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Als wir noch in der DDR lebten – jenem inzwischen vergangenen Staat, der das Ergebnis eines Krieges und einer sowjetkommunistischen
Besatzung war und in dem es nur eine sehr eingeschränkte Meinungsfreiheit gab –, da kam es hin und wieder vor, daß sich kritische Stimmen von Leuten aus der DDR in westlichen Medien meldeten. Diese Stimmen
hatten keine andere Chance, gehört zu werden. Von ihnen sei ein Sänger genannt, dessen Liedern wir auf westlichen Radiosendern begeistert lauschten. Dieser Sänger ist inzwischen zur radikalen Rechten übergelaufen
und befürwortet sowohl alle möglichen Kriege des vermeintlichen Westens als auch ein rassistisches Regime im Nahen Osten, das sich nur mit Terror und fremden Geldern am Leben halten kann. Dieser Sänger war schon
damals nicht wirklich in Opposition zu den Machthabern; er genoß Protektion von ganz oben und großen kommerziellen Erfolg. Dagegen wanderte eine andere kritische Stimme – der Philosoph Rudolf Bahro, der in
einem im Westen verlegten Buch eine Alternative zur Herrschaft der minderbemittelten Kommunisten vorschlug – auf Jahre in den Knast. Als er dann entlassen wurde und in den Westen ging, blieb er der kritische
und unabhängige Geist, und es dauerte nicht lange, da wurde er als „Rechtsradikaler“ denunziert.
Die Frage kam damals auf und wurde diskutiert, ob es richtig sei, sich über den Westen an das eigene Publikum zu wenden und über westliche Medien
hauseigene Probleme zu diskutieren. Aber für diejenigen, die wirklich an Meinungsfreiheit interessiert waren – das war der wichtigste Punkt der kritischen Opposition in der DDR –, stellte sich diese
Frage gar nicht: Natürlich mußten alle zur Verfügung stehenden Kanäle genutzt werden!
Viele DDR-Dissidenten gingen damals in den Westen – man hielt es einfach nicht mehr aus unter den Dummen, die die Macht hatten. Man wollte noch was von
seinem Leben haben, frei atmen, frei reden und die Farben der Welt genießen.
***
Aber seltsam, heute stehe ich hier und versuche mir Gehör jenseits des Landes zu verschaffen, in dem ich lebe; versuche ich, aus dem Ausland
auf jenes Land einzuwirken, das sich als nur scheinbar demokratisch und frei herausgestellt hat. Ja, die Meinungsfreiheit im Westen hat sich als eine Illusion erwiesen – auch hier sitzen viele Menschen in den
Knästen, weil sie anders denken und reden als es die Herrschenden wollen.
Und natürlich ist es wieder richtig, sich anderswo Gehör zu verschaffen und ein Forum im Ausland zu benutzen, wenn im eigenen Land keine
Meinungsfreiheit besteht. Es kommt mir so vor, als springe die Meinungsfreiheit von Insel zu Insel, als benötige sie immer eine Oase, wo sie sich ausruhen und sein kann. Im Grunde ist sie immer auf der Flucht. Aber
immerhin gibt es sie überhaupt.
Um mir Gehör zu verschaffen, nutze ich eine Konferenz, auf der ein historisches Ereignis diskutiert werden soll bzw. die Frage, ob es dieses historische
Ereignis überhaupt in der Form gegeben hat, wie es diejenigen behaupten, die andere, die diese Behauptung anzweifeln, vor Gerichte und in Gefängnisse bringen.
Nun interessiere ich mich nicht sonderlich für Geschichte; ich bin weder Historiker noch überhaupt Geisteswissenschaftler. Ich bin Künstler,
Publizist und Verleger. Und natürlich bin ich Freiheitsaktivist. Ich möchte, daß Meinungsfreiheit in dem Land und unter den Menschen herrscht, in das und unter die ich geboren wurde und wo ich leben möchte. Ich will
frei atmen und frei reden, und ich möchte, daß andere das auch wollen und tun. Weil nur dann eine Atmosphäre entsteht, in der man die Farben der Welt genießen kann, in der man keine Angst haben muß, das zu sagen,
was man denkt, ohne dafür verfolgt, drangsaliert und eingesperrt zu werden: So stelle ich mir den Westen – meine Heimat – vor. Der Westen ist ein öffentlicher, ein offener Raum, wo die Menschen über
alles reden – etwa in einem Café in Stockholm oder einer französischen Küstenstadt – und danach gutgelaunt nach Hause gehen. Am besten unter einem blauen und freien, jedenfalls weiten Himmel. Der Westen
ist eine Atmosphäre der Gelassenheit und der Kreativität. Der Westen ist die öffentlich frei und von jedermann zu erörternde Sache, die res publica, die Republik.
