Nationalanarchismus

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Nationalanarchismus

 letzte Aktualisierung: 30. Mai 2007

Nationalanarchismus

AUTO:  Nr. 12,  Juli 2004
 

Der Nationalanarchismus – eine Art Manifest

[Manifest 1. bis 3. => / 4. bis 5. => / 6. bis 8. => / 9. bis 12. hier] 
 

9. Warum nationale Anarchie?

Der Kapitalismus hat sich zwar mit Aufklärung gegen den Adel durchgesetzt, aber zu den Dingen, die in ihm nicht aufgeklärt werden dürfen, gehört – neben dem allgemeinen emotionalen Bewußtsein im allgemeinen – die Klarheit über meine Zugehörigkeit, mein Eingebundensein in Gruppen und über die Notwendigkeit des eigenen Bodens. Ich darf im Kapitalismus kein territoriales Bewußtsein haben. Ich darf im Kapitalismus, der sich monopolisiert und globalisiert, am Ende nur noch so viel Bewußtsein haben, wir mir meine Rolle als Rädchen in der Megamaschine abverlangt. Ich darf das Bewußtsein haben, von A nach B zu kommen, aber das Bewußtsein, mich einzuhausen, Heimat und Beständigkeit zu haben, das darf ich nicht haben.

Ich muß zum „eindimensionalen Menschen“ (Marcuse) oder zum abgerichteten Affen, zum „One-trick Pony“ (Nelly Furtado) werden.61  Alle meine „Dimensionen“, all mein Wissen soll ich verlieren. U.a. soll ich also auch kein ethnisches Bewußtsein mehr haben. Der Kapitalismus rottet dieses Bewußtsein aus. Ethnisches Bewußtsein heißt im Grunde Überschneidung individueller Interessen.

Die Zivilisation, besonders ihre kapitalistische Phase, zeichnet der Drang nach Vereinheitlichung, nach immer größer werdenden Herrschaftsräumen, d.h. politischen Gebilden (Staaten) aus. Wir laufen dieser Tendenz entgegen, wir gehen die Geschichte zurück.

Nationale Anarchie ist zum einen eine Rückkehr zu den Wurzeln des Anarchismus’ im 19. Jahrhundert, dem die Stigmatisierung des Völkischen, Örtlichen, Nationalen, Territorialen und der Verschiedenheit der Kulturen, wie sie heute unter heimatlosen Pseudoanarchisten herrscht, noch völlig fremd war.62 

Zum anderen ist nationale Anarchie die Konsequenz eines anthropologisch völlig neuartigen Verständnisses von Zufriedenheit in bezug auf politische Gebilde.

Wir sind nicht prinzipiell gegen Aufgaben- und Arbeitsteilung und Hierarchien, aufgabengebundene Führung durch den Fähigsten, doch es widerstrebt uns, dies in einer Dimension stattfinden zu lassen, innerhalb derer die Mitmenschen, also die Angehörigen der Nation, nicht mehr sinnlich als solche wahrnehmbar und zur Verantwortung zu ziehen sind. Kommunikation über eine gewisse Gemeindestärke hinaus, d.h. unsinnliche Kommunikation, kann nicht bestehen; das unsinnlich Kommunizierte ist sinnlos; der ursprüngliche Sinn wird pervertiert, so etwa, wenn Nationalanarchisten in den Ruf von „Aposteln der animalischen Barbarei“ kommen. Jemand, der über das Sinnliche hinaus etwas kommunizieren will, d.h. der nicht Auge in Auge kommunizieren will, legt auf die wahrheitsgemäße Übertragung seiner Botschaft keinen Wert; er führt von Anfang an etwas gegen unsere Interessen Gerichtetes, z.B. unseren Mißbrauch im Schilde.

Von daher ergibt sich die Notwendigkeit der Dezentralisierung und die Schaffung von Einheiten in Größenordnungen, die unserem Bedürfnis nach Kommunikation gemäß sind.63  Anders sind die Vorteile der anarchischen Gemeinschaft, d.h. der Nation als Verein der Egoisten – die nicht-künstliche und gewaltfreie, auf Vertrauen, Bekanntsein und Gewöhnung basierende Organisierung des Lebens – nicht möglich.

