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AUTO: -CHTHON & -NOM Nr. 20, September 2005 – Übersicht –
Hanne Pfiz-Soderstrom
Vom Vergessen befreit: Jakob Haringer – deutscher Dichter
Er fiel mir plötzlich ein, dieser zärtliche und eigenwillige Dichter und Prosaist mit dem goldenen Herzen, dessen Gedichte ganz aus dem
Emotionellen fließen, der arm war und doch reich. Auch erinnerte ich mich daran, daß vor etlichen Jahren ein Antiquariat in München für ein vierseitiges Gedichtbändchen, das der Dichter im Privatdruck in den 20er
Jahren herausgegeben hatte, 350,- DM verlangte, eine Summe, wovon der Dichter nur hätte träumen können.
„Ein Sonntagskind, in einer Welt ohne Sonntage“, nannte Hermann Hesse den Dichter Jakob Haringer, der nach seinen eigenen Gesetzen, seinem
eigenen Rhythmus, der nach seinem bliss lebte, der zeitlebens ein Vagant war und sich wenig um die Literaturkritik seiner Zeit kümmerte. Über dreißig Bücher sind von ihm erschienen, der Großteil im Eigendruck. Wer kennt ihn noch?
Jakob Haringer wurde 1898 in Dresden geboren. In seinem Werk findet sich aber kein Bezug zu seiner Geburtsstadt. Zur Heimat wurde ihm die
Landschaft um Salzburg. Wie sehr er an Salzburg hing, drückt er in seiner Beschreibung darüber aus: „Zu allen Gassen schauen die fernen und nahen Hügel und weißen Berge herein wie neugierige Mädchen und liebe gütige
Großmütter. In unendlicher Liebe neigen sich die alten Häuser zueinander. Es duftet nach Wachs, Äpfeln, Wäsche... Diese Stadt, die so süß von Liebe, von der Treue, von Sehnsucht geigt – man ist ihr verfallen
wie einer Frau.“
In seinen Gedichten und seiner Prosa bittet, fleht, beschwört, flucht, flüstert und kost er. Auch hadert er zuweilen mit seiner Existenz, ohne
auch nur daran zu denken, sein Vagantendasein aufzugeben.
So fleht er: „Lieber Gott! Du solltest wirklich deinen allerletzten Freund nicht so behandeln!... Weißt du, bloß Kleinigkeiten sind es nun einmal,
die auf Erden uns armen Würmern die Wege erleichtern ... und selbst mit denen geizest du... Das Glück ist immer gegen die armen Leute. ... Weißt du, es ist schon hundsgemein, daß du nicht helfen magst! Du, schick
sofort ein Wunder!! ... Ich habe nie gespart wie deine Braven, ich habe all deine schönen Dinge gekostet und genossen und verschenkt... Wenn deine andern endlich krepieren, liest man ja immer von ihrem edlen,
großzügigen ‚Vermächtnis’ – allerdings habe ich noch nie gelesen und gehört, was sie zu Lebzeiten wahrhaft Gutes getan. Wie lieb ich all deine schönen Sachen: ein Amselruf im Morgenrot, ein Mädchenknie,
eine Leberwurst, eine kleine süße Melodie, Frauenhüften, Gewürze, Duft der Parfüms, Zigarren, die liebe Einsamkeit, Stille, Hunger, mit einem guten Kameraden essen und trinken. Und wie schön hast du erst die
Sünde, das gute Laster gemacht!“
Unverkennbar in ihrer Eigenart sind seine späten Gedichte, die von einem edlen und reinen Empfinden getragen sind. Noch unter Tränen leuchtet sein
Lächeln kindlich sanft:
GEBET UM SÜNDE
O Gott! aus diesen lauen grauen Tagen Glüh mich zur Sünde hin, weil mich so friert – Eh daß mein Herz vereist in frommen
Sagen, Mach mich ein bißchen teuflisch und vertiert. Ihr toten Tage ausgehöhlt entgöttert, Wie ungewürzte Speise leer und schal, Sauer wie Schweiß um blöd vertane Arbeit – Ihr Toten – ach
erstickt mich tausendmal; Wie Wein, in den es jahrelang geregnet. Auf euch ruht nimmer Gottes Mutterhand... Behängt mit meinen nie geweinten Tränen, Mit meiner letzten Wünsche Kindertand. Wo ist der
Engel, der da gut und weise Euch wachsen ließ wie Veilchen aus dem Schnee? Dies stille Frommsein ist ja gut für Greise – Die Sünder tun einander nimmer weh. O in der Sünde festlichem Gewimmel
– Ach, bloß die Laster machen gut und rein. Ich bin so ungeeignet für den Himmel! Laß lieber mich ein frommer Heide sein. O laß mich lieber Dir mit Sünden danken... Die Sünden weinen sich die
Augen aus. Die Heiligen mit ihren Löwenpranken Zerschlagen ganz mein armes Blumenhaus.
