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AUTO: -CHTHON & -NOM – zurück zum Leitartikel AUTO 22 – Nr. 22, Februar 2006
34, 19, 32, 26 – Kampf der Deklarationen
In Frankreich tobt seit Dezember 2005 eine Debatte, in der es um die sog. Erinnerungsgesetze („lois mémorielles“) bzw. Historikergesetze
(„lois historiennes“) geht, von denen es in Frankreich eine ganze Menge gibt: Alle möglichen communautés (communities, wie es in Deutschland heißt), reklamieren für sich, eine
bestimmte Vergangenheit zu haben, aus der sie ihre „Identität“ ableiten und die ihnen keiner streitig machen darf. Die communautaristes reklamieren meist einen Opferstatus, der die Voraussetzung von Privilegien ist und haben dafür gesorgt, daß die Geschichte ihrer communauté nur
auf eine bestimmte, ihnen gefällige Weise dargestellt werden darf.
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Opferkult I
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Was ist französischer Revisionismus und warum eignet die nationale Anarchie sich ihn an? => französischer Revisionismus =>
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Das betrifft insbesondere die communauté der Armenier, für die 2001 ein eigenes Gesetz verabschiedet wurde, mit dem Massaker an ihren Vorfahren als
Völkermord staatlich anerkannt und als geschichtliche Tatsache geschützt werden. Das betrifft des weiteren die Versklavung der Schwarzen (ein Gesetz ebenfalls aus dem Jahr 2001 schreibt diese als ein Verbrechen
gegen die Menschlichkeit fest). Und es betrifft die community der Weißen, genauer gesagt die community der weißen Kolonisatoren, die sich 2005 eigens ein Gesetz besorgt haben, in dem die „positiven Aspekte“ des Kolonialismus festgeschrieben werden.
Die entsprechenden Erzählungen sind nun gesetzlich geschützt, und niemand darf bei Strafe zu sehr von ihnen abweichen. Abweichungen zu be- bzw. verurteilen,
obliegt Justizbeamten. (In Italien bestreitet derzeit jemand die „historische Existenz von Jesus Christus“ und ist deshalb vom Dorfpfarrer angezeigt worden. Ein Richter muß nun darüber entscheiden, ob Jesus
gelebt hat oder nicht.1)
Das führt natürlich zu Konflikten mit den Historikern, die – zumeist im Geiste der Aufklärung, d.h. frei arbeitend – bei ihren Veröffentlichungen
wenig Rücksicht auf die von den communities vorgeschriebenen Bilder nehmen möchten. Und so kam es in den vergangenen Monaten zu heftigen Debatten in der französischen Öffentlichkeit einerseits zwischen Historikern und community-Vertretern.
Und andererseits zwischen eher freien Historikern und solchen, die sich bei ihrer Arbeit in stärkerem Maße einer community verpflichtet fühlen. Gestritten wird darum, ob und wie weit die Geschichtsschreibung ein Gegenstand der Justiz sein kann. Besonders gern werden in diesem Streit Erklärungen abgegeben, die von mehr oder weniger vielen und mehr oder weniger prominenten Leuten unterschrieben und dann in Zeitungen veröffentlicht werden. Die meisten Unterzeichner haben mehr oder weniger mit der Geschichtsschreibung zu tun und beziehen einen eher orthodoxen und gesetzestreuen oder einen eher abweichenden Standpunkt, der letztlich die Änderung oder Abschaffung der Gesetze zum Ziel hat.
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Ihren Anfang nahm die heutige Debatte jedoch bereits im Jahre 1979, als 34 Historiker eine „Erklärung über die hitler’sche
Vernichtungspolitik“ unterzeichneten und in Le Monde veröffentlichten.2 Damals ging es noch um kein „Historikergesetz“, aber sehr wohl um eine weitere community,
nämlich die jüdische, deren Identität in Gefahr geraten war. Jene 34 Historiker glaubten mit ihrer Erklärung sehr heftig bis dato vorherrschende Erzählungen gegen andere, streng rational („hyperkritisch“)
arbeitende Historiker verteidigen zu müssen.