Ich bin nicht bereit, diesen Westen, diese unglaublich schöne Sache, aufzugeben und Verbrechern auszuliefern.
***
Die von mir beklagte Abwesenheit der Meinungsfreiheit in Deutschland hängt mit dem Thema unserer Konferenz eng zusammen: Gewisse Menschen werden
für die Äußerungen ihrer historischen Ansichten mit Gefängnis bestraft und wie Schwerverbrecher behandelt. Das – nicht das von den Veranstaltern vorgegebene Thema der Konferenz – ruft mich als
Freiheitsaktivist auf den Plan.
Gewiß hat – das fällt auch einem an Geschichtlichem nicht sonderlich Interessierten wie mir auf – auch die Einschränkung der
Meinungsfreiheit in der BRD etwas mit einem Krieg und einer Besatzung zu tun, wie es in der DDR der Fall war. Es sind Sichtweisen über diesen Krieg – seine Entstehung, sein Verlauf und seine Opfer –, die
von Amts wegen vorgeschrieben werden und denen eine abweichende Sichtweise entgegenzustellen bestraft wird. Dieser Krieg ist alles andere als eine res publica.
Was aber immer die Gründe für die kriminelle Kriminalisierung von geäußerten Ansichten sind – diese Gründe sind sekundär. Primär ist allein die Tatsache,
daß ein Germar Rudolf im Knast sitzt, welches Thema er auch immer zur öffentlichen Sache gemacht hat. Generell darf es Kriminalisierung von Ansichten und Anschauungen nicht geben, wie umstritten und emotional
beladen die berührten Themen auch sein mögen.
Es ist normal und absolut legitim, daß Kriegsbeteiligte und deren Erben ihre jeweilige Sicht der Dinge haben. Der Krieg ist so grausam und das Kriegsleid so
enorm, daß kaum noch jemand den anderen verstehen kann und will. Aber es ist nicht legitim und die Menschenwürde verletzend, dem anderen eine Sichtweise aufzuzwingen, wie es der Rechtsanwalt Alain Jakubowicz mit dem
Wissenschaftler Bruno Gollnisch am 7. November 2006 vor einem Gericht in Lyon getan hat. Natürlich hat solch ein Verhalten überhaupt nichts mit dem Westen und seinen sogenannten Werten zu tun; es ist genau das
Gegenteil. Der Westen bedeutet gerade das Sprechen und die Verständigung mit dem anderen, wie groß der Konflikt auch immer mit diesem ist. Im Westen gilt es als eine Verletzung von Würde und Integrität, dem anderen
seine Erfahrung auszureden oder deren Artikulation zu verbieten.
Bei allen ungeheuerlichen Grausamkeiten, die in dem umstrittenen Krieg begangen wurden – ich glaube, daß die Ursache für jene heute, viele Jahrzehnte
nach diesem Krieg stattfindenden Verletzungen von Würde und Integrität nur wenig mit dem damals erlittenen Leid zu tun hat. Mein Eindruck ist, daß die Völker sich längst versöhnt haben. Diesen Eindruck habe ich
nicht nur von Berichten über Veteranentreffen und den inzwischen hergestellten Freundschaften alter Krieger, diesen Eindruck habe ich aus allen Bereichen des Lebens. Die allermeisten Menschen in den verschiedenen
Völkern haben sehr wohl eine schmerzliche Erinnerung an den Krieg, und viele Verletzungen sind von den nächsten Generationen zum Teil übernommen worden. Aber all das führt bei diesen Menschen nur zu einer Einsicht:
nie wieder Krieg! Die meisten Menschen leben in der Gegenwart und wollen dort ein anständiges und friedliches Leben haben. Diese Menschen in allen Völkern wissen sehr wohl um die absolut schreckliche Natur des
Krieges, und sie sind von einer Ruhe und einem Ernst geprägt, die aus den Erfahrungen des Krieges herrühren. Ich denke an all die ehrlichen, rechtschaffenen und friedliebenden Menschen in all unseren Ländern, die
niemals einen Krieg befürworten. Es ist leicht zu verstehen, warum sie den Krieg fürchten und hassen – sie sind immer die ersten Opfer.