Diese Nationen bauen zum einen auf die noch vorhandenen, tradierten Gemeinschaften auf („Stämme“) – das ist unser Hauptinteresse. Zum anderen akzeptieren wir keine, meist von der Obrigkeit vorgeschriebene angebliche Stammeskultur, wenn sie nicht unmittelbar unseren Bedürfnissen entspricht – dann muß radikal aufgelöst und Neues aufgebaut werden – und sei es aus dem Nichts.

Die authentischen Nationen sind noch in Spuren vorhanden. Der Musiker Sting spricht von ihnen: „Die Herrschaft wechselte so häufig, daß die Einheimischen sich bald niemandem mehr untertan fühlten, weder den Engländern, noch den Schotten, niemandem außer sich selbst. Wir nannten uns ‚Geordies’, aus Gründen, über die Historiker bis heute debattieren, die aber den meisten von uns völlig egal sind. Geblieben ist eine starke Verbundenheit, und nicht zuletzt hält unser unverwechselbarer Dialekt uns zusammen, den oft genug kein anderer auf den Britischen Inseln versteht.“64 

„Niemandem untertan“, „Historie völlig egal“, „starke Verbundenheit“, eigene Sprache, „unverwechselbarer Dialekt“: das ist nationale Anarchie.

Die nationale Anarchie ist auf eine Weise antideutsch, als sie gegen das Deutsche als Hegemonialmacht ist. Sie ist aber nicht – im Gegensatz zur aggressiven Variante des Kosmopolitismus, dem es nur um die Ausmerzung all dessen geht, das dem Globalkapitalismus im Wege steht – antinational. Das wäre sie nur im Verständnis des Nationalen als dem Nationalstaat und der Nation, als was diese heute gilt („Deutschland“, „Frankreich“ usw.): als Entfremdung und Verwandlung ihrer selbst.

Ein Globalstaat als Endprodukt dieses fortschreitenden Entfremdungsprozesses könnte sich in der Logik des Machtstrebens der Bourgeoisie auch noch Nationalstaat nennen – world nation –, so wie längst schon von einer „Nation Europa“ die Rede ist (vgl. Panarabismus und -afrikanismus).

Auch der Weltstaat würde sich am Ende immer noch auf das Gemeinschaftliche, das Zusammengehörigkeitsgefühl und gemeinsame Interessen, d.h. auf das berufen, was auf einer der historischen Etappen der Vergrößerung der politischen Räume die „Nation“ genannt wurde. Nur wäre dann die „Kommunikation“ zwischen den Angehörigen dieser world nation wirklich nur noch reine Robotik.

Nation muß wieder mit dem rationalen Kern der nationalstaatlichen Ideologie – die uns längst schon ideologisch auf die Kosmopolis einstellt – in Übereinstimmung gebracht werden.

Die Eingeborenen der existierenden nationalen Anarchien bezeichnen ihre Gruppen selbst nicht als „Stamm“, sondern als „Völker“ oder „Nationen“. Dies sicher in Anlehnung an die entsprechenden Kolonialmächte und deren Sprachen, womit sie aber zum Ausdruck bringen, daß sie genau so eigen, frei und souverän sind bzw. sein wollen wie diese. (Daß die Kolonialisten keinem Volk wie dem ihrigen – keinem Volk in ihrem Sinne – angehören, wissen sie nicht; sie kennen keine Massengesellschaft.)

Nationalanarchisten sind die Eingeborenen im Hinterland der Kolonialisten.

Auf allen Etappen der Geschichte herrscht die gleiche Verlogenheit: Die wahren Gemeinschaften, der wahren Nationen, die nichts anderes als primitive Anarchien waren, und die Erinnerung an sie werden von der zivilisierten Propaganda ausgenutzt. Der rationale Kern in der Mystifizierung des Nationalstaates sind die Erinnerungen an die Volksanarchien. Der Nationalstaat usurpiert die wahre Nation, appelliert an die primitive Gemeinschaftlichkeit und beutet sie aus.