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Opferkult II
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Zwar stand also damals kein Gesetz zur Debatte, das die „Erinnerung“ vorschreibt, aber man kann sagen, daß die 1979 abgegebene Erklärung der 34
Historiker mit einem weiteren Historiker- bzw. Erinnerungsgesetz in Zusammenhang steht, ja daß jene Erklärung der Ursprung eines Gesetzes war, das im Jahre 1990 verabschiedet wurde und überhaupt das erste
Erinnerungsgesetz und die Vorlage für alle weiteren Erinnerungsgesetze war.
In jener Erklärung der 34 hieß es u.a.: „Jeder ist durchaus frei, sich vorzustellen oder davon zu träumen, daß diese schrecklichen Dinge nicht stattgefunden
haben. Unglücklicherweise haben sie stattgefunden, und niemand kann diese Tatsache leugnen, ohne die Wahrheit zu beleidigen. Es geht nicht um die Frage, wie ein solcher Massenmord technisch möglich war. Er war
technisch möglich, denn er hat stattgefunden. Von diesem Punkt müssen alle Forschungen zu diesem Gegenstand ausgehen.“2b
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Pierre Vidal-Naquet
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Der letzte Satz lohnt sich, im Original widergegeben zu werden: „Tel est le point de départ obligé de toute enquête historique sur ce sujet.“ Mit
anderen Worten lautet er auf deutsch: „Das ist der obligatorische Ausgangspunkt, von dem aus jede historische Untersuchung vorzugehen hat.“
Unschwer ist die für westlich-aufgeklärte Verhältnisse etwas ungewöhnliche Position der unterzeichnenden Historiker zu erkennen. Es kann kaum von Rationalität
gesprochen werden, wenn das Resultat einer Untersuchung bereits vor derselben feststeht. Ergebnisoffenheit zählt zu den essentials der Wissenschaft.
Initiiert und redigiert wurde dieser Offenbarungseid – „der Tod der historischen Forschung“ (Serge Thion) – von Léon Poliakov und Pierre
Vidal-Naquet und war gegen Robert Faurisson gerichtet, dessen sozialer, bürgerlicher und fast physisch-existentieller Ruin damit besiegelt war.
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Robert Faurisson, Opfer des Ausgangspunktes
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Unter den 34 Unterzeichnern dieser Erklärung befanden sich – neben François Furet – u.a. Jacques Julliard, Jean-Pierre Vernant, Paul Veyne und
Pierre Vidal-Naquet.
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Kommen wir nun zur gegenwärtig in Frankreich tobenden Debatte zurück: Die vier eben genannten Historiker, die im Jahre 1979 unmißverständlich die
Unfreiheit gefordert hatten, zählen heute, 26 Jahre später, zu den Unterzeichnern einer Erklärung von diesmal 19 Historikern, die den Titel „Freiheit für die Geschichte“3 trägt und am 13. Dezember 2005 von Libération veröffentlicht wurde. In diese Erklärung heißt es u.a.:
„Die Geschichte ist keine Religion. Der Historiker akzeptiert kein Dogma, respektiert kein Verbot, kennt keine Tabus. / Die Geschichte ist nicht die Moral. Es
ist nicht die Rolle des Historikers, zu preisen oder zu verdammen; er erklärt. / Die Geschichte ist nicht die Sklavin der Aktualität. Der Historiker drückt der Vergangenheit nicht die ideologischen Schemata der
Gegenwart auf und bringt in die Ereignisse von einst nicht die Sensibilität von heute. / Die Geschichte ist nicht mit Gedächtnis gleichzusetzen. Der Historiker sammelt Erinnerungen der Menschen, vergleicht sie
untereinander, stellt sie Dokumenten, Gegenständen und Spuren gegenüber und ermittelt so die Tatsachen. / Die Geschichte ist kein Rechtsgegenstand. In einem freien Staat ist es weder Sache des Parlaments noch der
Justiz, die geschichtliche Wahrheit zu definieren. / Wir fordern die Annullierung der Gesetze, die einer Demokratie unwürdig sind.“
Eines der Gesetze, dessen Abschaffung die 19 Historiker jetzt verlangen, ist genau jenes Gesetz aus dem Jahre 1990 (genannt Fabius-Gayssot-Gesetz4), das französischen Historikern verbietet, die insbesondere in der jüdischen community verbreiteten und von dieser streng gehüteten Erzählungen in Zweifel zu ziehen. Es ist genau jenes Gesetz, zu dessen Verabschiedung im Jahre 1979 die genannten vier Historiker beigetragen haben und das zum Prototypen aller weiteren Erinnerungsgesetze geworden ist.