Es ist ganz deutlich, daß es zwei ganz verschiedene Arten von Geschichte gibt: einmal die wirklichen Erinnerungen und Prägungen der Menschen, die oft ohne
Worte und ganz aus Bildern und Gefühlen sind; und dann die von den Institutionen des Staates und von den gerade an der Macht Befindlichen propagierte Geschichte: die Höhere Geschichte, die Offizielle Geschichte, die
Geschichte von den Kanzeln herab, die mit vielen und großen Worten daherkommt. Da heißt es hochtrabend immer wieder, man müsse aus der Vergangenheit lernen. Diese Worte sind leer und ohne echten, lebens- und
erfahrungsbezogenen Inhalt. Die Menschen haben längst gelernt. Und wenn nicht, dann weil sie denen da oben immer noch vertrauen anstatt sich selber. Die dekretierte Geschichte hat – was immer sie auch
behauptet – nichts mit dem Lernen aus der Geschichte zu tun. Sie dient der Stabilisierung gegenwärtiger Herrschaftsverhältnisse.
Die von den Staaten andauernd angemahnte Versöhnung hat längst stattgefunden. Es gibt bei den allermeisten Menschen keinen Groll mehr, der sich aus dem letzten
Krieg speisen würde. Selbst wenn es um diejenigen geht, die vermeintlich die Hauptschuld am Krieg oder auch tatsächlich eine sehr große Verantwortung für diesen hatten – die Deutschen –, ist die
staatliche Propaganda unwirksam und dringt nicht zum wirklichen Leben der Völker hinab (mit Ausnahme vielleicht der Deutschen selber). Die Deutschen sind – jenseits aller weltweiten permanenten Berieselung von
oben – bei den wirklichen Menschen weltweit geachtet und oft sogar beliebt. Das ist jedenfalls mein Eindruck. Um so empörender ist es, wenn sich Deutsche neuerdings überall auf der Welt für Kriegseinsätze
mißbrauchen lassen. Diese Deutschen verspielen unser gutes Ansehen und bescheren uns Feinde, wo wir nur den Frieden und freundschaftliche Beziehungen mit den anderen Völkern wollen.
Das werden wir nicht dulden!
Wofür bescheren sie uns Feinde? Für völlig fremde Zwecke! Für die Zwecke reicher Amerikaner, die Afghanistan eingenommen haben und als Basis für weitere
Eroberungen in Asien benutzen wollen, damit sie noch reicher werden können. Für die Zwecke von Leuten, die glaubten, ein ganzes Land enteignen und deren Bewohner vertreiben zu dürfen und die sich nun dem Widerstand
dieser Enteigneten und Vertriebenen erwehren müssen. Dafür patroullieren heute Kriegsschiffe, die die Namen unserer stolzen deutschen Länder und Stämme tragen, an levantinischen Küsten! Und getragen werden diese
Einsätze von einer Propaganda, die stets die „Demokratie“ und die „westlichen Werte“ im Mund führt, wobei gebetsmühlenartig auch immer wieder die „Geschichte“ herhalten muß, aus der wir zu
„lernen“ hätten. Mit einer skandalösen Selbstverständlichkeit wird dem gewaltsamen Export von staatlichen Modellen das Wort geredet. Der Begriff von der Selbstbestimmung der Völker ist aus den
gleichgeschalteten Medien völlig verschwunden.
