden sich ein, daß die beiden Staaten dann, aufgrund ihres einfachen Daseins, harmonisch koexistieren. Der
gesunde Menschenverstand, der uns verbietet, solchen Naivitäten anzuhängen, sagt uns, daß diese Lösung, sollte sie durch ein Wunder eintreffen, viel zu spät käme. Seit langem schon machen die von den Besatzern
begangenen Verbrechen eine Koexistenz unmöglich. Nach zu vielen Jahren des Krieges, des Rassismus, der Brutalität und der Grausamkeiten, die von den Juden begangen wurden, ist eine Koexistenz nicht mehr möglich.
Aber vor allem hätte eine Koexistenz nichts „Gerechtes“. Welche Gerechtigkeit sollte aus einer Plünderung riesigen Ausmaßes hervorgehen? Die 60 oder 70
Prozent des palästinensischen Landes, die sich die Juden mittels eines „gerechten Friedens“ anzueignen gedenken, würden das Ergebnis eines bewaffneten Raubs großen Stils darstellen.
Seit wann erkennt ein Gericht einem Plünderer, der das Eigentum eines anderen Menschen mit roher Gewalt gestohlen hat, das Recht an, den größten Teil der Beute
behalten zu können, und erklärt die „Teilung“ für „gerecht“?
Tatsache ist, daß die Palästinenser niemals das Recht von Ausländern „anerkannt“ haben, sie zu überfallen, ihr Land zu erobern, sie mit Gewalt zu
vertreiben und zu enteignen. Ob es die Araber Palästinas sind, die in den Grenzen von 1948 geblieben sind, ob es die sind, die 1967 in den palästinensischen Gebieten unter jordanischer oder ägyptischer Hoheit lebten
oder ob es die sind, die seit 1948 in den Lagern außerhalb Palästinas leben – keiner von ihnen hat jemals wirklich diesen Raub akzeptiert. Sie leisten mit letzter Energie Widerstand.
Stellen wir uns einmal vor: Der Zweite Weltkrieg hört 1940 oder Anfang 1941 auf. Die Deutschen besetzen einen Großteil Frankreichs. Eine gewisse résistance organisiert sich und führt immer mehr Aktionen gegen die Besatzer durch. Entschlossen, die „Terroristen“ zu vernichten, besetzen die Deutschen auch noch den Rest des Landes. Was dazu führt, daß die résistance verstärkt
wird; die Attentate gegen den Okkupanten häufen sich. Die Besatzungsarmee begeht immer mehr Greuel. Es kommt zu Selbstmordattentaten als Antwort auf den immer massiveren Einsatz des Militärs durch die
Besatzungsmacht.
Da treten gute Menschen auf den Plan und schlagen einen „gerechten Frieden“ vor. Man zieht entlang der Demarkationslinie eine Grenze. Die Deutschen
eignen sich die ganze Nordzone an, darunter die atlantischen Regionen, in denen die inzwischen Ausländer gewordenen Franzosen praktisch keine Rechte mehr haben. Frankreich besteht nur noch aus dem Zentralmassiv und
der Provence. So sähe der „gerechte Frieden“ aus, meist von deutschen Emigranten vorgeschlagen.
Was halten Sie davon? Ist das nicht eine wunderbare Lösung? Sind die israelischen Führer nicht selber für diesen „gerechten Frieden“? Was zur Genüge
beweist, daß diese „Lösung“ das Gegenteil des Friedens und die Umkehrung der Gerechtigkeit ist.
Diese „Lösung“ basiert auf einem furchtbaren Zynismus, auf einer nicht aufhörenden Ungerechtigkeit. Das ist kein „Frieden“, das ist eine durch
Krieg herbeigeführte „Lösung“. Der britische Zynismus bringt es auf den Punkt: Might is right.
Die deutsche Besatzung Frankreichs ist beendet. Das Deutschland des Dritten Reiches ist abgeschafft, zerstört und vollständig aufgelöst worden. Die Sowjetunion
ist Vergangenheit. Die DDR ist aufgekauft. Die türkische Besatzung Zyperns wird nicht ewig dauern. Die chinesische Besatzung Tibets wird verurteilt. Die israelische Besatzung wird aufhören müssen, in den „besetzten
Gebieten“ wie überall in Palästina. Die einzig dauerhafte Lösung, der einzige gerechte Frieden wird der Rückzug des militaristischen und faschistoiden israelischen Staatsapparates sein, der durch politische
Mittel wie irgendein anderes Pleite gegangenes Unternehmen liquidiert wird.
Falls – durch eine singuläre Perversion des Gerechtigkeitsempfindens – den Juden zugestanden werden könnte, daß sie zu irgendeinem Moment irgend
ein noch so geringes Recht in Palästina gehabt haben, so hätten sie es durch ihr fundamental rassistisches und unmenschliches Verhalten und durch Taten, die vom Recht unter der Rubrik „Verbrechen gegen die
Menschlichkeit“ verbucht werden, verwirkt.
Der einzige gerechte Frieden besteht darin, daß die Juden das Land verlassen, so wie die Kreuzfahrer vor neunhundert Jahren nach einem Jahrhundert
militärischer und politischer Präsenz wieder das Land verlassen mußten.
In Algerien hat es 130 Jahre und einen Krieg gebraucht, um die Siedler vom Weggang zu überzeugen. Die einzigen dauerhaften Kolonisierungen sind die, die mit
einem mehr oder weniger vollständigen Völkermord beginnen (Nordamerika, Australien, Neuseeland usw.).
Was die anbelangt, die heute einen auf der Ungerechtigkeit gründenden „gerechten Frieden“ verlangen, so muß man sie fragen, ob sie nicht freiwillig oder
unfreiwillig Agenten eines umgeschminkten Zionismus sind, der seine Brutalität verbergen will.
Eine jüdische Präsenz in Palästina zu unterstützen heißt, die Verbrechen zu rechtfertigen, auf denen diese Präsenz basiert und ohne die es seit langem keine
jüdische Präsenz gäbe.
Israelis, denkt an Noriega, Hussein und Bin Laden! Seht, wie die Amis ihre eigenen Kreaturen bombardieren!
Anmerkung
(1) Erschien zu erst in Sleipnir.
Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik, Heft 39
Übersetzung: Peter Töpfer
Eine Übersicht von weiteren Texten von Pierre Guillaume und Serge Thion hier.
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