Andererseits sind wir insofern wiederum nicht antideutsch, als wir für ein Bündnis mitteleuropäischer Nationen („Reich“) eintreten und diese sich auf das Hochdeutsche als Reichs- und Verkehrssprache einigen. So wie diese Nationen selbst darüber bestimmen, in welcher Verfassung sie sind (Bestenherrschaft, Einzelherrschaft, Mehrheitsherrschaft, Herrschaftslosigkeit usw.), so bestimmen sie entlang ehemaliger, noch lebendiger oder neuer landsmannschaftlicher und sprachlicher Eigenheiten nach innen auch über ihre Mundart. In der Herrschaftslosigkeit wird gesprochen, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Wenn andere Völker hochdeutsch sprechen wollen, ist das ihre Sache.

Eine der Bündnisverpflichtungen der das Reich bildenden Nationen ist die Unterrichtung des Hochdeutschen als erster Fremdsprache. Dies gilt auch für nichtgermanische Nationen, die sich dem Reich anschließen wollen.

Die ureuropäischen Eingeborenen treten mit den indoeuropäischen Zivilisierten in Verhandlung zur Bildung des europäischen Reiches.

Worin liegt das Interesse, daß die Zivilisierten an uns Primitiven haben? Denn das müssen sie haben, denn sonst würde der UNO-Generalsekretär und damit sozusagen der Vorsitzende der Zivilisation, Kofi Anan, nicht im August 2003 „zum Schutz der Urvölker“ aufrufen und diese die „Prunkstücke der Menschheit, die uns viel lehren können“, nennen. Wir können hier nur Vermutungen anstellen. Kofi Anan „zollt allen denen Respekt, die sich zwischen den Traditionen ihrer Vorfahren und dem Rest der sich schnell verändernden Welt hin- und herbewegen können, ohne ihre Identität aufzugeben“.

Nun, derlei Sätze sind für uns Primitive unverständlich, aber sie zeugen von einem bestimmten Interesse, und daß Anan Respekt für uns hat – warum sollen wir ihm das nicht abnehmen? Auch die „Gesellschaft für bedrohte Völker“ sieht in uns Ureinwohnern „die großen Verlierer der Globalisierung“, die „immer weiter ins Abseits gedrängt“ würden und deren „Kulturen unwiederbringlich verloren zu gehen drohen“. Damit verrät auch sie eine gewisse Sympathie und ein gewisses Bedürfnis, uns zu schützen.

Wir müssen im Gespräch mit den Zivilisierten noch herausfinden, was wir ihnen genau geben können und worüber und womit wir mit ihnen handeln können. Unsere Verhandlungsposition ist bis dahin zunächst folgende: Ihr laßt uns so weit Ihr es schafft in Ruhe, und wir bezahlen dafür mit Unterhaltung: Wir unterhalten Euch wie die Tiere in Euren Zoos. Irgend etwas scheint Euch ja an der Primitivität, an der Ursprünglichkeit, der Einfachheit, der Echtheit zu liegen. Davon habt Ihr kaum noch etwas, aber Ihr seid fasziniert davon, Ihr träumt davon. Ihr wollt, daß das Primitive, das Natürliche irgendwie in einer Nische überlebt – warum auch immer –, wenn auch in einer künstlich eingerichteten Nische, die eine Oase in einer fast die gesamte Fläche der Erde einnehmenden Wüste der Sekundärnatürlichkeit ist.

Die Verhandlungen zwischen Zivilisierten und Primitiven werden problematisch sein, weil eine solche Verhandlung und deren Technik von den Zivilisierten als ihre Domäne betrachtet wird. Das stimmt zwar, kann aber nicht bedeuten, daß wir uns ihrer Technik und ihrem Stil unterwerfen oder ihr Vokabular übernehmen. Wir sind bereit, ihnen entgegenzukommen, aber wir erwarten auch von ihnen, daß sie, wenn sie etwas von uns haben wollen, auch uns entgegenkommen. In ihren Zoos geben sie sich ja neuerdings auch Mühe, die Käfige immer tiergerechter einzurichten.

 

10. Post- bzw. Nichtintellektualismus

Wenn auch nicht gerade weit verbreitet, ist das meiste hier Gesagte nicht wirklich Neues. Es mag allenfalls eine neue Synthese aus bereits Gesagtem sein.