Die, die sich als der Westen ausgeben, glauben der ganzen Welt Lektionen erteilen zu können – wobei sie gerade mit militärischer Gewalt Völker, die sich
doch selbst regieren sollen, ruinieren. Es ist offensichtlich, daß das Gerede von der Demokratie und der Geschichte, aus der angeblich Lehren zu ziehen seien, total verlogen ist. Wer ist der Kriegstreiber und
erzählt uns andauernd von der Menschlichkeit? Wer unternimmt Expeditionen und spricht von einem Frieden, der angeblich mit militärischen Maßnahmen gestiftet werden muß? Sind es die deutschen Kinder, denen unablässig
erzählt wird, daß sie aus der Geschichte lernen müssen? Über sie ergießt sich eine ständige herzlose, maschinelle Propaganda, die schändlicherweise von den Worten Demokratie und Menschenrechte angeführt wird und als
Zweck nur den Krieg hat.
Es ist offensichtlich, für wessen Interessen diese öde Propaganda tagtäglich über die Menschen geschüttet wird. Die Deutschen haben es immer ehrlich gemeint,
als sie sagten, von deutschem Boden soll nie wieder Krieg ausgehen und kein deutscher Soldat soll je wieder in andere Länder marschieren. Sie waren vom Krieg geheilt, sie hatten genug davon. Sie haben dafür keine
Propaganda oder Geschichtsunterricht gebraucht. Die Schule des Lebens ist sehr wirksam.
Jetzt stellt sich heraus, warum und wofür dieser permanente Geschichtsexzeß in Medien und Schulen die ganzen Jahre über wirklich betrieben wurde:
damit die Deutschen den Gewinnern des Krieges in ihren weiteren Kriegen zur Verfügung stehen. Die Deutschen wunderten sich kurz, wie denn ausgerechnet Israel sich ausdrücklich wünschen könne, daß sich deutsche
Soldaten im Nahen Osten einmischen, doch schnell standen sie mit der Waffe da für Israel.
Nicht nur riskieren diese Soldaten ihr Leben für fremde Interessen – sie unterstützen aktiv eine von vornherein äußerst ungerechte und
bösartige Sache: die gewaltsame Implantierung eines Gebildes, das zum Feind der palästinensischen Vertriebenen und deren Verbündeten werden mußte, apartiert es sich doch auf strikt rassologischer Grundlage
von der überfallenen Bevölkerung und verunmöglicht jede Art von Versöhnung. Dieses Gebilde ermordet die Volksvertreter der überfallenen Bevölkerung anstatt mit ihnen zu verhandeln.
Noch haben wir bei den meisten Menschen in den betroffenen Gebieten einen guten Ruf. Wenn manche Deutsche bereit zu sein scheinen, für fremde Interessen und
für die Unterdrückung der Gerechtigkeit zu sterben – wir jedenfalls lassen uns unseren guten Ruf nicht ramponieren. Und wir lassen uns nicht das friedliche Miteinander der Völker kaputt machen.
Wir fordern den sofortigen Rückzug aller deutscher Soldaten nach hause!
Ist es noch ein Wunder, warum jene Propagandalawine im Namen der in der Vergangenheit gemachten schlimmen Erfahrungen permanent auf die Deutschen herabrollt?
Und warum die freie Artikulation von Sichtweisen der Vergangenheit, die sich jenseits dieser Propagandamaschine bilden, kriminalisiert wird?
Der Zusammenhang von Geschichte von oben – Geschichte als Propaganda – und fehlender Meinungsfreiheit liegt auf der Hand: Die Geschichtsschreibung
dient gegenwärtigen Kriegen. Aber wie wahr das auch sein mag – ich muß darauf bestehen, daß, aus welchem Grunde auch immer Meinungen unterdrückt werden, eine Meinungsunterdrückung ein Verbrechen ist. Heute
landen die einen für ihre Ansichten im Knast – morgen schon die anderen. Insofern hätte ich es für besser gehalten, Titel und Gegenstand unserer Konferenz sei die Meinungsfreiheit und deren Verletzungen
gewesen. Aber ich freue mich, daß die Veranstalter die Konferenz ganz bewußt gleichzeitig mit dem internationalen Menschenrechtstag stattfinden lassen haben.
***
In der letzten Zeit hat sich die Menschenrechtssituation im Westen dramatisch verschlechtert: Menschen, die zu Haßpredigern erklärt werden, fallen
inzwischen unter die Antiterror-Gesetze. Wir wissen, wer mit „Haßpredigern“ gemeint ist: revisionistische Historiker. Diesen werden nun keine Prozesse mehr gemacht – sie werden demnächst ganz ohne
Gerichtsverfahren für unbestimmte Zeit in Kerkern verschwinden.