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Jean-Claude Gayssot
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Einer der 19 namhaften Unterzeichner, René Rémond, bestätigt dies: „Wir haben das Fabius-Gayssot-Gesetz in unseren Text aufgenommen, weil es die Spirale der
Erinnerungen ausgelöst hat.“5
Pierre Nora, ein weiterer Unterzeichner (Mitglied der Académie française), sagt im Figaro littéraire: „Das Gayssot-Gesetz war ein Zeichen
zugunsten von legitim betroffenen Communities. Aber mir schien, daß wir es hier mit einem quasi-totalitären Geist zu tun hatten, der uns in ein fatale Strudel ziehen würde.“ Und weiter: „Wir müssen die Wächter
dieser oder jener Erinnerung daran hindern, die historische Forschung als Geisel zu nehmen. Diese Wächter verlangen, daß die Geschichte ihnen dienlich ist, weil sie die gegenwärtigen Angelegenheiten auf die
Ereignisse der Vergangenheit projizieren.“6
Unterzeichner Gérard Noiriel hatte bereits am 2. April 2005 in L’Humanité gesagt:
„Als Historiker ist es unsere hauptsächliche Aufgabe, immer die Wahrheit im Auge zu behalten – ob das nun gefällt oder nicht. Daß die Staatsmacht sich in die wissenschaftliche Arbeit einmischt, ist eine
Infragestellung der Demokratie selbst. Der Staat darf den Forschern nicht diktieren, zu welchen Ergebnissen sie zu kommen haben.“7
Jean-Claude Gayssot, der das berüchtigte Gayssot-Gesetz 1990 eingebracht hatte, sind diese Worte unverständlich. Der Kommunist erwidert am 17.12.2005 in L’Humanité:
„Das Ziel dieses Gesetzes ist nicht, eine offizielle, staatlich anerkannte Wahrheit festzuschreiben oder irgendeinen Historiker an der Arbeit zu hindern – das ist seit fünfzehn Jahren kein einziges mal
geschehen –, sondern schriftliche und mündliche Äußerungen des Rassismus und des Antisemitismus zu verurteilen. [Der Politiker des Front National] Gollnisch muß bestraft werden, wenn er sagt, daß die
Historiker es diskutieren müssen, ob es Gaskammern gab oder nicht.“
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Gayssot: „
Scheiß Revisionisten!“
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Unterzeichner Marc Ferro gab zu bedenken, daß das Fabius-Gayssot-Gesetz gerade die Forschung verhindere, die zu einem Verständnis des Völkermordes führen
könne, doch auf den Internetseiten der Union der jüdischen Arbeitgeber wurde ihm von Anne Lifshitz-Krams entgegnet, daß dem ganz und gar nicht so sei und daß dieses Gesetz ja lediglich den bestraft, der in
öffentlicher Rede die Realität des Völkermordes leugne.8
Jean-Pierre Azéma, Initiator der Erklärung der 19, Professor für politische Wissenschaften, Spezialgebiet Zweiter Weltkrieg, findet drastische Worte: Es müsse
gegen die Erinnerungsgesetze vorgegangen werden, weil seine Studenten kurz davor sind, zu explodieren, wenn keine kritische Analyse mehr möglich ist. Die Historiker hätten die Schnauze voll von der Moralisierung und
Juridisierung der Geschichte.9
Die Erklärung der 19 Historiker haben inzwischen weitere 600 in- und ausländischen Pädagogen und Wissenschaftler unterzeichnet und fand international großes
Echo. Die Berliner Zeitung war am 16. Dezember 2005 des Lobes voll: „Hehre Worte! (...) Und es stimmt ja, daß jeder Historiker die Bereitschaft mitbringen muß, Revisionist zu sein. Wissenschaft kommt ohne Revision nicht aus.“10
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Wie aber kam es zu dem Sinneswandel der Herren Julliard, Vernant, Veyne und Vidal-Naquet, die sowohl zu den 34 als auch zu den 19 Unterzeichnern
gehören? Was nur hat sie plötzlich für die Freiheit, Unabhängigkeit und Ergebnisoffenheit der historischen Forschung Partei ergreifen lassen?
Wir ahnen es: Sie wollen den Hexenbesen wieder loswerden, den sie selbst gerufen haben.