Wo wir aber – zumindest im Rahmen der sog. Geistesgeschichte – etwas Neues sind und sagen und Neuigkeit, zumindest aber eine im Vergleich mit allen anderen Ismen radikale Andersartigkeit reklamieren, das liegt in folgendem:

Andere kritisieren andere Weltanschauungen, Religionen, Ideologien usw. und werfen diesen dieses und jenes vor („der verderbliche Einfluß des Christentums“ usw.). Da wird behauptet, diese oder jene Religion oder Weltanschauung sei schlecht, weil und indem sie dieses oder jenes sagt oder lehrt. Man müsse eine andere Lehre an ihre Stelle setzen.

Die nationale Anarchie hat keine Lehre und ist gegen jede Lehre (außer die Tischler- oder eine andere praxisorientierte Lehre). Bei allen weltanschaulichen Lehren, die im Endeffekt immer religiöse Lehren sind, geht es um systematisch in Beziehung gebrachte Begriffe, die eine Wirklichkeit darstellen oder widerspiegeln sollen.

Wir sind keine gelehrten Kritiker einer Lehre, die nun ihrerseits ihre Lehre durchsetzen wollen. Nicht das „Christentum“ oder der „Liberalismus“ oder der „Marxismus“ ist das zu Kritisierende, zu Verändernde und Abzuschaffende, sondern die konkreten psycho-physischen Situationen, in denen Unmut, Unwohlsein, Unbehagen, Streß, Leid und Schmerz für den Einzelnen stattfindet; das mag dann auch der Fall sein, wenn Weltanschauer oder Verkünder von Höheren Werten unter Einsatz von Herrschaftsmitteln (und nur dann) mit ihren Lehren Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen in den Ohren liegen, diese nerven, zuöden oder sonstwie vergewaltigen.

Die Inhalte der jeweiligen Lehren interessieren uns nicht; uns interessieren die wirklichen Dinge, die Dinge unseres Körpers, der u.a. von Lehrern, die nicht um ihre Meinung über Gott und die Welt gefragt worden sind, in seinem Wohlbefinden gestört wird, die erfahrbaren und sinnlichen, also unsere Dinge.

Wir entziehen uns den geistigen, intellektuellen und z.B. philosophischen Kämpfen, etwa darüber, ob das Wirkliche das Körperliche ist oder etwas Leibseelisches oder etwas Duales oder Dialektisches, oder ob wir uns als das allein Wirkliche sehen.

Darüber diskutieren wir nicht.

Wir sind auch keine „Monisten“, „Postmaterialisten“ oder „Materidealisten“ – wir kennen nur uns und unsere Empfindungen, Bedürfnisse, Interessen und scheren uns nicht darum, ob diese nun als „geistige“, „seelische“, „psychische“ oder „materielle“, „körperliche“ oder „physische“ bezeichnet werden; wir sprechen von uns und jonglieren, wenn wir differenzieren wollen, mit Wörtern wie „Körper“ oder „Seele“ frei nach unserem Belieben. Wir sind nicht auf der Welt, um uns Pseudoproblemen zu stellen und unnütze Gedanken zu machen. Die Philosophie ist bereits im 19. Jahrhundert durch Max Stirner beendet worden, basta. Wer sich noch einmal, aber gründlich und endgültig, den „parasitären Kopf“ (Ernst Jünger) zerbrechen will, der mag Stirners „Einzigen“ lesen.

Die Gebildeten sprechen immer nur von allen möglichen Ismen, wir – die Ungebildeten – haben Lust und Angst, Öde, Langeweile, Spaß, Verzweiflung, Trauer, Verwirrung, Schmerz. Die Nietzscheaner z.B. sprechen zwar im Namen des Lebens, aber es bleibt dennoch abstrakt, akademisch, intellektuell. Die Nietzscheaner lassen nie den Geist hinter sich, bleiben ewig in geistigen Auseinandersetzungen, bürgerlichen Umgangsformen, im Kampf der Ismen, gegen „das Christentum“ usw. gefangen.

Wir teilen die Begeisterung für Nietzsche sowohl von Neurechten als auch von Anarchisten nicht. Die Ikone des Anarchismus Emma Goldmann schreibt: „Nietzsche war kein Gesellschaftskritiker, sondern Dichter und Neuerer. Seine aristokratische Haltung war weder eine Sache der Geburt noch des Geldbeutels, sie kam aus dem Geist. In dieser Hinsicht war Nietzsche Anarchist und alle echten Anarchisten waren Aristokraten.“65 

Wir nationalen Anarchisten sind keine Aristokraten, wir sind primitives Volk.