Um diese katastrophale Entwicklung zu stoppen und rückgängig zu machen, bedarf es kämpferischen Mutes und einer radikalen Rückbesinnung auf unsere
westlichen Werte.
Eine westliche, nicht-totalitäre Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, daß es in ihr nicht nur keine vorgeschriebene, sondern im Grunde auch keine objektive
Wahrheit gibt. In einer freiheitlichen Ordnung gestehen sich alle ihre eigene Wahrheit zu und respektieren diese gegenseitig. Es mag in einer freiheitlichen Ordnung Menschen geben, für die es eine objektive Wahrheit
gibt und die diese sogar beschreiben und verkünden. Aber sie haben keine Möglichkeit, diese anderen aufzuzwingen. Erst recht ist es in einer offenen und freiheitlichen Gesellschaft ein Ding der Unmöglichkeit, andere
gar einzusperren, weil sie ihre Wahrheit vertreten haben.
Die Frage ist nicht, ob jemand etwas Falsches oder Richtiges sagt und ob es etwas gibt oder nicht gibt (und mag es ein historisches Ereignis sein) – das
kann in einer freiheitlichen Gesellschaft nur jeder selbst entscheiden. Die Frage ist einzig und allein, ob jemand ins Gefängnis muß für seine Wahrheit, wie „falsch“ oder „richtig“ diese auch immer ist.
Wahrheit kann meines Erachtens nur etwas Subjektives sein. Totalisiert ein Subjekt seine Wahrheit – d.h. stellt er sie als allgemeingültig dar und bedient er sich bei dieser Darstellung zwingender Mittel wie
es der Unterricht in Schulen ist –, so will er andere beherrschen und ausbeuten.
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In den deutschen nicht-oppositionellen Medien regen sich hin wieder leise Bedenken dagegen, daß Menschen, die etwas leugnen, für dieses Leugnen
bestraft werden. Aber erstens merken diese Leute offenbar gar nicht, daß sie sich anmaßen, in die Köpfe anderer schauen zu können. Und zweitens gehen sie von einer objektiven Wahrheit aus. Doch schon mit der Rede
von einer objektiven Wahrheit hält der Totalitarismus Einzug, nicht erst mit dem Zwang zu deren Anerkennung.
Der Schriftsteller Bernd Wagner schreibt am 4. November 2006 in der Berliner Zeitung: „Als in der Bundesrepublik das Leugnen des Genozids
an den europäischen Juden unter Strafe gestellt wurde, erhoben sich keine kritischen Stimmen. Dabei ist das Problem solcher Maßnahmen klar: die Unbelehrbaren werden durch Gesetze nicht bekehrt, vielmehr können sie
sich als Märtyrer ihrer angeblichen Wahrheit fühlen, Argumenten weniger zugänglich sein denn je. Ein solches Gesetz schützt die Wahrheit nicht, sondern bringt sie in Gefahr, indem sie sie zu einer von Tabus
umstellten Zone macht, innerhalb derer nachzudenken zum Risiko wird.“
Bernd Wagner sei verziehen, wenn er die zahlreichen kritischen Stimmen gegen den Paragraphen 130 Strafgesetzbuch überhört hat; vielleicht lag es
an der brutalen Unterdrückung, daß sie nur sehr leise zu vernehmen waren... Doch von Interesse ist viel mehr, worin Bernd Wagner „das Problem“ sieht: nämlich darin, daß die Bekehrung von Unbelehrbaren nicht
richtig funktionieren könnte. Er hält Gesetze für ein schlechtes Mittel der Bekehrung. Was aber hat eine Bekehrung in einer offenen und pluralistischen Gesellschaft zu suchen? Wagner spricht von einer „angeblichen
Wahrheit“. Ich, der ich mich für einen Westler halte, würde niemals von Bernd Wagners Wahrheit als einer „angeblichen“ sprechen. Wie käme ich dazu? Ich überlasse es ganz einfach Bernd Wagner selbst, was
er für wahr oder falsch erachtet. Und wenn er zu seiner Wahrheit steht (was heutzutage aller Achtung wert ist), dann unterstelle ich ihm nicht, sich als „Märtyrer“ fühlen zu wollen. Nach Wagner sei „die
Wahrheit“ (welche wohl? die wahre Wahrheit, die objektive?) zu „schützen“. Nur das Gesetz hält er für den Schutz ungeeignet. In einer wahrhaft westlichen Gesellschaft aber wird keine
Wahrheit geschützt: Die Wahrheiten leben nebeneinander her. Oder sie stellen sich dar, diskutieren oder konkurrieren gleichberechtigt miteinander. Je freier diese Diskussion und Konkurrenz ist, desto besser einigt
man sich eventuell darauf – weil man etwa an einem gemeinsamen Projekt arbeitet –, etwas als falsch oder wahr zu betrachten. Geschützt wird keine Wahrheit, sondern geschützt werden die Träger von
Wahrheiten, und zwar davor, daß sie zu einer anderen Wahrheit gezwungen, d.h. bekehrt werden.