Seine heile Welt aber ist die Erinnerung an die Kindheit. Er besingt sie in den zärtlichsten Tönen, flüchtet sich in sie: „Ich hab als Kind zu
wenig wohl gespielt, drum muß das ganze Leben ich verspielen.“ Die Herausgabe eines Gedichtbandes „Kind im grauen Haar“ ist Ausdruck dieser Sehnsucht.
ZUM LIEBEN UND TRÄUMEN
Ich freu mich so, wenn’s draußen lustig regnet, In meiner Kammer träum ich faul im Bett. Mir ist, als hätt’ der Regen mich
gesegnet, Und sei das Schicksal auch noch einmal nett. So ewige Nächte floß die dunkle Wunde, Die mir die Liebe schlug und ihre Pein – Doch eine Nacht kam diese süße Stunde, Da schlief dies
ganze, ganze Elend ein. Der Regen ist mir Himmel ach und Klause, Er rauscht so schön als sei noch Kinderzeit. Beim Regen geht mein irres Herz nach Hause, Als sei die schöne, schöne alte Zeit.
WIEGENLIED
Schlaf mein Kind, deine Mami wacht, Dein Vater hat sich davon gemacht, Er hat sich gedrückt und so sind wir allein! Schlaf mein Kindlein,
schlaf ein!
Dein Vater, er ist wohl ein armer Mann, Weil er an Dir sich nicht freuen kann, Wie kann er verleugnen sein eigenes Blut, Aber schlaf mein
Kindlein, schlaf gut!
Wenn dein Vater in deine Augen säh’, Dann tät er uns nicht so bitter weh, Dann brächt’ er dir Kuchen und Blümelein
– Aber schlaf mein Kindlein, schlaf ein!
Und wenn dein Vater uns auch nicht gern, Wir haben noch Wiesen, noch Wolken und Stern. Und vielleicht auf einmal fällt ihm ein Irgendwo,
irgendwo lacht mein Kindelein – Drum schlaf mein Kindlein – schlaf ein...
Obwohl er durch die Herausgabe seiner Gedichtbücher immer wieder Einnahmen bezog, hätte Haringer ohne die Hilfe von Freunden, Kollegen und
Unterstützern sein Vagantenleben nicht halten können. Neben finanzieller Hilfe, brauchte er Obdach, Nahrung sowie Unterstützung seiner literarischen Arbeit, die ihm insbesondere Hermann Hesse und Alfred Döblin
zukommen ließen.
Döblin schrieb: „Er ist von Haus aus Lyriker und Könner... Woran denke ich bei diesen Stücken? An Tübingen, Hölderlin, die Maler Spitzweg, an
Richter, Blechen. Eine sehr deutsche Pflanze. Verschollener Typ eines vagierenden Poeten. Er schreibt von Kinos, Cafés, aber fühlt Rothenburg und Nürnberg...“
Jakob Haringer starb am 3. April 1948, wenige Tage nach seinem fünfzigsten Geburtstag in Köniz bei Bern. Ein Herzschlag hatte sein bewegtes Leben
beendet.
RAT AUS MEINEM LEBEN
Wenn Du einen Menschen gefunden, Ist er auch oft nicht schön und gescheit, Sei kein Richter! O denk seiner Wunden Und unserer
Sterblichkeit. Du mußt wie zu einem Kind sein, Auch Dir tut doch alles gleich weh. Du darfst nicht so strafend und blind sein, Schau, so bald liegt der Sommer im Schnee! Du pflegst doch auch Blumen
und Tiere, Hast Nachsicht mit ihnen und Dir – Denk an verstimmte Klaviere, Einer zerbrochenen Tür. Denn hat Dich dies Herz dann verlassen, Was dieser Mensch alles war, Das weißt Du erst, wenn
er verstorben Oder ganz grau schon Dein Haar.
DIES KURZE LEBEN
„Das Leben ist so kurz!“ – so jammern sie, Verhasten, hetzen diese kleine Bahn Und kennen keine Rast und Melodie. „Das Leben
ist so kurz!“ – ihr toller Wahn. Und haben „keine Zeit!“ – die Sklaven, und Sind angeschirrt, so wie der ärmste Hund... Drum lob ich mir den edlen Müßiggang, Da wird das ganze
Leben zum Gesang. Rennt zu und hetzt und peitscht und zählt und strebt: Sagt lieber, einfach: ich hab nie gelebt!
DAS LEBEN
Nur die jämmerlichsten Wichte Fabeln stets von Weltgeschichte Und der ganzen Menschheit Jammer: Mir genügt der Herzenskammer Ganz
alltägliche Geschichte.
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