Oft wurden vorgeschichtliche Kulturen beschrieben, und zwar als wert, zu ihnen zurückzukehren. Viel wurde über ihre Instinkthaftigkeit gesagt. Aber alle diese Beschreibungen und Aussagen blieben stets im Intellektuellen, Wissenschaftlichen, Bildungsmäßigen, ohne das wirklich anzustreben oder zu verwirklichen, was über den Gehalt und den Charakter dieser Kulturen ausgesagt wurde.

Die vorgeschichtlichen Kulturen waren aber nihilistisch, und das macht den entscheidenden Unterschied zu den geschichtlichen Zivilisationen aus, die vom Heiligen, also Ehrfurcht Gebietendem, das von den Personen ins Innere übernommen wurde und somit Verzweiflung schuf. (Das Intellektuelle als solches erfährt in der Zivilisation bereits heilige Verehrung.) Geistige, symbolische Manifestationen der Urkulturen wurden dabei von inkonsequenten, im Geist der Geschichte verbleibenden Vorgeschichtsforschern zu Religiösem umgewidmet, in solche umgedeutet und in zivilisiert-religiöse Zusammenhänge gebracht. Bei aller Ablehnung der „Buchreligionen“ werden die alten Kulturen zu religiösen Kulturen gemacht oder sogar verbüchert.

Wir kritisieren nicht Ideologie usw.; alles, was wir kritisieren, sind konkrete Handlungen und Zustände, bei und in denen Schmerz, Unwohlsein usw. erzeugt wird. Daß diese Handlungen und Zustände von Gebildeten mit verschiedenen -ismen in Zusammenhang gebracht werden, ist nicht weiter wichtig. Wir nehmen an keinem Streit der -ismen teil. Wenn ein Kind zum Beispiel unter seinen Eltern leidet, dann mag das für eine ganze Kultur typisch sein, für eine Epoche stehen, die dann zu kritisieren wäre. Wir beteiligen uns aber nicht an Kulturkritik und kritisieren auch keine Kultur oder Religion, sondern nur die konkret leidbringenden und entfremdenden Handlungen und Zustände. Niemals könnte nationale Anarchie eine zu lehrende Weltanschauung bedeuten.

Dieser Text hier würde in einer nationalen Anarchie irgendwo im Erdreich vermodern oder würde, wenn Brennstoffe gebraucht werden, einen sinnvolleren Gebrauch machen als gelesen zu werden: Wärme erzeugen und in Rauch aufgehen.

Wirklich neu aber ist natürlich auch das nicht. Wir sehen uns überhaupt als keinen Teil einer Ideengeschichte: ob neu oder alt: uns egal. Wir sind keine Intellektuellen und würden nie solche aus unseren Kindern machen. Wir sind entweder von vorn herein keine Intellos oder aber wir sind Post-Intellos. Bernd A. Laska schreibt dazu: „La Mettrie [der erste radikale Aufklärer] sah die Überwindung der Religion nicht als einen intellektuellen Kraftakt, zu dem naturgemäß nur wenige Individuen fähig sind, sondern als ein seelisches Problem, das mancher Bauer relativ gut, mancher moralisierende Atheist dagegen relativ schlecht gelöst hat.“66 