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Am 23. Februar 2005 wurde in Frankreich jenes, bereits weiter oben erwähnte Gesetz verabschiedet, das dem französischen Kolonialismus
bescheidet, in der Vergangenheit eine „positive Rolle“ gespielt zu haben. Diese von Konservativen betriebene Etablierung einer offiziellen und staatlich verordneten und geschützten Version der
Geschichte, auf die insbesondere auch im Dienste des Staates stehende Lehrer verpflichtet werden, ging besagten 19, eher politisch „linken“ Historikern zu weit.
Was sie aus der Reserve geholt hat, war nicht etwa das allgemeine Prinzip der Forschungs- und Publikationsfreiheit, sondern daß bestimmte historische Ereignisse in einer bestimmten Wertung staatlich festgelegt werden.
Die 19 Historiker mußten nun wohl oder übel die Abschaffung aller Gesetze, mit denen die Debatte um geschichtliche Ereignisse reguliert
werden sollen, fordern. Sie haben erkennen müssen, daß sie zu Opfern von Politikern werden können, die ihnen mit Gewalt die Ergebnisse ihrer Forschungen vorschreiben können. Eine wahrlich unhaltbare und
beschämende Situation.
Wenn Sie genau hinhören, lieber Leser, können Sie das Zähneknirschen der Herren Julliard, Vernant, Veyne und Vidal-Naquet bis hierher hören.
So sind sie, unsere Wissenschaftler!
Noch am selben Tag, an dem Vidal-Naquet & Co. ihre Erklärung in Libération veröffentlichten, äußerte sich Robert Faurisson, der gewissermaßen 1979 ungewollt zum Auslöser der Erinnerungsgesetzgebung geworden war, im Internet: Er und alle Revisionisten würden „Befriedigung darüber empfinden, daß neunzehn französische Historiker, die in ihrer großen Mehrheit links stehen und in einigen Fällen jüdischer Herkunft sind, sich endlich genötigt sehen, die Abschaffung des Fabius-Gayssot-Gesetzes zu fordern“.
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französischen Kolonialismus und Revisionismus => Was wissen die Franzosen über die Massaker von Sétif? =>
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Aber immerhin: Es ist schon mal ein – wenn auch unbeabsichtigter und erzwungener – Fortschritt! Fragt sich bloß, wie weit das
Engagement unserer Historiker, die gerade die Freiheit entdeckt haben, geht. Was ist ihre Erklärung wert, wenn ihr nicht die Forderung folgt, sofort die Kollegen Germar Rudolf und David Irving, aber auch
all der anderen an Geschichtsschreibung Interessierten, die zu falschen Forschungsergebnissen gekommen sind und deswegen sitzen, aus der Haft freizulassen? Bis heute ist eine solche Forderung aus ihrem
Mund nicht vernommen worden. (Und das, obwohl sich inzwischen sogar Staatspräsident Jacques Chirac am 9. Dezember 2005 dahingehend geäußert hat, daß es „nicht Aufgabe des Staates, sondern vielmehr die
der Historiker [ist], die Geschichte zu schreiben“.)
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So wurde Noam Chomsky in Frankreich verunglimpft, als er sich für Robert Faurissons Meinungsfreiheit einsetzte => Noam Chomsky: His right to say it =>
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Hochsicherheitsgefängnis Stuttgart-Stammheim, derzeitige Forschungsstätte von Germar Rudolf
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Wahrscheinlich haben sie alles doch nicht so ernst gemeint, und prompt sagt der 19er Jean-Pierre Azéma in vorauseilender Resignation: „Wir wissen, daß die
Gesetze nicht abgeschafft werden.“ Immerhin kündigt er die Gründung eines Vereins „Freiheit für die Geschichte“ an, der darüber wachen solle, daß die Geschichte nicht instrumentalisiert wird und der
verfolgten Historikern vor Gericht helfen soll.11
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Dadurch gerät der französische Staat in Bedrängnis. Innenminister Nicolas „Kärcher“ Sarkozy beauftragt den Anwalt Arno Klarsfeld (Sohn der Nazijäger
Beate und Serge Klarsfeld), über „Gesetze, Geschichte und die Pflicht der Erinnerung nachzudenken“, darüber Bericht zu geben und dem Präsidenten der Nationalversammlung Jean-Louis Debré in dieser Sache zu assistieren. Klarsfeld sei, so Sarkozy, als „Anwalt der Erinnerung und
der Wahrheit“ der geeignete Mann für diese Aufgabe. In seinem Auftragsschreiben bittet Sarkozy Klarsfeld, sich auch über das Fabius-Gayssot-Gesetz zu äußern, dessen Abschaffung von den 19 Historikern verlangt
wird.12
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Le Maître
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Der beauftragte Anwalt kommt bei seinen Überlegungen zum Ergebnis, daß „die Legislative moralische Schranken aufstellen muß“13. Damit widerspricht er Präsident Chirac und Premierminister de Villepin, die sich
beide dagegen ausgesprochen haben, daß die Geschichte vom Parlament geschrieben wird.