Das freie Nebeneinander und Miteinander von Wahrheiten setzt natürlich eine gewisse Fähigkeit zur Selbstkritik, es setzt Offenheit und Gelassenheit voraus. Und
diese Gelassenheit ist es, die die Menschen in der Offenen Gesellschaft auszeichnet. Die Trennung von Staat und Kirche ist von denen durchgesetzt worden, die niemanden bekehren wollten. Sie ist von Agnostikern
durchgesetzt worden, die so gelassen waren, niemandem einen Gott aus- oder einreden zu wollen, sondern alles Transzendente einem jeden selbst überließen, wenn es das Transzendente für denjenigen gab und er es für
wichtig erachtete. Wenn es diese Agnostiker nicht gegeben hätte, wäre die Kirche heute noch mit dem Staat verbunden – es wäre nur eine Kirche mit einem anderen Gott.
Und jenseits aller Weltanschauungen, Gedankengängen und Überlegungen ist die Aufklärung eine Sache des Gemüts. Dieses Gemüt ist gelassen, es ist positiv und
weltvertrauend, es ist Liebe.
Wie weit wir uns in den westlichen Ländern vom Gemüt der Aufklärung schon entfernt haben, zeigt, daß die Zeitschrift Sleipnir 1997
in einem Bericht des Berliner Verfassungsschutzes erscheint, und zwar mit der Begründung: „Die Bedeutung des Sleipnir liegt in der durch die Zeitschrift ermöglichten öffentlichen Diskussion.“ (1)
Am 28.04.2000 erläßt das AG Berlin-Tiergarten gegen den Sleipnir-Herausgeber wegen „versachlichender ... Wortwahl“ einen Strafbefehl.
Wegen dieser angeblichen Delikte haben bei uns ein Dutzend Hausdurchsuchungen und die Beschlagnahme von einem Dutzend Computern stattgefunden, die wir nach
über zehn Jahren noch nicht zurückerhalten haben. Es ist heute tatsächlich in einem westlichen Land so weit, daß Offenheit, Sachlichkeit und die Förderung der Diskussion als kriminell eingestuft werden!
Daß den anklagenden Staatsanwälten und den das Verfahren eröffnenden Richtern daran nichts auffällt, ist ungeheuerlich und weist direkt ins Religiöse: Im
Zusammenhang mit dem Judentum ist es tatsächlich verpönt, sachlich und offen zu sein; hier hat gefälligst eine dunkle, undeutliche, von Tabus und Ehrfurcht geschwängerte Atmosphäre zu herrschen. Das Judentum ist ein
Heiligtum, das von Lichtstrahlen nicht berührt werden darf.
Am 9. November 2006 fand in München die Einweihung einer neuen Synagoge statt. Bei dieser Einweihung sprach der Präsident der Bundesrepublik Deutschland. Mir
fiel auf, daß sich dessen Rede nicht nur mit Begriffen und der besonderen Sensibilität dieser Begriffe im Umgang mit dem Judentum beschäftigte, sondern daß die Rede des Bundespräsidenten in riesigen Buchstaben auf
den Papierbögen gestanden haben muß: Fast nach jedem zweiten Satz legte er einen Bogen beiseite. Der Bundespräsident hatte Angst, daß er sich versprechen oder einen falschen Begriff verwenden könnte.