Und als Antonin Artaud im denkwürdigen Jahre 1933 an der Pariser Universität Sorbonne eine theaterwissenschaftliche Vorlesung über „Das Theater und die Pest“ halten sollte, „saß er an einem Tisch, hinter ihm eine schwarze Tafel, die sein hageres Gesicht gleichsam einrahmte. Seine Mundwinkel waren vom Opium schwarz gefärbt, und wenn er sprach, flatterten seine langfingrigen Hände wie die Flügel eines Vogels, und das Haar fiel ihm in die kräftige Stirn. Das Theater müsse, so begann Artaud, gleich der Pest wie eine Epidemie um sich greifen. Die Pest rufe einen Ausnahmezustand hervor, in dem die soziale Ordnung aufgehoben sei und die Mitglieder einer Gesellschaft auf tiefe unbewußte Antriebe antworteten; der Geizhals werfe das Gold aus den Fenstern und der ehrwürdige Bourgeois werde von einem erotischen Fieber gepackt. Auch das Theater müsse eine Krise sein, die sich entweder durch Tod oder Heilung löse, es müsse die Menschen darauf stoßen, sich so zu sehen, wie sie sind. Es müsse die Masken herunterreißen, Lügen, Niederträchtigkeiten und Heucheleien bloßlegen und der Gesellschaft ihre eigenen dunklen Kräfte und ihre verborgene Macht zeigen.“67  „Er ließ den Faden, dem wir folgten, fallen und begann den Tod durch Pest vorzuspielen. Sein Gesicht war qualvoll verzerrt, und man konnte sehen, wie der Schweiß sein Haar anfeuchtete. Seine Augen weiteten sich, seine Muskeln verkrampften sich und seine Finger mühten sich verzweifelt, ihre Biegsamkeit zurückzugewinnen. Er ließ uns die ausgetrocknete und brennende Kehle spüren, die Schmerzen, das Fieber und das Feuer in den Gedärmen. Artaud sagte: ‚Sie wollten eine objektive Vorlesung über ‚Das Theater und die Pest’ hören, ich wollte ihnen das Erlebnis selbst vermitteln, so sollten sie geängstigt werden und zu sich kommen.’“68 

Der Unterschied zwischen uns und Artaud ist nur der, daß wir an kein Theater glauben, daß wir niemandem zumuten wollen, Kulissen zu schieben, Schauspieler zu spielen, Tag für Tag Eintrittskarten abzureißen oder Steuern für Theater zu zahlen.

Das Theater ist die Lüge. „Das Theater ist für Verächter, die sich statt an Taten an Worten berauschen.“69 

Und so ist auch die Politik Lüge. Nationale Anarchie hat nichts mit Politik zu tun. Sie steht jenseits, unter, über und zu einem geringen, einem notwendigen Teil in der Politik. Die nationale Anarchie lehnt Politik als System der Fremdherrschaft ab. Jede Herrschaft ist fremd, und wenn sie im eigenen Kopf sitzt. Die nationale Anarchie ist Selbstregulierung. Nationalanarchistisch sein heißt antipolitisch sein.

 

11. Radikaler Individualismus, radikaler Kommunismus

Nur einzelne Lebewesen haben Nerven, die sie fühlen lassen, was ihnen angenehm ist und was nicht. Kollektive nicht.

Stirner schreibt: „Wer ist diese Person, die Ihr ‚Alle’ nennt? – Es ist die ‚Gesellschaft’! – Ist sie denn aber leibhaftig? – Wir sind ihr Leib! – Ihr? Ihr seid ja selbst kein Leib; – Du zwar bist leibhaftig, auch Du und Du, aber Ihr zusammen seid nur Leiber, kein Leib.“70 

Einen radikaleren Individualismus als den stirnerianischen Nationalanarchismus gibt es nicht. Der sog. Individualismus des Bürgertums ist ein Witz, ist pure Anpassung und Vermassung.

Es gibt aber auch keinen radikaleren Kommunismus als den Nationalanarchismus. Die Kommunen, die er entstehen sehen möchte, bestehen aus radikalsten Individualisten. Diese sind dann aber voll und ganz bei der Sache, weil ihre Zugehörigkeit zum Kollektiv sich ganz und gar aus ihnen selbst ergibt. 

Diesen radikal individualistischen Ausgangspunkt beim Erbauen neuer Gemeinwesen teilt weit und breit nur Reinhold Oberlercher: „Vom Tiefpunkt der vollendeten Individualisierung aus kann der Neuaufbau einer ständischen Volksgemeinschaft nur radikal atomistisch beginnen und vom Personenstand des Einzelnen ausgehen.“71 

Weiter schreibt Oberlercher: „Die unmittelbare Aufgabe, vor der Europa jetzt wieder einmal steht, ist die Entsteppung und Entwüstung seiner alten Kulturlandschaften und die Auflösung der Massengesellschaft, d.h. die Rückverwandlung von Bevölkerung in Volk.“72 

Auch hierin sind wir mit ihm einig: Bevölkerung ist liberal-individualistisch vermaßtes Volk. Volk ist die Summe von Individualisten. Entwüstung heißt radikale Rückbesinnung auf das Ich, heißt Auflösung der Entfremdung, heißt Vereignung, heißt zunächst radikale Atomisierung. Von dort aus bilden sich die Volksgemeinschaften.