Arno Klarsfeld sagt gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: „Ich bin von der Erklärung der 19 Historiker etwas schockiert, die den Willen der
Unterzeichner erkennen läßt, die Geschichte beschlagnahmen zu wollen.“ Auch er ist der Meinung, daß das Fabius-Gayssot-Gesetz mitnichten die Historiker an der Arbeit hindert.14 Aber er stellt die Annullierung des Gesetzes für den Tag in Aussicht, wo das letzte Kind von Deportierten verschwunden sein wird.15
Die „Kompetenz und Legitimierung“ Arno Klarsfelds wird von der MRAP (Bewegung gegen den Rassismus und für die Freundschaft zwischen den
Völkern) bestritten. MRAP-Sprecher Aounit bezeichnet Klarsfeld in Anspielung auf dessen Militärdienst in der israelischen
Armee als „kolonialistischen Aktivisten“ und fragt: „Kann man einem Verteidiger des israelischen Kolonialismus, der, nachdem er die israelische Staatsbürgerschaft angenommen hat, freiwillig an der
Mauer gedient und sich bewußt an der Entwürdigung und Unterdrückung des palästinensischen Volkes beteiligt hat, vertrauen?“
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Le freiwillige
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israelische Kolonialismus =>
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israelische Kolonialismus =>
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Außerdem sei Klarsfeld „ein vehementer Verteidiger des Kolonialkrieges gegen den Irak“, und so könne die MRAP angesichts dieser
Provokation nur zum Boykott der Anhörung Herrn Klarsfelds aufrufen.16
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Nicht nur muß der französische Staat zusehen, wie er mit der Historiker-Revolte umgeht – auch die mediale Gegenaufklärung blieb angesichts des
aufklärerischen Vorstoßes nicht untätig: Acht Tage nach der Erklärung der 19 für die Freiheit der Geschichte traten 32 Gegner dieses Appells mit einem Gegenmanifest in Libération auf den Plan, das u.a. von Serge Klarsfeld, Claude Lanzmann, Joël Kotek, Marc Knobel, Didier Daeninckx und Alain Jakubowicz
unterzeichnet wurde.
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Serge Klarsfeld
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In ihrem Gegenmanifest stellen die 32 die Frage, ob „die Historiker die einzigen Staatsbürger sein können, die über dem Gesetz stehen“. Wer
nun aber glaubt, Klarsfeld, Lanzmann & Co. setzten sich dafür ein, daß auch die restlichen Staatsbürger unbehelligt blieben, wenn sie sich frei informieren und quasi am Fabius-Gayssot-Gesetz vorbei frei ihre Meinung äußern möchten, der irrt sich: Selbstverständlich dürfe das Fabius-Gayssot-Gesetz nicht annulliert werden! Das Gegenmanifest der 32 trägt den Titel „Laßt uns nicht alles durcheinander bringen“, was meint, daß über manche Gesetze vielleicht verhandelt werden könne, nicht aber über das Fabius-Gayssot-Gesetz. In blankem Zynismus fragen die 32 weiter, welcher Historiker vom Fabius-Gayssot-Gesetz schon daran gehindert worden wäre, über die Shoah zu forschen und zu publizieren.17
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Wie es sich unterm Fabius- Gayssot-Gesetz lebt => Eine Gerichtsverhandlung in Frankreich =>
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Claude „Chôwá“ Lanzmann
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Einer der 32, Alain Jakubowicz, Anwalt der LICRA (Liga gegen Rassismus und Antisemitismus), ist oder stellt sich dumm: Er antwortet auf die Frage