Wenn ich gerade sagte, daß sich der westliche, im Geiste der Aufklärung lebende Mensch durch ein bestimmtes Gemüt auszeichnet – das letztlich
Liebesfähigkeit ist –, dann glaube ich nicht, daß die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen – Polizisten, Staatsanwälte und Richter – besonders haßerfüllt und grundsätzlich verkrampft
sind. Mein Eindruck ist der, daß sie Angst haben. Ich halte sie eher für kühl und überlegt. Sie folgen eben ihren Interessen. Aber überlegen sich diese Leute gut, ob es wirklich ihren Interessen dient, andere
aufgrund von Meinungsäußerungen der Freiheit zu berauben? Kann das dem Frieden dienen? Und ist der Frieden nicht unser aller höchstes Interesse?
Die Juden sind erst spät und unter dem Einfluß ihrer europäischen Wirtsvölker mit dem Geist der Aufklärung in Berührung gekommen, und viele sind heute noch
nicht aus ihrem geistigen Ghetto gekommen. Und so kommt es auch, daß sie blind dafür sind, daß Heiligtümer regelmäßig gestürzt werden. Dekretierte Wahrheiten und Heiligtümer fordern, weil sie mit Unterdrückungen
verbunden sind, dazu heraus, hinterfragt und gestürzt zu werden. Jeder Unterdrückte sieht zu, wie er bei der ersten passenden Gelegenheit seinen Unterdrücker los wird. Dabei kommt es oft zu sehr unschönen Szenen,
gar zu Kriegen.
Laßt uns diese sehr unschönen Szenen verhindern, indem wir jedem seine Wahrheit gönnen und keinem eine Wahrheit vorschreiben. „Sachliche Wortwahl“ und
„Ermöglichung einer offenen Diskussion“ müssen selbstverständlich nicht nur von der Verpönung befreit, sie müssen wieder zu unseren Erkennungszeichen werden, ganz gleich, in welchem Zusammenhang – mit
Juden, Eskimos oder – wie mein Freund Serge Thion sagen würde – Träger apfelgrüner Krawatten.
Es geht nicht um geschichtliche Ereignisse oder darum, ob sie stattgefunden haben oder nicht. Es geht darum, daß jeder was auch immer zu einer res publica machen kann, sofern er jemanden findet, der sich für diese Sache interessiert. Diese Sache darf keine Sache für Staatsanwälte und Richter sein. Ich bitte die in Deutschland angeklagten Revisionisten, sich nicht länger auf Streitereien mit Richtern über historische Sachen einzulassen, weil wir uns dann an den Gedanken gewöhnen, historische Sachen gehörten vor ein Strafgericht. Dieser Gedanke schadet sehr unserer Freiheit. Mögen die Revisionisten und deren Rechtsanwälte bei ihrer Verteidigung die Grundrechte heranziehen und sich für die Geltung der Grundrechte engagieren und dann in deren Schutze frei über ihre historischen Sachen diskutieren. Mögen sich Richter und Staatsanwälte davon überzeugen lassen und ihre Ängstlichkeit überwinden.
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Neil Young
Living With War
'm living with war everyday I'm living with war in my heart everyday I'm living with war right now
And when the dawn
breaks I see my fellow man And on the flat-screen we kill and we're killed again And when the night falls, I pray for peace Try to remember peace
I join the multitudes I raise my hand in
peace I never bow to the laws of the thought police I take a holy vow To never kill again To never kill again
I'm living with war in my heart I'm living with war in my heart in my
mind I'm living with war right now
Don't take no tidal wave Don't take no mass grave Don't take no smokin' gun To show how the west was won But when the curtain falls, I
pray for peace Try to remember peace
In the crowded streets In the big hotels In the mosques and the doors of the old museum I take a holy vow To never kill again Try to remember
peace
The rocket's red glare Bombs bursting in air Give proof through the night, That our flag is still there (2)
(1) Durchblicke, 4. Jahrgang (1997), Nr. 7, herausgegeben vom Landesamt für Verfassungsschutz Berlin, S. 101 (2) Neil Young,
Living With War, 2006, zu hören auf: http://livingwithwar.blogspot.com
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