 

12. Ultraresponsabilismus, Ultraliberalismus

In gleichem Maße, wie Nationalanarchisten die radikale Freiheit und Eigenheit verwirklichen, so ist ihnen klar, daß nur sie selber verantwortlich für sich sind. Und entsprechend betrachten sie alle anderen auch als für sich verantwortlich. Es gibt kein höheres Wesen und keine Obrigkeit, die man für was auch immer verantwortlich machen kann. Man kann es, aber es hat keinen Sinn. Dort, wo wir versagen, dort ist Schicksal, das zu beklagen keinen Sinn hat. Schicksal ist das Endgültige, dem wir nichts entgegenzusetzen haben, dem wir also auch keine weitere Bedeutung beimessen, von dem wir kein Aufhebens machen brauchen.

Für alles sind wir verantwortlich, für das grausamste und ungeheuerlichste Geschehen. Nirgends können wir uns beschweren. Wir halten alles in unserer Hand. Wenn wir offensichtlich nicht verantwortlich sind, dann ist es auch niemand anderes, dann ist es so, dann ist es Schicksal.

Wenn wir als Ostpreußen am Ende des Zweiten Weltkrieges vertrieben werden und zu Millionen tot auf der Strecke bleiben, wenn wir als ostpreußische oder deutsche Frauen vergewaltigt werden, dann sind wir dafür verantwortlich. Es mag sich zu grausam anhören, es ist aber unsere Wahrheit. Wir müssen heute sehen, was wir an Schlimmem in der Zukunft verhindern können. Wenn wir die Augen verschließen, ist es unsere Verantwortung. Wenn wir nicht merken, daß wir die Augen verschließen, haben wir Pech gehabt, dann ist es Schicksal. Dann können wir noch den Peiniger bitten, können betteln, um Gnade winseln oder Gott anrufen – das ist dann das letzte, was in unserer Verantwortung steht, und wir sollten es tun. Aber verlassen sollten wir uns nicht auf die letztendliche Verantwortungsübernahme in Form von Betteln. Wenn es so weit ist, bleibt uns nur das Bedauern, nicht eher die Augen geöffnet und gehandelt zu haben.

Der Nationalanarchismus ist radikalster Ausdruck von Verantwortlichkeit. Ihm kommen nur – die Metaphysik wollen wir hier außer acht lassen, sie schmälert aber die Radikalität – Worte Horst Mahlers nahe:

„Höchstes Gebot ist die Selbsterhaltung der Völker gegen die Macht des Teufels. Vernünftig – und in diesem Sinne rechtens – ist alles, was den Teufel schwächt und die Völker stärkt.

Der Krieg hat die Vernichtungstechnologie in solche Höhen getrieben, daß nicht mehr die aus Truppen bestehende Streitmacht das Zentrum der militärischen Kraft, die es zu vernichten gilt, bildet. Die kapitalistische Gesellschaft als Ganzes ist der Schwerpunkt. Die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten – ob uns das nun gefällt oder nicht – ist sinnlos geworden. Die Soldaten, die in gutem Glauben ihre Pflicht tun, sind ebenso unschuldig oder schuldig, wie der Wissenschaftler, der die Klimawaffe entwickelt, wie die Universität, die den Wissenschaftler ausbildet, und der Bäcker, der die Professoren, die Waffentechniker und die Soldaten nährt.

Die Bevölkerungen in der Gesindestube des Molochs führen teilweise noch das Leben von verwöhnten Haussklaven. Sie haben es in der Hand, durch Rebellion sich und die Völker zu befreien. Wenn sie diese Pflicht versäumen und weiterhin ihre Lebenskraft in die Massenvernichtungsmaschine einspeisen, befinden sie sich selbst im Bereich militärischer Vergeltungsschläge der Völker. Sie sollten nicht an das Mitgefühl und an die Solidarität der Geschundenen und Entrechteten appellieren. Sie werden ab sofort nicht mehr erhört.“73 

Das mag hart klingen, sehr hart. Aber es ist die Wahrheit. Keiner kann sich auf was auch immer berufen. Unwissen schützt vor Strafe nicht.