von Libération, ob die Historiker nicht recht hätten, wenn sie die Etablierung einer offiziellen Geschichtsschreibung befürchten: „Die Geschichte muß offen sein, vor allem über die Shoah, aber das
erlaubt mir nicht, daß ich an der Existenz der Gaskammern zweifeln darf, denn dann wäre ich in der Ideologie, nicht in der Diskussion unter Historikern. Man muß die Forscher sich ausdrücken lassen, aber
nicht die fanatischen Faschisten und Antisemiten.“
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Auf dieses Gegenmanifest hin erscheint am 24.12.2005 in der Zeitung Marianne eine weitere Petition mit dem Titel „Die Freiheit der Diskussion“, unterzeichnet von 26 Persönlichkeiten, darunter Paul Thibaud und Pierre Vidal-Naquet. In ihr heißt es, daß „die Freiheit, die Zivilgesellschaft und die Wahrheit die Verlierer sind, wenn versucht wird, die Gedanken zu regieren und die Demokratie zu pasteurisieren“. Die Aufgabe der Politiker sei es, „die Zukunft der Nation zu sichern und nicht ihre Geschichte zu dogmatisieren“. Irrige und abartige Meinungen müßten widerlegt und nicht verboten werden, und wenn man kein Vertrauen in die Freiheit habe, verlöre das Wort Republik jeden Sinn. Deswegen werde die Annullierung aller Gesetze gefordert, die die Meinungsfreiheit einschränken oder sich mit historischen Geschehnissen befassen. „Was wir brauchen“, endet diese Erklärung, sei „die Arbeit an der Wahrheit und am Verständnis unserer Geschichte. Das setzt voraus, daß die Diskussionsfreiheit wieder vollständig hergestellt wird.“18
Paul Thibaud schreibt einige Tage später in der Zeitung Ouest France: „Sicher hat die Schoa etwas Heiliges für uns. Aber das ist kein Grund
dafür, mit Gesetzen die Vorstellung von ihr zu regeln. Mit Gesetzen gegen Entheiligung ist noch nie die Achtung für das erzielt worden, was beschützt werden sollte.“19
Wieder einmal wird offen der religiöse Charakter der „Schoa“ eingeräumt. Thibaud gehört zwar zu den 26, aber vielleicht ringt er sich
noch zu einem Punkt in der Erklärung der 19 durch: „Die Geschichte ist keine Religion. Der Historiker akzeptiert kein Dogma, respektiert kein Verbot, kennt keine Tabus.“
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Amen
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Quelle: AAARGH REPRINTS, 31.12.2005 http://www.aaargh.com.mx/fran/livres6/34-19.pdf http://vho.org/aaargh http://aaargh.com.mx http://litek.ws/aaargh http://litek.ws/aaargh/fran/livres/34-19.pdf
Anmerkungen: 1 Der Tagesspiegel, 26.1.06 2 Le Monde, 21.2.79 2b Zitiert nach Serge Thion, Historische Wahrheit oder
Politische Wahrheit? Die Macht der Medien: der Fall Faurisson, Berlin 1994, S. 11 3 Liberté pour l’histoire, Libération, 13.12. 2005 4 Das Gayssot-Gesetz ist ein Zusatzgesetz zum Antirassismus-Strafgesetz von 1972 und ähnelt auch darin unserem § 130 StGB („Volksverhetzung“), der ebenfalls im Jahre 1994 ergänzt bzw. verschärft worden ist. 5
20 minutes, 21.12.05 6 Le Figaro littéraire, 22.12.2005
7 Menschenrechtsliga Toulon, 2.4.05
8 L'Union des Patrons et Professionnels Juifs de France, 16.12.05 9 Libération, 21.12.05 10 Christian Esch, Wer bestimmt, was historische Wahrheit ist? Berliner Zeitung, 16.12.05 11 Libération, 21.12.05 12 AFP, 26.12.05 13 Interview mit Arno Klarsfeld in Le Monde, 24.12.2005, Reuters 24.12.2005, http://www.boursier.com/vals/all/feed.asp?id=8190 14 ebenda 15 La République des Livres. Blog Le Monde, 24.12.2005 16 AFP 26.12.05 17 20 minutes, 20.12.05 (vollständige Liste hier), Libération, 21.12.2005
18 Marianne, 24.12.2005 19 Ouest France, 27.12.2005
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