Radikaler Responsabilismus aber ist nur die Kehrseite von größtmöglicher Freiheit und Eigenheit.
 

[Manifest 1. bis 3. => / 4. bis 5. => / 6. bis 8. => / 9. bis 12. hier] 
 

Anmerkungen

 61 „Franzosen, ihr werdet genau zu dem Zeitpunkt in den Krieg ziehen, den Monsieur le Baron de Rothschild, euer Herr und Meister, in voller Übereinstimmung mit seinen gnädigen Vettern in London, New York und Moskau festgelegt haben wird. (…) Die einzige Verteidigung, das letzte Mittel des weißen Mannes gegen die Robotisierung und sicher auch gegen den Krieg ist die Rückkehr zu seinem emotionalen Rhythmus.“ Louis Ferdinand Céline

 62 Siehe zuletzt Remigiusz Okraska, Wolnosz i zdrowy rozsadek. Staromodny anarchizm Pierre’a Josepha Proudhona [ Freiheit und gesunder Menschenverstand. Der altmodische Anarchismus Pierre Joseph Proudhons ], in: Stanczyk. Pismo postkonserwatywne, 1/2 (36/37), Breslau 2002, S. 105; Heinz Hug: Kropotkin zur Einführung, Hamburg 1989; oder ders.: Kropotkin zur Einführung, Hamburg 1989: „Kropotkins Betonung des Volkes als geschichtsbildender Kraft – und ‚Volk’ ist nicht ein verschwommener Allgemeinbegriff, auch nicht eine revolutionäre Klasse, sondern die Gesamtheit dezentralisierter autonomer Einheiten – wird verständlich vor dem Hintergrund seiner Anthropologie (Gemeinschaftlichkeit als tragendes Element) und seiner Ordnungsvorstellungen (Egalität), die in den Vorstellungen vom Aufbau der Gesellschaft in der nachrevolutionäre Phase deutlich werden.“ (S. 100)

 63 „Betrachtet man die historische Entwicklung im Überblick, so können in der abendländischen Geschichte die frühgeschichtliche Horde, die später entstandene Dorfgemeinschaft, die mittelalterlichen Städte sowie die neben- und außerstaatlichen Vereinigungen der Neuzeit als Lebensformen betrachtet werden, in denen sich freiheitliche Strömungen am stärksten durchsetzten. Eine weitgehende Realisierung autoritärer Tendenzen dagegen findet sich in der patriarchalischen Familie, welche die Horde und den Stamm ablöste, im römischen Staatswesen und dessen Gesetzgebung, vor allem aber im (National-)Staat der Neuzeit. Es muß betont werden, daß Kropotkin keine historische Periode erwähnt, in der die volkstümlichen Strömungen völlig verschwunden wären. Gerade dieses gewährleisten das gemeinschaftliche (Alltags-)Leben.“, Heinz Hug, a.a.O. S. 102

 64 Sting, Broken Music, Frankfurt am Main 2003, S. 34

 65 Emma Goldmann, Living my Life, London 1930, Bd. 1, S. 194

 66 Bernd A. Laska, Julien Offray de La Mettrie, Leben, Werk und Wirkung, in: Julien Offray de La Mettrie, Der Mensch als Maschine, Nürnberg 1988

 67 Sanche de Gramont, A Vocation for Madness, 1970, S. 49-55, zitiert bei Arthur Janov, Anatomie der Neurose. Die wissenschaftliche Grundlegung der Urschrei-Therapie, Frankfurt am Main 1974, S. 16-17

 68 Anaïs Nin, Tagebücher 1931-1934, Hamburg 1968, zitiert bei Janov a.a.O.

 69 Andreas Röhler, Judas Gotthilf Felsenstein, Sleipnir. Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik, Nr. 38

 70 Stirner, a.a.O. S. 127

 71 Reinhold Oberlercher, a.a.O. S. 88

 72 ebenda S. 85

 73 Horst Mahler, Das Recht und die „große metallene Bestie“. Die Vereinigten Staaten von Amerika als das Dasein der Unsittlichkeit, Sleipnir. Zeitschrift für Kultur, Geschichte und Politik, Nr. 38


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